Sandro Botticelli: Pala Bardi (um 1485); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Pala
Bardi – ein von Sandro Botticelli (1445–1510) ursprünglich für eine Kapelle
in der Florentiner Kirche Santo Spirito angefertigtes Altargemälde – verdankt
ihre Bezeichnung ihrem Auftraggeber, dem Medici-Bankier Giovanni de’ Bardi. Die
Mitte des Bildes wird von dem nackten, mit einem weißen Lendentuch umwickelten
Jesuskind eingenommen: Im Schoß seiner Mutter liegend, verlangt es strampelnd
und mit ausgestreckten Ärmchen nach ihrer Brust. Die aufrecht sitzende Maria ist
dabei, ihr Kleid zu öffnen, um den Jungen zu stillen. Mit gesenktem Blick betrachtet
sie ihren Sohn; das Kind blickt aus dem Bild heraus auf den Betrachter. Beide
sind mit einem Nimbus ausgezeichnet. Den Thron Mariens flankieren zwei Heiligengestalten,
links Johannes der Täufer, rechts der Evangelist Johannnes, auch sie sind mit
Nimben versehen. Schauplatz der Szene ist ein blumen- und pflanzenreicher
Garten.
Johannes der Täufer steht da, als wäre
er gerade hinzugetreten – Botticelli hat ihn in einer deutlichen
Schrittstellung abgebildet. Er sieht uns an, weil unser Blick seiner rechten
Hand folgen soll, die auf das Jesuskind weist: Er ist der menschgewordene
Erlöser, das Lamm Gottes, „das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Johannes 1,29; REB). So steht es auch auf dem Band, das am Kreuzstab des Täufers flattert. Im
Gras zu seinen Füßen liegt eine Tonschale, das „Werkzeug“ seines Täuferamtes.
Seine Gesichtszüge sind obligatorisch von Askese gezeichnet. Johannes der
Täufer trägt ein engumgürtetes Kleid aus Kamelfell und einen roten Mantel, eine
Art Umhang, der an einer Schulter verknotet ist.
Der Evangelist Johannes steht rechts
neben dem Thron, gekleidet in ein blaues langärmeliges Gewand und einen
breiten, togaartigen roten Mantel. Beide Kleidungsstücke sind mit goldenen
Bordüren verziert. In der rechten Hand hält er einen Federkiel, in der Linken
zusammen mit einem geöffneten Buch zwischen Daumen und Zeigefinger ein kleines
Tintenfass zum Schreiben. Botticelli präsentiert ihn als Greis mit langen
grauen Haaren und welligem Bart – „eine Gestalt von patriarchenhafter Würde“
(Dombrowski 2004, S. 265); sein Blick wirkt versunken, als würde er auf eine
innere Stimme lauschen: Der Evangelist ist offensichtlich im Begriff, die
„Offenbarung“ niederzuschreiben, das letzte Buch der Bibel. Hinter seinen Füßen
ist ein Adler zu sehen, das Symboltier des Johannes. Im Gegensatz zur
Schrittstellung des Täufers hat ihn der Maler mit einem Kontrapost dargestellt.
Johannes der Täufer und der Evangelist
Johannes – Schutzpatrone der Stadt Florenz und des Auftraggebers Giovanni de’
Bardi – stehen in der vordersten Ebene des Bildes auf einer durchgehenden sandfarbenen
Steinplatte, die von den Bildrändern angeschnitten wird. Sie ist in der Mitte
unterbrochen durch ein kleines Tafelbild mit der Darstellung des einsamen
Gekreuzigten, hinter dem ein bauchiges Kupfergefäß mit abnehmbarem Deckel zu
sehen ist. An diese schmale Plattform schließt sich ein etwas breiterer
pflanzenreicher Streifen an, in dem auch die tönerne Schale des Täufers liegt
und sich rechts der Adler aufhält. In diese Zone ragt die ornamentgeschmückte
Stufe des Marienthrones hinein, die eigentlich schon zur mittleren Ebene des
Bildes gehört.
Die mittlere Ebene ist der breiten
steinernen, marmorverkleideten Thronbank vorbehalten, auf der Maria sitzt. Über
ihrem langen roten Kleid trägt sie einen blauen, mit goldenen Bordüren
verzierten Mantel. Den beiden Männern und Maria sind jeweils eine etwas
verdeckte halbrunde Nische auf dieser Steinbank zugeordnet. Besonders betont
ist die Mittelachse mit Maria und dem Jesuskind, oben zusätzlich durch das
kleine, kunstvoll geflochtene Palmenkreuz, unten durch das Kupfergefäß und das
kleine Bild mit dem Gekreuzigten. Hinter der breiten Thronbank erstrecken sich
drei geflochtene Laub-Nischen, von denen die Personen hinterfangen werden. Sie
bilden die dritte Ebene des Gemäldes. Diese hintere und die mittlere Ebene sind
durch vier kupferne, mit Ästen und Blumen geschmückte Gefäße auf den
vorspringenden Lehnen des Thrones optisch miteinander verbunden.
Neben dem eng gestaffelten Bildraum,
der christologischen Mittelachse und der symmetrischen Anordnung der Figuren
gehören auch die mit Inschriftbändern versehenen Pflanzen zu den Besonderheiten
der Pala Bardi. Sie sind an den
Vasenhälsen und Lilienstengel sowie in den Rosengewinden zu entdecken, meist
erst auf den zweiten Blick. Botticelli zeigt hier Pflanzen, die in einem
irdischen Garten niemals zur selben Zeit blühen könnten. Bei den 15
Schriftrollen handelt es sich um Zitate aus dem apokryphen biblischen
Weisheitsbuch Jesus Sirach (Kapitel 24,8-14). Die allegorisch zu verstehenden
Texte beziehen sich sowohl auf Maria wie auf das menschgewordene Gotteskind.
