Albrecht Dürer: Abendmahl (1523); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
In den Jahren 1496 bis 1500 schuf
Albrecht Dürer (1471–1428) eine Gruppe von sieben Holzschnitten mit Passionsszenen, die er
als Einzeldrucke vertrieb. Diese Blätter ergänzte der Nürnberger Meister 1510
um vier weitere Darstellungen. Mit einem Titelblatt und einem lateinischen Text
versehen, wurde die Folge 1511 als Buch publiziert – wir kennen sie heute als
Dürers Große Passion. In dieser Zeit entstanden auch die 57 Holzschnitte der Kleinen Passion. Dürers letzter Holzschnitt zur Leidensgeschichte Jesu, das
querformatige Abendmahl, stammt aus dem
Jahr 1523: Es gilt als Beispiel für den radikal vereinfachenden Spätstil des
Künstlers, der durch eine „minimalistisch-strenge und ernste Formensprache“
(Schoch 2002, S. 488) gekennzeichnet ist.
Ein nackter, flachgedeckter Kastenraum dient als Bühne.
Vor seinen kahlen Wänden steht ein roh gezimmerter Holztisch, dessen Platte die
Komposition horizontal in zwei Hälften teilt. Er bildet eine Barriere, hinter
der in drei Gruppen der Heiland und seine Jünger sitzen, fokussiert auf die
Hauptfiguren Christus, Johannes und Petrus. Als einziger Gegenstand steht links
ein Kelch auf dem abgeräumten Tisch. Nicht weniger ostentativ sind im
Vordergrund rechts weitere Gegenstände am Boden abgestellt: eine blanke
Metallschüssel, ein gefüllter
Brotkorb, eine Weinkanne und ein Täfelchen mit dem Dürer-Monogramm und der
Jahreszahl 1523. Insgesamt ist die Komposition klar zentriert und ausgewogen spiegelsymmetrisch, dabei aber eher reliefhaft als tiefenräumlich angelegt. Der niedrige Blickpunkt des Betrachters lässt das Gefühl entstehen, „man knie vor der Szene“ (Sonnabend 2007, S. 224). Christus sitzt an zentraler Stelle;
sein Haupt befindet sich über dem des Johannes und einer markanten Tischtuchfalte genau in der Mitte der Rückwand, bildet aber nicht den
perspektivischen Fluchtpunkt der Komposition. Den Tisch hat Dürer „scharf nach
links geschoben (so scharf, daß die Figur am Ende durch den Rand entzwei geschnitten
ist), und das Gewicht eines enormen Rundfensters fällt auf die rechte Seite“
(Panofsky 1977, S. 297).
Leonardo da Vinci: Abendmahl (1494-1497); Mailand, Santa Maria delle Grazie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Anders als die Künstler vor ihm hält Dürer sich bei seinem Abendmahl sehr genau an die Schilderung des Johannes-Evangeliums (Johannes 13-17). Dort wird berichtet, dass Jesus als Zeichen seiner Demut zuerst den Jüngern die Füße wusch (Johannes 13,5-12). Auf die Fußwaschung folgt das Passah-Mahl und die Ankündigung des Verrats (Johannes 13,21-31), denn Judas hat den Saal verlassen, nachdem ihm Jesus einen in Wein getauchten Bissen überreicht und ihn so als Verräter kennzeichnet (Johannes 13,26-31). Die Mahlzeit ist vorüber, was man auch daran sieht, dass ein Jünger links noch seinen Teller in der Hand hält und sein Nachbar gedankenverloren mit dem Messer Krümel auf dem Tisch aufpickt.
Die optische Präsenz des Kelches und des auf dem Boden abgestellten Brotkorbs
sowie die Weinkanne legen nahe, in ihnen Hinweise auf die Einsetzung des
Abendmahls zu sehen. Doch das eigentliche Thema des Holzschnitts sind die
Abschiedsreden Jesu (Johannes 13,31-16,33). „Deshalb liegt der Fluchtpunkt der
auffällig inzenierten zentralperspektivischen Konstruktion im Arm Christi, den
er im Redegestus ausgestreckt hat“ (Suckale 2013, S. 258/259). Gezeigt ist also in konsequenter Anlehnung an das Johannes-Evangelium, was sich nach der Verratsankündigung und der Einsetzung des Abendmahls ereignet – eine Phase, die innerhalb der Bildtradition sonst nirgends auftaucht.
Erwin Panofsky sieht den Hauptinhalt von Dürers Grafik in der Verkündigung des „neuen Gebots“ und damit in der „Einrichtung der evangelischen Gemeinschaft“ (Panofsky 1977, S. 298): „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Johannes 13,34-35; LUT). Der Betrachter wird, so Karl Arndt/Bernd Moeller, zum Ohrenzeugen der Predigt Christi: „Die Aufmerksamkeit, die Nachdenklichkeit und die Andacht, die die Jünger in unterschiedlicher Weise erkennen lassen, ist auch ihm abverlangt, und der so deutlich hell vor dunkel zur Geltung gebrachte Zeigegestus des Jüngers in der Gruppe rechts am Tisch lässt sich in diesem Zusammenhang als ein ausdrücklicher Wink verstehen, die Worte Jesu zu bedenken“ (Arndt/Moeller 2005, S. 172).
