Martin Schongauer: Der hl. Antonius, von Dämonen geplagt (um 1470); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der hl. Antonius, von Dämonen geplagt gehört zu den frühen, d. h. kurz nach 1470 entstandenen Kupferstichen
von Martin Schongauer (um 1440–1491); er war schon bald danach einer seiner
berühmtesten und am häufigsten kopierten Grafiken. Schongauers Kupferstich wird
oft fälschlicherweise Die Versuchung des
hl. Antonius genannt. Versuchungsszenen mit dem hl. Antonius zeigen jedoch Trugbilder,
die der Teufel dem Eremiten vorspiegelt – sie sollen den Heiligen daran
erinnern, welche weltlichen Freuden ihm wegen seiner asketischen Lebensweise
entgehen. Die Überlieferung vom Leben des
Antonius berichtet häufig von Ekstasen und Visionen, bei denen der Eremit Versuchungen
und Peinigungen durch Teufel ausgesetzt war. Eine solch drastische Darstellung
dieser Berichte, wie Schongauer sie zeigt, war in der Kunst allerdings eine
Neuheit.
Hier gibts ordentlich Saures für den Eremiten |
Die Figuren sind nah an den vorderen
Bildrand gerückt; kontrastreich setzen sich die dunklen Gestalten gegen den
hellen Hintergrund ab. Stacheln, Federn, Fell und dergleichen sind virtuos
realistisch wiedergegeben – ohne Zweifel ist diese Genauigkeit von der altniederländischen
Malerei übernommen, mit der sich Schongauer während seiner Wanderjahre intensiv
auseinandergesetzt hatte. Sicherlich beruht die Darstellung einzelner Glieder
und Körperteile auf eigenen Naturstudien, aber ihre Zusammensetzung zu solch bizarren
Plagegeistern war Schongauers originale Erfindung.
Zum einen steht Antonius in Schongauers Darstellung beispielhaft für das demütige Erdulden von Anfechtungen. Zum anderen ist sein Kupferstich theologisch vor allem
mit einer Stelle aus dem Epheserbrief des Paulus in Verbindung zu bringen: „Denn
wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und
Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis
herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“ (Epheser 6,12; LUT).
Schongauers Kupferstich – sein zweitgrößter nach der Großen Kreuztragung (siehe meinen Post „Die Stille im Auge des Sturms“) – machte auf seine Zeitgenossen großen Eindruck. So ließ sich etwa Albrecht
Dürer (1471–1528) in seinen 1498 veröffentlichten Holzschnitten zur Apokalypse und 1513 in seinem
berühmten Kupferstich Ritter, Tod und
Teufel von Schongauers Einfällen inspirieren (siehe meinen Post „Unbeirrt und furchtlos“). Auch Lucas Cranach
d.Ä. (1472–1553) griff 1506 in einem Antonius-Holzschnitt auf Schongauers
Vorlage zurück: Bei ihm ist Antonius in der Luft auf den Rücken gefallen
und wirkt dadurch noch hilfloser; außerdem kontrastiert hier der chaotische
Luftkampf deutlich mit einer stillen Landschaft,
die sich unmittelbar unter der turbulenten Szene entfaltet.
Albrecht Dürer: Ritter, Tod und Teufel (1513); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Lucas Cranach d.Ä.: Der hl. Antonius, von Dämonen geplagt (1506); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Matthias Grünewald: Hl. Antonius, von Dämonen geplagt (Isenheimer Altar); Colmar, Musée d' Unterlinden |
Max Ernst: Die Versuchung des hl. Antonius (1945); Lehmbruck Museum, Duisburg |
Literaturhinweise
Eissenhauer, Michael (Hrsg.): Spätgotik. Aufbruch in die Neuzeit. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2021, S. 236;
Falk, Tilman/Hirthe, Thomas: Martin Schongauer.
Das Kupferstichwerk. Staatliche Graphische Sammlung, München 1991;
Kemperdick, Stephan: Martin Schongauer. Eine
Monographie. Michael Imhof Verlag, Petersburg 2004;
Sonnabend, Martin: Vor Dürer. Kupferstich wird Kunst. Deutsche und niederländische Kupferstiche des 15. Jahrhunderts aus der Graphischen Sammlung des Städel Museums. Sandstein Verlag, Dresden 2022, S. 112-114;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 30. September 2024)
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 30. September 2024)
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