Montag, 12. August 2024

Alle wollen diese Frau – Tizians „Danae“-Darstellungen

Tizian: Danae (1545); Neapel, Museo di Capodimonte (für die Großansicht einfach anklicken)

Der antike Mythos erzählt, dass Akrisios, König von Argos, seine schöne Tochter Danae aus Furcht vor dem Orakelspruch, sein Enkel werde ihn einst töten, in einen Turm sperren ließ. Doch Zeus, dem obersten der olympischen Götter, gelang es in Form eines goldenen Regens, mit Danae den Perseus zu zeugen. Der betrogene Akrisios setzte Mutter und Sohn in einer Kiste auf dem Meer aus, doch sollte sich der Orakelspruch dennoch erfüllen: Als Erwachsener nimmt Perseus an Wettkämpfen im pelasgischen Larisa teil – und trifft bei einem Wurf mit dem Diskus unglücklich und unbeabsichtigt seinen Großvater, der eben dorthin geflohen war, um seinem Enkel zu entgehen.

Tizian (1488–1576) malte in zahlreiche Versionen den Moment, in dem der verwandelte Zeus die nackte Danae beschläft. Die ersten beiden Fassungen dieses Gemäldes entstanden als Aufträge für den römischen Kardinal Alessandro Farnese (1545, heute in Neapel) und für den spanischen König Philipp II. (1554, heute in Madrid). Darstellungen weiblicher Akte waren Mitte des 16. Jahrhunderts in Italien sehr beliebt. Sie mussten allerdings durch eine historische, religiöse oder mythologische Erzählung (wie im Fall der Danae) „ummäntelt“ werden. Bis heute wird debattiert, ob Alessandro Farnese Tizian nicht nur darum bat, einen Akt zu malen, sondern der liegenden Danae auch die Züge seiner Geliebten zu verleihen. Der Kardinal gefiel sich sehr wahrscheinlich in der dominanten Rolle des Zeus – es dürfte ihm geschmeichelt haben, dass Tizian ihn mit dem höchsten der griechischen Götter gleichsetzt. Diese Art von Rollenspiel war in jener Zeit in den Kreisen der Kunstkenner weit verbreitet, und man kann vermuten, dass auch diese Version der Danae in einem solchen Kontext zu verstehen ist.

Tizian: Venus von Urbino (1538); Florenz, Uffizien

Tizian griff für seine Danae-Darstellungen zunächst auf den Typus des ruhenden Aktes zurück, den er um 1538 für seine Venus von Urbino entwickelt hatte. Die Frau bietet sich nun nicht mehr ausgestreckt den Blicken des Betrachters dar, sondern bildet mit dem steiler aufgerichteten Oberkörper und den angezogenen Beinen ein Halbrund, in das sich die Goldwolke des Zeus hinabsenkt. Auf diese schimmernde Wolke richtet Danae ihren Blick, der Betrachter wird nicht beachtet. Er wird zusätzlich durch das aufgestellte Bein sowie dem Vorhang vor dem Kopfende des Lagers vom Geschehen getrennt. In der Farnese-Fassung steht am Fußende des Bettes ein geflügelter Amor, der die Szene nach rechts verlässt, als ob er nun den Gott und die Frau allein lassen wollte. Seine Arbeit ist getan: Er hat wohl einen seiner Pfeile auf Zeus abgeschossen, mit dem Nahen des verliebten Gottes ist seine Aufgabe erfüllt. Nach hinten ist der Raum durch den Vorhang sowie in der Mitte durch eine kolossale Säule abgeschlossen, hinter dem Amor öffnet sich eine Landschaft mit einem hellen Himmel, von dem die göttliche Wolke gekommen zu sein scheint.

Daniela Bohde hat darauf hingewiesen, dass Tizian bei der ersten Danae mit einer gröberen Leinwandtextur arbeitet als bei seiner Venus von Urbino. Die Konturen des Aktes verlieren durch die stärkere Körnung ihre Geschlossenheit – die Haut scheint sich zu öffnen: „Hier findet der Umschlag ins Motivische statt: Die den Goldregen in sich aufnehmende Frau wird als Körper mit aufbrechenden, vibrierenden Konturen gezeigt. Diesen Moment der Empfängnis intensiviert Tizian, indem er die Form der Wolke und der Frau so aufeinander abstimmt, daß sie den Goldregen mit dem ganzen Leib aufnimmt und den Gott sozusagen mit ihrer Haut empfängt“ (Bohde 2002, S. 174).

