Albrecht Dürer: Adam und Eva (1507); Madrid, Museo del Prado (für die Großansicht einfach anklicken) |
Mit ihrer rechten Hand
ergreift Eva den Zweig eines in Höhe ihrer Oberschenkel vom Baumstamm
abstehenden Astes. Ein zarter Trieb, der ebenfalls von diesem Ast abgeht,
bedeckt mit vier Blättern Evas Scham; dort hängt auch der „cartellino“ des
Malers, ein hölzernes Täfelchen mit scheinbar daran befestigtem Papier, das
Signatur und Datum trägt: „Albert[us] durer aleman[us] // faciebat post virginis
// partum: 1507 // [Monogramm]“. Der Zweig, auf den Eva ihren rechten
Zeigefinger gelegt hat, wird auf der anderen Bildtafel fortgesetzt –
offensichtlich ist der blätterbesetzte Zweig, den Adam mit der linken Hand
festhält und an dem ein praller Apfel hängt, ein Trieb, der von jenem Ast
ausgeht, den Evas Rechte umfasst. Eva greift mit ihrer rechten Hand also nicht
nach Halt – wahrscheinlicher ist, dass sie den Ast mit leichtem Druck ein wenig
zur Seite biegt und ihn auf diese Weise ihrem Gefährten im doppelten Sinn
näherbringt.
Gegenüber Evas
eleganter Körperdrehung erscheint Adams Stand eher unsicher. In ausgeprägtem
Kontrapost ist der rechte Fuß des Spielbeins zur Seite gesetzt und berührt nur
mit dem Ballen den Boden; allerdings wirkt der Fuß eher steif und verkrampft
als gelöst. Der Unterscheidung von Stand- und Spielbein entsprechend sind die
Körperachsen – Becken und Schultern – gegenläufig geneigt, wodurch sich eine
spiegelsymmetrische Haltung zu Eva ergibt: „Gegeneinander erheben und wölben sich
die Hüften, und zueinander neigen sich die Oberkörper“ (Noll 2009, S. 232).
Auch bei Adam ist vor allem der Kopf zu seiner Gefährtin gewendet, und zwar
stärker noch als bei Eva. Durch die Neigung nach rechts erscheint sein Gesicht
leicht in Untersicht und im Halbprofil, dabei ist der Mund offensichtlich zum
Sprechen geöffnet. Adam setzt wohl an, um Eva, die er anblickt, etwas zu sagen.
Adam ist vor allem
durch seine Gestik charakterisiert: Wie starr, verkrampft ist die rechte Hand
abgespreizt. Die Linke dagegen hält bereits „mit spitzen Fingern“ den Zweig mit
der von Eva empfohlenen verbotenen Frucht. „Der Suggestion seiner Frau, die ihm
den Apfel zuführt, ihn darauf verweist, begegnet augenscheinlich Adams Rede,
ein – wie die Körperhaltung zu erkennen gibt – schwankender Widerstand, der mit
dem ängstlich-zögerlichen Griff nach dem Zweig und der wie mit Anstrengung noch
ferngehaltenen rechten Hand schon halb überwunden scheint“ (Noll 2009, S. 232).
Der von der Schlange ausgehende, über Eva zu Adam sich fortsetzende
Handlungsverlauf wird unterstrichen durch die wehenden Haare des Paares, die
wie von einem auffrischenden Wind bewegt werden.
Von ihr geht alle Bewegung aus |
Thomas Noll sieht
Eva, trotz der spiegelbildlichen Anordnung der Stammeltern, als
„Scharnierfigur“ (Noll 20009, S. 232), als Mittlerin zwischen der Schlange bzw.
der Sünde und Adam. Der Akzent in Dürers Darstellung sei daher entschieden auf
die Verführung Adams durch die Frau gelegt. So wie Dürer den Sündenfall
präsentiert, wird er nicht gemeinsam begangen. Denn der Renaissance-Künstler
veranschaulicht auf seinen beiden Tafeln nicht eine bestimmte Szene aus dem
biblischen Bericht, sondern den gesamten Verlauf des Sündenfalls: Die linke und
die rechte Hand Evas zeigen zwei Handlungsmomente, die sich nicht zeitgleich,
sondern nacheinander ereignen. Deswegen ist die derzeitige Hängung der Bilder
im Prado auch eher unglücklich, weil die beiden Tafeln ca. 250 cm voneinander
getrennt sind – zwischen ihnen hat man Dürers Selbstbildnis von 1498
angebracht.
