Lucas Cranach d.Ä.: Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (1504); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ ist
ein Bildthema, das auf den knappen Angaben des Matthäusevangeliums beruht: „(...)
siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum
und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach
Ägypten und bleib dort, bis ich dir’s sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein
zu suchen, um es umzubringen. Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine
Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten und blieb dort bis nach dem
Tod des Herodes“ (Matthäus 2,13-15; LUT). Ausgeschmückt werden diese Ereignisse dann
durch apokryphe Schriften, vor allem durch das Thomas- und das
Pseudo-Matthäusevangelium. Das Tafelbild von Lucas Cranach d.Ä. (1472–1553),
1505 enstanden, ist wohl die bekannteste Darstellung dieses Motivs in der
deutschen Malerei.
Eingebettet in eine ebenso liebliche
wie üppige Wald- und Wiesenlandschaft, präsentiert Cranach die Heilige Familie
inmitten einer Schar von Kinderengeln. Der Maler hat seine Figuren in einer
Dreieckskomposition angeordnet, deren Spitze der Kopf des stehenden Josef bildet.
Der Nährvater Jesu hat seine Kappe abgenommen und hält sie vor die Brust,
sodass sein kahles Haupt zu sehen ist. Seine skeptisch und besorgt wirkenden Gesichtszüge
werden von einem grau-braunen, lockigen Bart gerahmt. Über einem dunkelblauen
Gewand trägt Josef einen roten Überwurf; mit der Linken hält er einen Gehstock.
Josef wendet sich leicht nach rechts, zu Maria hin, sein Blick jedoch ist auf den
Betrachter gerichtet.
Wenn es nach Josef geht, dann stören wir als Betrachter eher |
Maria sitzt auf dem Boden und stützt
mit beiden Händen das Jesuskind ab. Ihr leuchtend rotes Kleid ist in seiner
verschwenderischen Fülle an schimmerndem Stoff und sich kräuselnden Falten um
sie herum ausgebreitet. Auf ihrem Oberschenkel liegt eine Windel, deren anderes
Ende von ihrem rechten Arm herabhängt. Marias jugendliche Gesichtszüge werden
von ihrem offen getragenen, langen rötlichen Haar umspielt; ihr Kopf ist von
einem zarten Strahlenkranz umgeben. Auch Maria blickt den Betrachter an –
zurückhaltend zwar, aber weniger abweisend als Josef.
Marias nackter Sohn streckt mit großem
kindlichem Interesse seine Arme nach einer Erdbeerpflanze aus, die ihm ein
ebenfalls nackter Kinderengel reicht. Links davon schließt eine Gruppe von vier
musizierenden Engeln die Dreieckskomposition ab. Während drei der Engel, mit
Notenblättern und Flöten ausgestattet, in prächtige Gewänder gehüllt sind, hat
sich ein nackter Engel dazugesellt und legt dem singenden Engel die Hand auf
die Schulter. Dieser hat dirigierend die rechte Hand erhoben. Integriert in die
Gesamtkomposition, bilden die vier Engel ebenfalls ein Dreieck. Die Gewänder
der beiden im Vordergrund sind in ihrem Faltenwurf ähnlich angelegt wie das von
Maria. Die unbekleideten Engel sind allesamt etwas jünger als die
musizierenden, im Alter ungefähr dem Jesuskind entsprechend.
Drei weitere Engel beleben die linke
Bildhälfte: Einer fängt Wasser aus einer Quelle in einem Gefäß auf, während von
einem anderen schlafenden Engel nur der Kopf und ein stützender Arm hinter
einem moosbewachsenen Stein hervorragen. Der dritte der Gruppe hat einen
Papagei bei den Flügeln gepackt und versucht das Tier unter Kontrolle zu bringen.
Auf einem Stein im Vordergrund sind zwei transparente Tücher ausgebreitet – sie
tragen neben der Jahreszahl „1504“ das Cranach-Monogramm, bestehend aus den
ineinandergestellten Buchstaben L und C.
Lucas Cranach d.Ä.: Büßender Hieronymus (1502); Wien, Kunsthistorisches Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Wie schon in seinem Wiener
Hieronymus-Gemälde (siehe meinen Post „Glaube in Ekstase“) erhält die Landschaft,
in die Cranach seine Figuren einfügt, einen hohen Stellenwert. Mit großem Detailreichtum
schildert er die Flora dieser mitteleuropäisch anmutenden Szenerie. Neben der
schon erwähnten Erdbeere sind unter anderem Disteln, Schlüsselblumen, Erdrauch
und Akelei zu erkennen. Die Mittelachse des Bildes wird von einer mächtigen,
weit ausladenden und stellenweise mit eisgrauen Flechten besetzten Fichte besetzt. Einer ihrer Äste liegt auf Josefs Schulter. Links
befindet sich auf gleicher Höhe eine Felsformation, aus der das Quellwasser
entspringt und die ebenfalls üppig mit Bäumen und Buschwerk bewachsen ist. Den
im Mittelgrund aufragenden Berg bekrönt eine Burg. Der weite
Landschaftsausblick am rechten Bildrand wird nur durch eine einzelne Birke im
Mittelgrund verstellt. „Ihre Krone neigt sich leicht nach
rechts und damit zu der Fichte im Zentrum hin, deren vor allem nach rechts
ausladende Äste darauf zu antworten scheinen“ (Bonnet/Kopp-Schmidt 2010, S.