Tizian: Danae (1554); Madrid, Prado (für die Großansicht einfach anklicken)
In der Madrider Version liegt Danae völlig unbekleidet – bis auf ein Armband, einen Ring und einen Perlenohrring – auf einem wild zerfurchten Betttuch (in der Farnese-Fassung ist die Schoßpartie noch mit einem weißen Schleier verhüllt) und nimmt praktisch das gesamte untere Drittel der Komposition ein. Der geflügelte Amorknabe ist durch eine alte Dienerin ersetzt. Die beiden Frauengestalten sind als konträre Figuren konzipiert: Schon die Rückenansicht macht die schlechtgekleidete Alte zu einem Gegenstück der jungen Königstochter auf dem weißen Laken. In Kontrast zu deren hellem Inkarnat arbeitet Tizian die Muskulatur der Dienerin heraus und setzt auf ihre braune Haut am Rücken fast schwarze Schatten. „Die gesamte Körperhaltung der Alten drückt Aktivität und Zähigkeit aus. Sie wird nicht wie Danae beschenkt, sondern muß sich selbst um ihren Anteil bemühen“ (Bohde 2002, S. 169). Die auffällig an ihrem Kleid befestigten Schlüssel kennzeichnen sie als Kupplerin, die Danae und Zeus zusammenbringt. Mit der Dienerin teilt sich das Gemälde in zwei Hälften: Eine dunkle und kühle Seite steht gegen eine von Weiß und Rot dominierte.

Tizian: Danae (um 1560/65); Wien, Kunsthistorisches Musem (für die Großansicht einfach anklicken)

Eine dritte Fassung der Danae befindet sich heute im Kunsthistorischen Museum Wien. Wer sie in Auftrag gegeben hat oder als Erster besaß, ist unbekannt. Der erste belegte Eigentümer war Kardinal Montalto in Rom, der das Bild im Jahr 1600 als Geschenk an Kaiser Rudolf II. nach Prag sandte. Die Wiener Danae ist die einzige existierende Version, die eine Signatur Tizians trägt. Obwohl wir nichts über den ursprünglichen Auftraggeber wissen, liegt die Annahme nahe, dass es sich um ein Mitglied der vornehmen römischen Gesellschaft handelte, dem Alessandro Farneses viel früher entstandene Fassung des Themas bekannt war.  

Auf dem Wiener Gemälde ist in den Wolken das Gesicht des Zeus auszumachen; aber auch hier wird die passive und empfängnisbereite Königstochter mit goldenen Münzen verführt. Wiederum besteht das vorrangige Interesse der alten Dienerin darin, die Münzen in einer goldenen Schale aufzufangen. Das Motiv der herabfallenden Goldmünzen verweist erneut auf die käufliche Liebe; Zeugnisse der damaligen Zeit verbürgen, dass der Danae-Mythos häufig auf Kurtisanen bezogen wurde – was ja ohne Frage auch bereits zur Entstehung der Farnese-Fassung passt. Zeus kommt übrigens nicht nur in Form des Goldregens, sondern auch in einer dunklen Wolke auf Danae herab – was von Correggios Version des Mythos beeinflusst sein könnte, selbst der aus der Szene abgehende Amor mag als Anregung gedient haben.

Correggio: Danae (um 1530/31); Rom, Galleria Borghese
Unverkennbar nimmt Tizian bei seiner Frauengestalt Bezug auf weibliche Aktfiguren Michelangelos, sowohl in gemalter als auch in skulpturaler Form: Mit seiner um 1530 entstandenen Leda hatte Michelangelo (1475–1564) das Liegemotiv mit aufgestellten Beinen in die Aktmalerei eingeführt; bereits in den zwanziger Jahren entwickelte er diese Körperhaltung für seine Marmorskulptur der Nacht. Tatsächlich kam es 1545, also während seiner Arbeit an der ersten Version der Danae, in Rom zu einem Treffen zwischen Tizian und Michelangelo.