Mögen Dürers
lebensgroße Aktfiguren von 1507 eine nördlich der Alpen nie zuvor gesehene,
anatomisch durchgestaltete Schönheit des Körpers zeigen – inhaltlich sind sie
noch ganz mittelalterlichen Vorstellungen verhaftet: Der Sündenfall ist weit
mehr der sinnlich bestrickenden Eva anzulasten, die den Apfel zuerst nimmt und
hineinbeißt – und dann Adam dazu verlockt, ebenfalls von der verbotenen Frucht
zu kosten. Dieses Denken konnte sich auf die Autorität des Apostels Paulus
berufen: „Nicht Adam
wurde verführt, sondern die Frau ließ sich verführen und übertrat das Gebot“
(1. Timotheus 2,14; LUT). Dürer hat seiner Darstellung des nackten Urelternpaares
durchaus einen erotischen Charakter verliehen: „Verhalten, aber klar erkennbar,
tritt dieser zum Vorschein an Adams geöffneten Lippen und geröteten Wangen
sowie seinem sehnsüchtigen Blick zu Eva“ (Krieger 2012, S. 33). Dürer gelingt
es, Adams Gesichtsausdruck zwischen leidend und leidenschaftlich changieren zu
lassen.
Der
auffallend karge, steinige Boden erscheint geradezu als das Gegenteil des von
vier Paradiesflüssen bewässerten Gartens Eden und dürfte schon auf die Folgen
des Sündenfalls vorausweisen. In 1. Mose 3,7 kündigt Gott Adam die über ihn
verhängte Strafe an: „Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht
hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot
und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen!
Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang“ (LUT). Auch auf 1. Mose
3,19 könnte angespielt sein: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot
essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde
und sollst zu Erde werden“ (LUT).
Dürer hat das Heil auf einem kleinen Zettel versteckt |
Doch über den Sündenfall und dessen unmittelbare
Folgen hinaus deutet der „cartellino“, der an dem Ast unterhalb von Evas Hand
hängt. Es handelt sich um ein schlichtes, mit einem Stück roter Schnur befestigtes Holztäfelchen, auf dem ein Papierzettel klebt. Darauf datiert Dürer sein Werk nicht mit der Formulierung „anno domini“ oder nur einfach der Jahreszahl
„1507“, sondern mit den Worten „post virginis partum“
(„nach dem Gebären der Jungfrau“), d. h. nach der Geburt Christi durch die
Jungfrau Maria. Neben Eva befindet sich ein zwar unauffälliger, aber dennoch
gewichtiger Hinweis auf die „neue Eva“, Maria nämlich, die der Verheißung des Engels
glaubte und Gott gehorsam war: Die Geburt des Heilands, des „neuen Adam“, ist
der Beginn des Erlösungswerks, durch das Christus die Menschen wieder mit Gott
versöhnen wird.
Albrecht Dürer: Adam und Eva (1504); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Anders
als auf den beiden Gemälden in Madrid präsentiert Dürers berühmter Kupferstich
von 1504 (siehe meinen Post „Aus Göttern werden Menschen“) das Urelternpaar tatsächlich
spiegelsymmetrisch, und zwar beiderseits vom Baum der Erkenntnis und der
Schlange. Eva hält bereits eine Frucht in der Linken und beobachtet, wie die
Schlange ihr eine zweite in die andere Hand gibt. Adam auf der linken Seite hat
seinen Blick auf Eva gerichtet – die, von der Schlange gebannt, ihn nicht beachtet
– und umfasst mit der Rechten noch den Zweig einer Eberesche, den Erwin
Panofsky als Baum des Lebens deutet (Panofsky 1977, S. 113). Mit der vorgestreckten
Linken jedoch scheint er seinen Teil von den verbotenen Gaben der Schlange
einzufordern, wie Adam überhaupt standfester und entschlossener wirkt als auf
der Tafel von 1507. Offensichtlich wird der Sündenfall auf dem Kupferstich
anders gesehen: Betont ist nicht die Verführung Adams durch Eva; vielmehr
haben beide gleichermaßen, d. h. gleich verantwortlich das Gebot Gottes
übertreten (wenn auch zeitlich nacheinander) – die Grafik zeigt eine jeweils
aus eigenem Willen begangene Tat.