Die drei großen Figuren der Pala Bardi sind räumlich voneinander
isoliert; sie überschneiden sich an keiner Stelle und gehen auch keine
Blickverbindungen ein. „Von den Blätternischen und den runden Rücksprüngen in
der Architektur wird jeder ein fester, gleichsam unverrückbarer Ort zugewiesen“
(Dombrowski 2010, S. 260). Kunsthistoriker sprechen beim Bardi-Altar zumeist
vom Bildtypus der „Sacra conversazione“. Im weitesten Sinne ist damit eine
Darstellung der thronenden Maria gemeint, die von Heiligen umgeben ist. Der
Begriff suggeriert dabei allerdings ein Gespräch zwischen den abgebildeten
Person, das in der Regel gar nicht stattfindet. Johannes der Täufer ist der
letzte Prophet des Alten Testaments und der erste Verkünder Christi – damit
repräsentiert er auf dem Bardi-Altar den Beginn der Heilsgeschichte. Der greise
Evangelist Johannes wiederum, von dem das letzte Buch der Bibel stammt, steht
für das Ende der Heilsgeschichte, wie sie in seiner „Offenbarung“ vorhergesagt
wird. Das Verbindungsglied für das gemeinsame Erscheinen der beiden Johannes
könnte aber auch jene Stelle aus dem Prolog des Johannes-Evangeliums sein, in
der die Inkarnation Christi mit dem Auftreten des Täufers in unmittelbaren
Zusammenhang gesetzt wird: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte
unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des
eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Johannes gibt Zeugnis
von ihm und ruft: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen,
der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich“ (Johannes 1,14-15; LUT).
Denkt man sich die Pala Bardi über dem Altartisch, dann dürfte die erhobene Hostie
während der Wandlung in der Messe in etwa mit der Figur des Kindes zur Deckung
gekommen sein, „wobei das leuchtende Weiß seines Gewandes diese Analogie wohl
noch verstärkt“ (Dombrowski 2010, S. 266).
Botticellis Bild im Bild: eine Paxtafel |
Aufgrund der Nähe zu diesem Täfelchen dürfte es
sich bei dem Kupfergefäß mit abnehmbaren Deckel um eine eucharistische Pyxis
handeln. „Bereits in karolingischer Zeit wurde damit das auf dem Altar stehende
Behältnis für die Aufbewahrung des Allerheiligsten bezeichnet; seit dem
Spätmittelalter wurde es üblich, den Gläubigen in der Meßfeier die Kommunion
direkt aus der Pyxis zu reichen. Es ist der Akt, der im Meßritus auf den Friedenskuß
folgt; der motivischen entspricht also auch die liturgische Verbindung von
Paxtafel und Pyxis“ (Dombrowski 2010, S. 268/269).
Rogier van der Weyden: Medici-Madonna (um 1460); Frankfurt, Städel Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Dombrowski sieht in der Medici-Madonna des Rogier van der Weyden (1399/1400–1464) eine entscheidende
Anregung für Botticellis Gemälde. Die Tafel des niederländischen Künstlers,
heute im Frankfurter Städel ausgestellt, befand sich damals in Florenz. „Die
Wiese aus Blumen und Kräutern, deren Blätter teilweise über die vorn
angrenzende Architektur herüberlugen; das ›halbe Sechseck‹ des Thronsockels;
die Konzentration auf die besondere Aussage der jeweiligen, einzelnen Figuren;
die verwehrte Raumtiefe; die Betonung der vorderen Bildbegrenzung; die
forcierte Draufsicht: dies alles sind Gestaltungsmerkmale, die in der
flämischen Sacra conversazione vorgebildet
sind“ (Dombrowski 2010, S. 266). Vor allem die Gestalt Johannes des Täufers ist
vergleichbar: Haltung und Ansicht der Füße sind erstaunlich ähnlich, auch wenn
die Figur bei Rogier mit einem Fuß auf der nächsthöheren Stufe des Thrones
steht.
Literaturhinweise
Blume, Andrew C.: Giovanni de’ Bardi and Sandro Botticelli in Santo Spirito. In: Jahrbuch
der Berliner Museen 37 (1995), S. 169-183;
Dombrowski, Damian: Die religiösen Gemälde Sandro Botticellis. Malerei als pia philosophia. Deutscher Kunstverlag,
Berlin/München 2010,
S. 255-275;
Jászai, Géza: »Heilige Repräsentation« / »Santa Rappresentazione«. Zur Deutung des
Bardi-Altars von Botticelli in Berlin. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 73
(2010), S. 273-281;
Zöllner, Frank: Sandro Botticelli. Prestel Verlag, München 2005, S. 145-149;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart;
REB = Revidierte Elberfelder Bibel (Rev. 26) © 1985/1991/2008, SCM R.Brockhaus im SCM Verlag, Witten.
(zuletzt bearbeitet am 25. Februar 2022)
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart;
REB = Revidierte Elberfelder Bibel (Rev. 26) © 1985/1991/2008, SCM R.Brockhaus im SCM Verlag, Witten.
(zuletzt bearbeitet am 25. Februar 2022)
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