Mittwoch, 7. August 2024

Der schnucklige Johannes – Caravaggios Täufer-Darstellungen

Caravaggio: Johannes der Täufer (1606); Rom, Palazzo Corsini (für die Großansicht einfach anklicken)

Caravaggio (1571–1610) hat die neutestamentliche Figur Johannes des Täufers mehrfach dargestellt, ja, es ist das Thema, das von ihm mit Abstand am häufigsten gemalt wurde. Ich möchte einige Bilder dieser Serie hier etwas eingehender vorstellen. Dazu gehören eine sitzende Halbfigur mit nacktem Oberkörper (1606 entstanden), die sich heute in der römischen Palazzo Corsini befindet, sowie zwei Ganzfiguren, die eine aus Nelson-Atkins Museum in Kansas City, die andere aus der Galleria Borghese in Rom.

Die im Querformat gezeigte athletische Gestalt des jugendlichen Johannes sitzt vor einem nur angedeuteten Landschaftshintergrund. Auf seinem linken Bein liegt ein schwerer roter Mantel, den er hinter den Rücken geführt und über den rechten Unterarm gelegt hat. Sein Schambereich wird von einem weißen Tuch verdeckt. Am linken Bildrand liegen ein Rohrkreuz und eine Wasserschale am Boden – beides deutliche Hinweise darauf, dass wir es mit dem biblischen Täufer zu tun haben. Offensichtlich hat Caravaggio einmal mehr ein Modell „aus dem Volk“ verwendet, worauf das sonnengebräunte Inkarnat an Händen, Gesicht und Halsausschnitt hinweisen. Die Komposition ist von gegenläufigen Diagonalen bestimmt: Johannes hat den ganzen Körper zur linken Seite gedreht und stützt sich mit den parallel geführten Armen ab. Der Kopf dagegen ist nach rechts gewendet, sein von den Stirnlocken tief verschatteter, fast grollender Blick ist auf etwas außerhalb des Bildes gerichtet, das ihn in Einsamkeit und meditativer Versenkung gestört zu haben scheint. 

Sterbender Gallier (röm. Marmorkopie eines hellenistischen Bronzeoriginals); Rom, Museo Capitolini

Valeska von Rosen verweist darauf, dass Caravaggio bei der Haltung des Oberkörpers und der Arme auf eine antike Statue zurückgreift, und zwar auf den Sterbenden Gallier aus der römischen Sammlung Ludovisi (siehe meinen Post „Lieber tot als Sklave“), bei dem es sich um die Marmorkopie eines hellenistischen Bronzeoriginals handelt. Sie zeigt einen am Boden sitzenden, tödlich getroffenen Krieger, die klaffende Wunde am rechten Brustkorb deutlich sichtbar. So nachvollziehbar diese Übernahme auch erscheint, kommt ihr doch die Chronologie ins Gehege, denn die Figur wurde vermutlich erst 1622 beim Bau der Villa Ludovisi gefunden. Vielleicht kannte Caravaggio aber auch eine andere Kopie, möglicherweise die, die sich heute im Museo Archeologico Nazionale in Neapel befindet.

Caravaggio: Johannes der Täufer (um 1602/03); Kansas City, Nelson-Atkins Museum
(für die Großansicht einfach anklicken)

Dieses Haltungsmotiv hat Caravaggios bereits bei seinem ganzfigurigem Johannes der Täufer in Kansas City verwendet (um 1602/03). „Doch ist dessen monumentale, statuarisch wirkende Pose nun dynamisch bewegt“ (Schütze 2009, S. 272) und wirkt wie in eine Handlung eingebunden, die sich dem Betrachter jedoch nicht erschließt. Der im Hochformat präsentierte Johannes aus Kansas City ist ebenfalls kalbnackt; die Hüften und der linke Oberschenkel werden durch ein überdimensioniertes rotes Tuch und ein Fell verdeckt. Lamm und Wasserschale sind ihm nicht beigefügt, aber für seine Identität als Johannes spricht das große Kreuz, das sich der junge Mann aus zwei Schilfrohren zusammengebunden hat. Wir haben hier einen in sich gekehrten, nach unten blickenden Täufer vor uns, mit verschatteten Augen, düster-melancholisch gestimmt – ein Eindruck, der durch die dramatischen Hell-Dunkel-Kontraste im Bild noch verstärkt wird.

Caravaggio: Johannes der Täufer (um 1605/06); Rom, Galleria Borghese
(für die Großansicht einfach anklicken)

Eine dritte Fassung des Täufers hat Caravaggio um 1605/06 gemalt: Wie auf dem Bild in Kansas City wird der junge Täufer als Ganzfigur präsentiert; auch er lehnt sich gegen eine in breiten Falten herabfallende Draperie, auf der sein Arm ruht. Links neben ihm steht ein Widder, abweichend von der Bildtradition, die Johannes ein kleines Lamm zuweist, entsprechend seines Ausspruchs bei der ersten Begegnung mit Christus am Jordan: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ (Johannes 1,29; LUT). Der Knabe, der melancholisch aus dem Bild blickt, hält einen Hirtenstab in der linken Hand, aber es fehlt das Kreuz. Johannes ist deutlich jünger als auf den ersten beiden Täufer-Darstellungen und weitgehend nackt, seine Blöße ist allerdings auch hier mit einem weißen Tuch bedeckt.