140). Die beiden Bäume greifen damit die Körperhaltungen und -ausrichtungen von
Josef und Maria auf und betonen ihre Zusammengehörigkeit zusätzlich. Die Verbundenheit
der Figuren mit der Natur wird auch augenfällig durch den Fichtenast, der auf
Josefs Schulter ruht; er verstärkt die Atmosphäre von Geborgenheit und idyllischer
Ruhe, die das gesamte Bild ausstrahlt. Nichts deutet hier auf Eile oder Flucht hin.
Wo der Engel Schar sich tummelt, wird’s schon mal wuselig |
Insbesondere
der fehlende Esel hat Kunsthistoriker fragen lassen, ob Cranachs Gemälde
wirklich eine Rast auf dem Weg nach Ägypten zeigt – oder nicht eher die Verherrlichung
Mariens im Vordergrund steht: Sie ist als einzige Figur mit einem Nimbus ausgezeichnet,
und eine ganze Reihe von Bildgegenständen lassen sich symbolisch auf die
Gottesmutter beziehen. So könnte die Wasserquelle am linken Bildrand als
Sinnbild ihrer Reinheit gedeutet werden. Auch der Papagei und einige der Pflanzen
gehören zu den Mariensymbolen: Da man im Mittelalter glaubte, das Gefieder des bunten Vogels werde weder vom Regen noch vom Tau nass, sah man darin eine Analogie zur jungfräulichen Empfängnis der Gottesmutter. Die Distel könnte in diesem Zusammenhang auf die Schmerzens Mariens
vorausweisen; die Erdbeere wiederum, die zu gleicher Zeit Blüten und Früchte
hervorbringt, ihre simultane Jungfräulichkeit und Mutterschaft
versinnbildlichen. Ob dieser Symbolismus aber von Cranach beabsichtigt ist und auch
genau die genannten Bedeutungen gemeint sind, muss offen bleiben.
Kompositionell könnte Cranachs Ruhe auf der Flucht nach Ägypten – 1504 entstanden und sein erstes signiertes Tafelbild – von Albrecht Dürers Holzschnitt Die Heilige Familie mit den drei Hasen (1497) angeregt sein: Auch hier wird dem Betrachter ein leicht gebückter Josef präsentiert, der Stock und Hut in seinen Händen hält. Allerdings ist er bei Dürer hinter Maria am rechten Bildrand platziert und scheint im Begriff, aus dem Bild zu schreiten. Cranachs Maria lehnt sich ebenfalls an Dürers Holzschnitt an, auch wenn sie nun seitenverkehrt wiedergegeben ist.
Kompositionell könnte Cranachs Ruhe auf der Flucht nach Ägypten – 1504 entstanden und sein erstes signiertes Tafelbild – von Albrecht Dürers Holzschnitt Die Heilige Familie mit den drei Hasen (1497) angeregt sein: Auch hier wird dem Betrachter ein leicht gebückter Josef präsentiert, der Stock und Hut in seinen Händen hält. Allerdings ist er bei Dürer hinter Maria am rechten Bildrand platziert und scheint im Begriff, aus dem Bild zu schreiten. Cranachs Maria lehnt sich ebenfalls an Dürers Holzschnitt an, auch wenn sie nun seitenverkehrt wiedergegeben ist.
Albrecht Dürer: Die Heilige Familie mit den drei Hasen (1497); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Hans Baldung Grien: Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (um 1512); Wien, Akademie der bildenen Künste |
Literaturhinweise
Bonnet, Anne-Marie/Kopp-Schmidt, Gabriele: Die Malerei der deutschen Renaissance.
Schirmer/Mosel, München 2010, S. 140;
Heiser, Sabine: Das Frühwerk Lucas Cranachs des Älteren. Wien um 1500 – Dresden um
1900. Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 2002, S. 112-119;
Stadlober, Margit: Der Wald in der Malerei und der Graphik des Donaustils. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2006, S. 198-204;
Wranek, Kathrin: Untersuchungen zu Lucas Cranachs sog. „Ruhe auf der
Flucht nach Ägypten“. Ein ikonographischer Beitrag zur Altdeutschen Malerei.
VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2008;
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 11. Februar 2021)