Michelangelo: Die Nacht (1524-1534); Florenz, San Lorenzo
Rosso Fiorentino (nach Michelangelo): Leda (nach 1530); London, National Gallery

Betrachtet man die heute Rosso Fiorentino (1495–1540) zugeschriebene Kopie der Leda aus der Londoner National Gallery (Michelangelos Original ist verschollen) und Michelangelos Skulptur der Nacht neben Tizians Danae, dann ist die Frauenfigur Tizians „anatomisch korrekter“. Michelangelos Gestalten haben einen extrem langen Oberkörper, was ihrer inneren Verdrehung geschuldet ist. Dagegen liegt die Danae in einer gelösten Haltung auf ihrem Lager. Michelangelos Aufmerksamkeit gilt vor allem der Körperspannung seiner Figuren und insbesondere ihrer Muskulatur. Tizian wiederum vermeidet jeden Anschein von Muskelaktivität bei seinem Akt. Er betont Danaes Taille wenig und gestaltet den ganzen Rumpf sehr kräftig. Das entscheidende Merkmal für Tizians weibliche Körper „ist nicht die Körperform mit dem Schwung von Hüfte und Taille, sondern eine weiche Fleischlichkeit“ (Bohde 2002, S. 166). Der gesamte weibliche Körper wirkt bei ihm wie durch eine Fettschicht gleichmäßig gepolstert, knochige Strukturen, etwa an den Schultern, Schlüsselbeinen oder Fingergelenken, werden nicht gezeigt.

Durch die zahlreichen weiteren Fassungen der Danae, die aus Tizians Werkstatt stammen, zieht sich ein roter Faden: Die Vergleiche der Körperkonturen zeigen, dass die Umrisse von einem Bild zum nächsten übertragen wurden. Das legt nahe, dass Tizian und seine Werkstatt einen oder auch mehrere Kartons der Aktfigur herstellten, um sie für weitere Aufträge parat zu haben. Offenbar entstand der erste Karton anhand der Neapler Danae, deren Umrisse mit der Untermalung der Madrider Fassung übereinstimmen. Nach Fertigstellung des spanischen Gemäldes (mit einigen kleinen Änderungen) wurde die Form wiederum abgenommen und dieser Karton dann für die Wiener Version und weitere Ausführungen verwendet.

Natürlich variieren die Nebenfiguren und die Landschaften der einzelnen Gemälde – dies belegt, wie Tizian die Komposition jedes Mal auf den neuen Kunden zugeschnitten hat. Die Danae-Bilder verdeutlichen damit musterhaft Tizians Arbeitsweise: Um die immer stärker werdende Nachfrage nach seinen berühmten Gemälden zu befriedigen, variierte der Meister in Zusammenarbeit mit seiner Werkstatt frühere Kompositionen und setzte dabei auch unterschiedliche Malstile ein.

 

Literaturhinweise

Bohde, Daniela: Haut, Fleisch und Farbe: Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians. Edition Imorde, Emsdetten/Berlin 2002, S. 151-177;

Ferino-Pagden, Sylvia (Hrsg.): Der späte Tizian und die Sinnlichkeit der Malerei. Kunsthistorisches Museum Wien 2007, S. 232-237;

Swoboda, Gudrun (Hrsg.): Idole & Rivalen. Künstlerischer Wettstreit in Antike und Früher Neuzeit. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2022, S. 130-131;

Wald, Robert: Tizians Wiener Danae. Bemerkungen zu Ausführung und Replikation in Tizians Werkstatt. In: Sylvia Ferino-Pagden (Hrsg.), Der späte Tizian und die Sinnlichkeit der Malerei. Kunsthistorisches Museum Wien 2007, S. 123-131;

Zapperi, Roberto: Alessandro Farnese, Giovanni Della Casa and Titian’s Danae in Naples. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 54 (1991), S. 159-171.


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