Hans Baldung Grien: Lapsus humani generis (1511); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Dass
Eva schwerer gesündigt habe als Adam, ist in der spätmittelalterlichen Theologie
und auch in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Auffassung. Die Kunst um 1500
deutet die Beweggründe Adams, ebenfalls von der Frucht zu kosten, die Eva ihm
anbietet, sehr eindeutig – nämlich als Folge seines sexuellen Begehrens. Als
Beispiel sei der Helldunkel-Holzschnitt Lapsus humani generis von Hans
Baldung Grien angeführt (1511): Adam und Eva stehen dem Betrachter frontal
gegenüber; die Schlange, die sich um einen benachbarten Baum windet, scheint
nur Zuschauer zu sein. Halb hinter seiner Frau stehend, hat Adam die Rechte
erhoben und langt nach einer Frucht vom Baum der Erkenntnis, während er
zugleich mit der linken Hand die Brust Evas umfasst. Eva wiederum reicht Adam
mit der Linken das verbotene Obst; die andere Hand hingegen bedeckt mit einem
Blatt ihre Scham und deutet gleichzeitig auf die Stelle, an der sich hinter
ihrem Oberschenkel das Geschlecht Adams befindet: Es ist Evas erotische
Anziehungskraft, so die unmissverständliche Botschaft des Holzschnitts, durch
die er sich von seiner Frau zur Sünde
hinreißen lässt. Verena Krieger verweist entsprechend darauf, dass die visuell
besonders betonte Weiblichkeit und Schönheit Evas „wesentlich im Dienste einer
misogynen Aussage“ stehe (Krieger 2012, S. 32). Den Sündenfall in dieser Weise
sexuell aufzuladen (was hauptsächlich in der bildenden Kunst geschehen ist),
bedeutet nichts anderes, als die biblische Erzählung umzudeuten.
Lucas Cranach d.Ä.: Adam und Eva (1508-1510); Besançon, Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Hans Baldung Grien: Eva (um 1525); Budapest, Szépművészeti Múzeum |
Hans Baldung Grien: Adam (um 1525); Budapest, Szépművészeti Múzeum |
Hans Baldung Grien: Der Sündenfall (1531); Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza |
Die Paradiesfrucht weckt jedoch bei Adam kein ersichtliches Interesse. Vielmehr konzentriert er sich ganz auf seine Gefährtin: Er steht unmittelbar hinter ihr, dicht an sie gedrängt, sodass ihre nackten Leiber sich auf Brust- und Hüfthöhe berühren. Seine rechte Wange schmiegt er an Evas Schläfe, mit der rechten Hand umfasst er ihre Taille, wobei der Daumen ihre Brust liebkost; mit der Linken berührt er Evas Hüfte, um das die Urmutter ein Gazetuch geschlungen hat. Es ist allerdings so transparent, dass es buchstäblich nichts verschleiert.
Im Paradies wie in der Bildtradition ist der durchsichtige Stoff jedoch ein ausgesprochener Fremdkörper, denn nach dem Sündenfall tragen die Ureltern entweder Schurze aus Feigenblättern (1. Mose 3,7) oder Röcke aus Fell (1. Mose 3,21), aber keinesfalls solch raffiniertes Gewebe, dass ohne Frage die erotische Attraktivität Evas betonen und steigern soll. „Ganz unverkennbar schildert der Maler das Urelternpaar hier nämlich beim Vorspiel zum Geschlechtsakt: Wir treffen auf einen Adam, der gleichermaßen Zärtlichkeit wie Lüsternheit versprüht, und eine Eva, welche sich die Avancen ihres Partners mit der Selbstverständlichkeit und Gelassenheit einer Frau gefallen läßt, die um ihre erotische Anziehungskraft weiß“ (Brinkmann 2007, S. 158).