Erwin Panofsky sieht den Hauptinhalt von Dürers Grafik in der Verkündigung des „neuen Gebots“ und damit in der „Einrichtung der evangelischen Gemeinschaft“ (Panofsky 1977, S. 298): „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Johannes 13,34-35; LUT). Der Betrachter wird, so Karl Arndt/Bernd Moeller, zum Ohrenzeugen der Predigt Christi: „Die Aufmerksamkeit, die Nachdenklichkeit und die Andacht, die die Jünger in unterschiedlicher Weise erkennen lassen, ist auch ihm abverlangt, und der so deutlich hell vor dunkel zur Geltung gebrachte Zeigegestus des Jüngers in der Gruppe rechts am Tisch lässt sich in diesem Zusammenhang als ein ausdrücklicher Wink verstehen, die Worte Jesu zu bedenken“ (Arndt/Moeller 2005, S. 172).
Im Zentrum der Szene hat Dürer neben Christus die Gestalt des Petrus platziert. Konzentriert und mit gefalteten Händen blickt der Jünger über die rechte Schulter auf seinen Herrn. An zwei Textpassagen aus dem Johannes-Evangelium kann sich der Betrachter dabei erinnert fühlen: an die Schilderung der Fußwaschung (Johannes 13,6-10) mit dem Gespräch zwischen Christus und Petrus und an die Treuebekundung des Jüngers, auf die Christus mit der Voraussage von dessen dreimaliger Verleugnung antwortet (Johannes 13,36-38). Der sehr jugendliche, ja nahezu kindhaft wirkende Johannes liegt anders als in Dürers Holzschnitt von 1510 nicht an der Brust Jesu. Vielmehr hat er beide Hände auf dem Tisch zusammengelegt und den Kopf auf den linken Unterarm gebettet. Er scheint zu schlafen und jedenfalls dem Geschehen um ihn vollkommen entrückt.
Albrecht Dürer: Abendmahl (1510, Große Passion); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Albrecht Dürer: Fußwaschung (1508/09, Kleine Passion); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Panofsky hat Dürers Holzschnitt als Stellungnahme zur reformatorischen Abendmahlsdiskussion verstanden. Die herausgehobene Position des Kelches deutet er als Bekenntnis zu Luthers Forderung nach dem Laienkelch – deswegen erkennt er in der leeren Schüssel im Vordergrund auch nicht das Becken der Fußwaschung, vielmehr fehle hier das Passah-Lamm; „seine Abwesenheit ist fast herausfordernd proklamiert, mit der Absicht, die Lehre einzuschärfen, daß das Abendmahl des Herrn ,kein Opfer‘ ist“ (Panofsky 1977, S. 297). Robert Suckale hat dieser Sicht widersprochen: Es entspreche nicht der Denkweise Dürers, in seinen Bildern auf die Tagespolitik einzugehen, und es sei auch nicht sicher, dass der Kelch der Eucharistie gemeint ist, da im Johannes-Evangelium die Einsetzung des Abendmahls überhaupt nicht erwähnt wird. Man könne ihn am besten als das Weingefäß deuten, in das Jesus den Bissen für Judas getaucht hat (Johannes 13, 26).
Dürer hat in seinem Holzschnitt die Abfolge des letzten Abendmahls bis zum „neuen Gebot“ zusammengefasst, indem das bereits Geschehene anhand von Kelch, Brotkorb, Kanne und Schüssel sowie durch den fehlenden Judas in Erinnerung gerufen wird. Was wir als Betrachter nun vor uns sehen, ist die von Jesus gestiftete Gemeinschaft der einander Liebenden. An dieser Gemeinschaft der ersten Christen soll sich die Christengemeinde der eigenen Zeit orientieren: Die Jünger sind durch das Abendmahl, durch Christi vorbildhaftes Dienen und sein „neues Gebot“ der Liebe zusammengeschlossen und nehmen gläubig die Worte Jesu auf. Dass Dürer die Jünger nur in der Rolle als Hörende darstellt, betont den Stellenwert, den „das Wort“ und die Predigt in der frühen Reformationsbewegung eingenommen haben.
Albrecht Dürer: Das letzte Abendmahl (1523; Federzeichnung); Foto: © Albertina, Wien |
Literaturhinweise
Arndt, Karl/Moeller, Bernd: Albrecht Dürer im Spannungsfeld der frühen Reformation. Seine Darstellungen des Abendmahls Christi von 1523. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005;
Panofsky, Erwin: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers. Rogner & Bernhard, München 1977 (zuerst erschienen 1943), S. 295-298;
Panofsky, Erwin: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers. Rogner & Bernhard, München 1977 (zuerst erschienen 1943), S. 295-298;
Price, David: Albrecht Dürer’s „Last Supper“ (1523) and the „Septembertestament“. In:
Zeitschrift für Kunstgeschichte 59 (1996), S. 578-584;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003, S. 58-59;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003, S. 58-59;
Schröder, Klaus
Albrecht/Sternath, Maria Luise (Hrsg.): Albrecht Dürer. Zur Ausstellung
in der Albertina Wien. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2003, S. 518;
Schoch, Rainer: Das letzte Abendmahl, 1523. In: Matthias Mende u.a. (Hrsg), Albrecht
Dürer. Das druckgraphische Werk. Band II: Holzschnitte. Prestel Verlag, München
2002, S. 486-488;
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007, S. 224;
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007, S. 224;
Suckale, Robert: Dürers
Stilwechsel um 1519. In: Petra Schöner/Gert Hübner, Artium Conjunctio.
Kulturwissenschaft und Frühneuzeitforschung. Aufsätze für Dieter Wuttke. Verlag
Valentin Koerner, Baden-Baden 2013, S. 245-267;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 14. April 2021)
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 14. April 2021)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen