Caravaggio: Geißelung Christi (1607): Neapel, Museo di Capodimonte (für die Großansicht einfach anklicken) |
Ende Mai 1606 war der italienische Barockmaler
Caravaggio (1574–1610) in einen blutigen Streit verwickelt, dessen Umstände
sich anhand der Kriminalakten nur ansatzweise rekonstruieren lassen. Auf beiden
Seiten standen sich vier Kontrahenten gegenüber – einer von ihnen, ein Mann
namens Ranuccio Tomassoni, starb durch die Hand Caravaggios. Da er für diesen
Totschlag eine schwere Strafe fürchten musste, floh der Maler in die Albaner Berge
vor den Toren Roms, wo eine angesehene Schutzherrin ihre Hand über ihn hielt.
Deren Beziehungen ebneten Caravaggio im Spätsommer 1606 den Weg nach Neapel und
sicherten ihm mit großer Wahrscheinlichkeit dort auch die ersten Aufträge.
Mit etwa 300 000 Einwohnern war Neapel, Hauptstadt des
damaligen spanischen Vizekönigtums in Süditalien, die mit Abstand größte Stadt
Italiens und dreimal so groß wie Rom. „Hier residierten nicht nur die spanischen
Vizekönige mit ihrem Hof und die großen Familien des süditalienischen
Feudaladels, sondern auch eine große Zahl von ebenso einflussreichen wie
finanzkräftigen Bankiers, Kaufleuten und Advokaten“ (Schütze 2009, S. 186). In
Neapels Zentrum drängte sich eine schier unübersehbare Menge an Kirchen,
Konventen und Bruderschaften zusammen. All dies machte die Metropole am Vesuv
zugleich zu einem der bedeutendsten Kunstzentren Italiens.
Caravaggio: Die sieben Werke der Barmherzigeit (1606/07); Neapel, Pio Monte della Misericordia (für die Großansicht einfach anklicken) |
Caravaggio schuf in Neapel u.a. das großformatige
Altarbild Die sieben Werke der
Barmherzigkeit (1606/07) für die Kirche des Pio Monte della Misericordia.
Unmittelbar anschließend wurde er mit einer Geißelung
Christi für die Cappella de’ Franchis in San Domenico Maggiore beauftragt
(heute im Museo di Capodimonte ausgestellt). Diesem Bild will ich mich etwas
eingehender zuwenden.
Der Körper Christi ist dem Vorbild der Antike und Michelangelos verpflichtet |
Das Geschehen ist in Matthäus 27,27-31, Markus
15,16-20 und Johannes 19,1-7 überliefert. Christus steht, nur mit einem
Lendentuch bekleidet, an der vor dunklem Hintergrund aufragenden massiven
Geißelsäule. Unter der Misshandlung durch seine Peiniger ist er leicht in die
Knie gesunken. Die athletisch modellierte, schraubenförmig bewegte Aktfigur ist
durch die gegenläufige Wendung von Unter- und Oberkörper bestimmt. Drei
Schergen führen den Auftrag des Pilatus aus. Der rechts stehende stemmt seinen
Fuß auf den Unterschenkel Jesu und fesselt dessen hinter den Rücken geführten
Hände an die Säule. Der Handlanger links hat den dornengekrönten Christus
brutal an den Haaren ergriffen und hält ein Rutenbündel in seiner Rechten,
während der niedergebeugte Folterknecht links im Vordergrund noch dabei ist,
sich eine Rute zu schnüren. Ihrem Opfer, das sich ohne Gegenwehr in sein
Schicksal zu fügen scheint, rinnen Blutstropfen über die Stirn. Wie schon in
der Wiener Dornenkrönung (siehe
meinen Post „Der angespiene König“) neigt Jesus ergeben seinen Nacken. Die
feinen Züge Christi und sein helles Inkarnat kontrastieren deutlich mit den
derben Gestalten seiner Peiniger.
Caravaggio: Dornenkrönung Christi (1602); Wien, Kunsthistorisches Museum |
Jesu Körper „ist von eindrucksvoller physischer Präsenz
und zugleich von klassischer skulpturaler Wirkung, dabei dem Vorbild der Antike
und Michelangelos verpflichtet“ (Schütze 2009, S. 192). Im Aufbau erinnert Caravaggios
Altarbild aber vor allem an Sebastiano del Piombos (um 1485–1547) Geißelung Christi in San Pietro in
Montorio (Rom). Die Brutalität der Folterknechte, besonders jedoch der
aufgestemmte Fuß des rechten Schergen und das halb kniend vorgenommene Schnüren
der Rute lassen vermuten, so Sybille Ebert-Schifferer, dass Caravaggio auch die
Geißelung Christi von Ludovico
Carracci (1555–1619) bekannt war. Mit dem Häscher im Vordergrund zitiert der
Maler deutlich erkennbar eine antike Skulptur, und zwar den sogenannten Messerschleifer.
Sebastiano del Piombo: Geißelung Christi (1524); Rom, San Pietro in Montorio |
Ludovico Carracci: Geißelung Christi (um 1585); Douai, Musée de la Chartreuse |
Messerschleifer (römische Marmorkopie eines hellenistischen Bronzeoriginals), Florenz, Uffizien |
Das Kolorit des Bildes
beschränkt sich, abgesehen von den weißen Hemden der beiden stehenden
Folterknechte und dem Lendentuch Christi, fast gänzlich auf goldbraune
Farbtöne. Caravaggio griff in Neapel zunehmend auf ein vorhandenes
Figurenrepertoire zurück: Auf zwei anderen Gemälden, die vermutlich ebenfalls
1606/07 dort entstanden sind, taucht der linke Scherge ebenfalls auf, nämlich
in dem Londoner Bild Salome mit dem Haupt
des Täufers und in einer weiteren Geißelung
Christi, die sich heute in Rouen befindet.
Caravaggio: Salome mit dem Haupt des Täufers (1606/07); London, National Gallery |
Caravaggio: Geißelung Christi (1606/07); Rouen, Musée des Beaux-Arts |
Caravaggios Aufenthalt in Neapel hätte kaum
erfolgreicher verlaufen können: Innerhalb weniger Monate hatte er sich als
führender Maler etabliert, sodass sich prestigeträchtige Aufträge
aneinanderreihten. Dennoch hoffte er weiterhin, durch ein päpstliches Pardon
nach Rom zurückkehren zu können. Als sich trotz einflussreicher Unterstützung
keine Lösung abzuzeichnen begann, muss jemand Caravaggio direkt oder indirekt
eine neue Perspektive in Aussicht gestellt haben. Sie bestand darin, in die
Dienste des Malteserordens zu treten – um vielleicht in den Orden aufgenommen
zu werden und sich über diesen Umweg die Rückkehr nach Rom zu ermöglichen. Nur
vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum sich der Maler im Juni 1607
nach Malta einschiffte.
Literaturhinweise
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein
Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009, S. 201-208;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2011, S.
186-193.
(zuletzt bearbeitet am 8. Juli 2020)
(zuletzt bearbeitet am 8. Juli 2020)
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