Sexualität wird hier als die eigentliche Ursünde gezeigt, der Sündenfall gleichgesetzt mit dem ersten Geschlechtsakt. Als Erbsünde dominiert Sexualität das Leben der Menschen bis auf den heutigen Tag, so die Bildbotschaft: Beide Figuren suchen den Blickkontakt mit dem Betrachter, was besonders bei dem aus den Augenwinkeln zu uns schauenden Adam auffällt. Mit seinem Blick macht Adam uns zugleich zum Komplizen, dem er die Schönheit und erotischen Reize der ersten Frau vorführt. Der Sündenfall, dessen Zeuge wir sind, ist für Baldung Grien alles andere als ein abgeschlossenes Stück Geschichte. Der Künstler erneuert damit seine frauen- und sexualitätsfeindliche Sicht des Sündenfalls, die schon seinen Holzschnitt Lapsus humani generis von 1511 kennzeichnete.
Dürers Adam und Eva-Tafeln sind im Anschluss an seine zweite Italienreise (1505 bis 1507) entstanden – deswegen werden sie von der Forschung meist mit den beiden Skulpturen von Antonio Rizzo (1430–1499) am Arco Foscari des Dogenpalastes in Venedig in Verbindung gebracht. Die beiden überlebensgroßen Figuren sind voneinander getrennt vor jeweils eine Nische gestellt. Adam steht im Kontrapost auf der linken Seite, ein athletisch gebauter, bartloser Mann, der in der linken Hand die Frucht hält und die Rechte an die Brust erhoben hat. Mit geöffnetem Mund und aufgerissenen, nach oben verdrehten Augen ist sein Blick
gen Himmel gerichtet.
Vor allem die sehr ähnliche Kopfhaltung von Rizzos Marmorskulptur und
deren Gesichtsausdruck scheint Dürer für seinen Adam entliehen zu haben.
Allerdings hat Rizzo nicht das paradiesische Urelternpaar oder den
Sündenfall dargestellt, sondern das Verhör danach (1. Mose 3,9-13).
Antonio Rizzo: Adam (um 1485); Venedig, Dogenpalast |
Antonio Rizzo: Eva (um 1485); Venedig, Dogenpalast |
Literaturhinweise
Brinkmann, Bodo: Hexenlust und Sündenfall. Die seltsamen Phantasien des Hans Baldung Grien. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2007, S. 147-181;
Krieger, Verena: Adam
als Liebespartner. Zur Konstruktion eines neuen Männlichkeitsideals in Sündenfalldarstellungen
des frühen 16. Jahrhunderts. In: Doris Guth/ Elisabeth Priedl (Hrsg.),
Bilder der Liebe. Liebe, Begehren und Geschlechterverhältnisse in der Kunst der
Frühen Neuzeit. transcript Verlag, Bielefeld 2012, S. 29-66;
Noll, Thomas: Albrecht
Dürers »Adam und Eva« im Prado. Erzählstil, Zeitstruktur und Deutung. In:
Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 63 (2009), S. 225-252;
Panofsky, Erwin: Das
Leben und die Kunst Albrecht Dürers. Verlag Rogner & Bernhard, München 1977
(zuerst erschienen 1943), S. 113-115 und 160-162;
Schoen, Christian: Albrecht Dürer: Adam und Eva.
Die Gemälde, ihre Geschichte und Rezeption bei Lucas Cranach d.Ä. und Hans
Baldung Grien. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2001;
Strieder, Peter: Albrecht Dürer: Adam und Eva. Thesen zum Auftraggeber. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 63 (2009), S. 215-224;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 30. September 2024)
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