Lo Spadorino: Johannes der Täufer (um 1610); Privatbesitz
Battistello Caracciolo: Johannes der Täufer (um 1610/20); Berkely, Art Museum
Caravaggio: Johannes der Täufer (16.02), Rom, Museo Capitolini

Die Nachahmer Caravaggios, „Caravaggisten“ genannt, haben auch die Täufer-Darstellungen ihres Vorbildes vielfach aufgegriffen und variiert. Von Lo Spadarino (1585–1652) kennen wir eine seitenverkehrte Variation des Corsini-Gemäldes, bei der er die Bildidee des vom Bildrand überschnittenen Kreuzstabes aufnimmt. Bartolomeo Manfredi (1582–1622) übernimmt für sein Bild im Louvre den jungenhaften Johannes-Typus von Caravaggio. Battistello Caracciolo (1578–1635) zeigt uns einen halb sitzenden, halb liegenden Jüngling, der sich mit dem rechten Arm auf einen Felsen stützt. Er blickt den Betrachter direkt und lasziv an – und greift damit ein weiteres Caravaggio-Gemälde aus dem Museo Capitolini auf, das ich nochmals gesondert behandelt werde. Natürlich darf auch hier der rote Mantel nicht fehlen, der den Schambereich verhüllt, er ist sozusagen ein Caravaggio-Markenzeichen. Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich anführen, die Produktion von Johannes-Darstellungen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist nahezu unübersehbar.

Warum war das Thema des Täufers in der Wüste so erfolgreich? Im Lukas-Evangelium heißt es über den Täufer nur kurz und knapp: „Und das Kindlein wuchs und wurde stark im Geist. Und er war in der Wüste bis zu dem Tag, an dem er vor das Volk Israel treten sollte“ (Lukas 1,80). Allerdings deutet in den Werken Caravaggios und in denen seiner Nachfolger an Johannes‘ Äußerem nichts auf Askese, Entbehrung und Zurückgezogenheit hin, schon gar nicht auf den späteren großen Bußprediger, um den sich die Menschen am Jordan scharen. Wir sehen durchgängig einen meist muskulösen, durchaus gepflegt wirkenden Knaben in heranwachsendem Alter, der ein – wenn mit abgebildet – ein ebenso wohlgenährtes Tier bei sich hat. „Offensichtlich bot gerade die geringe Textreferenz des Sujets die Möglichkeit, einen Knaben in reizvollem heranwachsendem Alter ins Bild zu setzen, der im Zustand ,unschuldiger‘ Nacktheit leicht oder gar nicht bekleidet ist“ (von Rosen 2009, S. 193).

Leonardo da Vinci: Johannes der Täufer (Datierung unsicher); Paris, Louvre
Leonardo da Vinci: Johannes der Täufer (Datierung unsicher); Paris, Louvre
Raffael (und Werkstatt): Johannes der Täufer (umn 1516/17), Florenz, Uffizien
Andrea del Sarto: Johannes der Täufer (1521); Florenz, Palazzo Pitti
Agnolo Bronzino: Johannes der Täufer (1553); Rom, Galleria Borghese

Der Typus des nackten jugendlichen Johannes, der meditierend die Einsamkeit sucht und sich in den Wald oder die Wüste zurückzieht, geht auf Leonardo da Vinci (1452–1519) zurück: Im Louvre befinden sich zum einen ein ganzfiguriger Johannes in freier Landschaft sowie ein Täufer in Halbfigur mit Pantherfell und stark verschattetem Kreuz vor dunklem Hintergrund. Für das 16. Jahrhundert wird die Reihe nahezu komplett nackter, sinnlicher „Johannes-Knaben“ von bedeutenden Künstlern fortgesetzt: Zu nennen sind Raffaels Giovanino in den Uffizien und im Louvre, Andrea del Sartos Täufer-Jünglinge, und auch Agnolo Bronzino hat Johannes bereits so dargestellt, wie wir es bei Caravaggio gesehen haben: Fellmantel, Rohrkreuz, Taufschale und Zeigegestus geben den jungen Mann eindeutig als Propheten bzw. Wegbereiter Christi zu erkennen. Welche originalen Kontexte und Funktionen diese Bilder hatten, ist allerdings weitgehend unklar. Zumindest das ganzfigurige Gemälde Leonardos hat mit 177 cm durchaus Altarbild-Format.

 

Literaturhinweise

Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2011;

von Rosen, Valeska: Inszenierte Unkonventionalität. Caravaggios Ironisierung der Antikenimitatio. In: Andreas Kablitz/Gerhard Regn (Hrsg.), Renaissance – Episteme und Agon. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2006, S. 423-449;

von Rosen, Valeska: Caravaggio und die Grenzen des Darstellbaren. Ambiguität, Ironie und Performativität in der Malerei um 1600. Akademie Verlag, Berlin 2009, S. 172-200;

LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.


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