Francisco de Zurbarán: Agnus Dei (um 1635/40); Madrid, Museo del Prado (für die Großansicht einfach anklicken) |
Ein Lamm liegt allein mit gefesselten Vorder-
und Hinterhufen auf einem dunkel getönten Stein, ohne jedes Beiwerk und vor
schwarzem Bildgrund – ein ungewöhnliches Motiv, und offensichtlich eine
ganz eigene Erfindung des spanischen Barockmalers Francisco de Zurbarán
(1598–1664). Sieben eigenhändige und signierte Varianten solcher
Lamm-Darstellungen sind uns heute bekannt. Das gebunden und ergeben vor uns
liegende Tier ist nicht nur ein Symbol für Unschuld und duldsamen Gehorsam,
sondern auch und vor allem für das Opfer und die Opferung Jesu Christi. Was wir
sehen, ist das Agnus Dei, das Lamm
Gottes – so nennt Johannes der Täufer Jesus, als er ihm am Jordan begegnet:
„Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ (Johannes 1,29; LUT).
Johannes der Täufer greift damit auf ein Bild
zurück, das im Alten Testament bereits der Prophet Jesaja benutzt, um den
leidenden Messias zu beschreiben: „Er wurde misshandelt, aber er trug es, ohne
zu klagen. Wie ein Lamm, wenn es zum Schlachten geführt wird, wie ein Schaf,
wenn es geschoren wird, duldete er alles schweigend, ohne zu klagen“ (Jesaja
53,7; LUT). Und schon Jesaja betont nachdrücklich, dass der Messias keinen sinnlosen
Tod stirbt, sondern freiwillig „sein Leben als Opfer für die Schuld der
anderen“ hingibt (Jesaja 53,10; LUT). Das eigentliche Thema des Gemäldes ist also
die durch den Kreuzestod Christi erwirkte Sühne für die Sündenlast der
Menschheit und die damit verbundene Erlösung. Deswegen ist Zurbaráns
Präsentation des Lammes vorrangig als Andachtsbild zu verstehen.
Zugleich verweist das Tier auch auf die
Offenbarung des Johannes. Der nämlich sieht in einer seiner Visionen, wie Jesus
im Himmel als das Opferlamm Gottes verherrlicht wird – und mit dem Öffnen der
„sieben Siegel“ (Offenbarung 6,1; LUT) die Vollendung des göttlichen Heilsplans
einleitet: „Und ich sah mitten zwischen dem Thron und den vier Gestalten und
mitten unter den Ältesten ein Lamm stehen, wie geschlachtet; es hatte sieben
Hörner und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes, gesandt in alle
Lande. Und es kam und nahm das Buch aus der rechten Hand dessen, der auf dem
Thron saß. Und als es das Buch nahm, da fielen die vier Gestalten und die
vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamm, und ein jeder hatte eine Harfe und
goldene Schalen voll Räucherwerk, das sind die Gebete der Heiligen, und sie
sangen ein neues Lied: Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel;
denn du bist geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erkauft
aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen“ (Offenbarung 5,6-9; LUT).
Das kleine (38 x 62 cm), seit 1986 im Madrider
Prado ausgestellte Lamm-Gemälde ist unter allen bekannten Fassungen die
gelungenste. Es handelt sich um ein gehörntes Merinoschaf von etwa acht bis
zwölf Monaten, dessen gelocktes Fell Zurbarán täuschend echt wiedergegeben hat.
Seine starken, rauen Hörner sind blassgelb gehalten, die Wolle ist von cremiger
Elfenbeinfarbe, die Schnauze rosa. Das Tier ist nicht tot, sondern liegt
lebendig wie ein zur Opferung bestimmtes Lamm vor uns. Auch die plane
Unterlage, auf der es ruht und die wie ein Altar anmutet, verstärkt diesen
Eindruck.
In einigen Versionen des Motivs ist die religiöse Bedeutung des
Bildes völlig unzweifelhaft, da Zurbarán dort das Lamm mit einem zarten
Heiligenschein versehen hat oder zusätzlich auf der Unterlage noch eine
explizite lateinische Inschrift angebracht ist: „TAMQUAM AGNUS IN OCCISIONE“ („wie
das Lamm vor dem Scherer“) bezieht sich auf die bereits angeführte
Jesaja-Weissagung wie auch auf einen Vers aus der Apostelgeschichte des Lukas,
wo diese Jesaja-Stelle zitiert wird (Apostelgeschichte 8,32).
Francisco de Zurbarán: Agnus Dei (1639); Madrid, Museo de la Real Academia de Bellas Artes de San Fernando |
Francisco de Zurbarán: Anbetung der Hirten (1638); Grenoble, Musée de Grenoble |
Ein ähnliches Lamm mit zusammengebundenen Vorder-
und Hinterbeinen hat Zurbarán auch in einer Anbetung
der Hirten von 1638 (Musée de Grenoble) dargestellt; das dort im
Vordergrund platzierte Tier verweist auf die Bestimmung des neugeborenen Kindes
als Opferlamm und Erlöser.
(zuletzt bearbeitet am 17. Juni 2022)
Literaturhinweise
Belting, Hans: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen. Verlag C.H. Beck, München 2005, S. 123;
Laepple, Ulrich (Hrsg.): Biblisches Wörterbuch.
SCM R.Brockhaus, Witten 2010, S. 339-340;
Wismer, Beat u.a. (Hrsg.): Zurbarán. Hirmer
Verlag, München 2015, S. 187-191;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984,
durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
Vielen Dank für diesen Artikel! Sie machen hier wirklich eine großartige Arbeit!
AntwortenLöschenIch freue mich, dass Sie meinen Blog gelungen finden! Die Zurbarán-Ausstellung in Düsseldorf hat mich einfach sehr begeistert ... (sie läuft noch bis zum 31. Januar 2016).
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