Rembrandt: Das Gastmahl des Belsazar (um 1635); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Geschichte, die uns Rembrandt auf seinem um
1635 entstandenen Belsazar-Gemälde
erzählt, ist dem Alten Testament entnommen, und zwar dem 5. Kapitel des Buches
Daniel. Als der babylonische König Nebukadnezar Jerusalem eroberte und das Volk
Israel in die Gefangenschaft führte, raubte er auch die geheiligten
Tempelgefäße. Sein Sohn Belsazar entweiht die sakralen Gerätschaften, indem er
sie bei einem großen Festmahl als Tafelgeschirr benutzt. Bald darauf erscheint
eine Hand, die etwas an die Wand schreibt, das keiner der Gelehrten des Königs
entziffern kann. Belsazar lässt daraufhin den Juden Daniel kommen, der ihm die hebräischen
Worte vorliest und deutet: „So aber lautet die Schrift, die dort geschrieben
steht: Mene mene tekel u-parsin. Und sie bedeutet dies: Mene, das ist, Gott hat
dein Königtum gezählt und beendet. Tekel, das ist, man hat dich auf der Waage
gewogen und zu leicht befunden. Peres, das ist, dein Reich ist zerteilt und den
Medern und Persern gegeben“ (Daniel 5, 25-28; LUT).
Sechs Personen haben sich auf Rembrandts Bild um
einen von links ins Bild ragenden Esstisch versammelt; zwei von ihnen sind nur
von hinten zu sehen. Auf einer grünlichen Tischdecke ist Gold- und
Silbergeschirr aufgetragen, außerdem ein Teller mit tiefblauen Weintrauben. In
der Mitte der Szene, die Nachbarn hoch überragend, ist der Babylonier-König Belsazar
mit ausgebreiteten Armen aufgesprungen, sein goldener Pokal kippt um, der Wein
schwallt auf den Tisch. Erbleichend hat er den Kopf ins Profil gewendet und erstarrt
mit aufgerissenem Auge – es springt ihm fast aus der Höhle – vor einem
sonnenhaften, in unmittelbarer Nähe erstrahlenden, blendenden Lichtkreis: An
dessen Rand ist aus dunklem Gewölk gespenstisch eine lebendig wirkende rechte
Hand erschienen und hat „auf die getünchte Wand im Königspalast“ (Daniel 5,5; LUT)
soeben die fünfzehn großen hebräischen Schriftzeichen geschrieben; sie glühen wie eben aus dem Feuer genommene Brandeisen.
Das wird ein Fest ohne Notausgang |
Belsazar trägt einen goldstrahlenden,
mantelartigen, pelzverbrämten Überwurf mit kostbarer Schließe und auf seinem steilen
Turban eine Krone. Der Turban selbst ist aus schillernden, perlweißen
Tuchbahnen zusammengesetzt; die Edelsteine daran – Onyx, Rubine, Bergkristalle
und vor allem der große Stein am Schaft der Turbanquaste – sind aus pastos
aufgetragenen Farbklecksen gebildet. Der König hat das
Aufleuchten des magischen Lichtkreises in seinem Rücken verspürt und auffahrend sein Antlitz
entgegen der breit ausladenden Körperstellung seit- und rückwärts gedreht. Sein
entsetzter Blick geht über Schulter und linken Arm. Auch in Rembrandts Opferung Isaaks von 1635 wird die abrupte
Kopfwendung durch eine Überraschung von hinten ausgelöst. Dort findet sich auch
der erhobene Arm, in dem sich Belsazars Erschrecken ausdrückt (siehe meinen Post „Das Messer an der Kehle“).
Rembrandt: Opferung Isaaks (1636); St. Petersburg, Eremitage |
Belsazar erschreckt mit seiner heftigen Reaktion – sein Wams ist aufgeplatzt, als er aus seinem Stuhl aufspringt – die gesamte Tischgesellschaft. Die
verschlüsselte Botschaft vor Augen, steht der König wie versteinert; seine
Rechte stützt sich verkrampft auf die Goldschale – ihr nahe gegenüber umschließt
eine Frauenhand noch geruhsam die Stuhllehne. Belsazars waagrecht erhobene
Linke hält versteift inne. Die blondgelockte Frau hinter ihm drängt bestürzt
nach links und ringt verstört die Hände. Belsazars Nachbarin zur Rechten reagiert
ebenso entgeistert: Voller Angst fährt sie zusammen und duckt sich reflexhaft vor
der mysteriösen Erscheinung; ihr Körper kippt dabei derart schreckhaft in die
Horizontale, dass sie den Wein in ihrem gefüllten Pokal ausschüttet. Das leuchtende Rot ihres Kleides ist
die einzige intensive Buntfarbe neben den anderen vergleichsweise nahe
beieinander liegenden Farbtönen, die Rembrandt ausgewählt hat. Ihre Haltung,
vor allem auch die nackten Schultern, könnte Rembrandt aus dem Raub der Europa des italienischen
Renaissancemalers Veronese (1528–1588) übernommen haben – eine Kopie des Bildes
war in der Amsterdamer Sammlung eines Rembrandt-Auftraggebers zu sehen.
Veronese: Raub der Europa (um 1584); Rom, Musei Capitolini |
Der
bärtige Alte und die jugendliche Frau verstärken den Tiefenzug des Bildes, indem der Mann
sich vorlehnt, um mehr sehen zu können, während sie mit aufgerissenen Augen vor
der Schrift an der Wand zurückweicht. Hinter ihnen erscheint noch eine
verschattete Flötenbläserin, die das schaurige Ereignis offensichtlich noch
nicht bemerkt hat. Die lebensgroßen Figuren sind so nah an den Bildrand
herangerückt, dass sich der Betrachter als unmittelbarer Zeuge dieses Augenblicks
erleben muss. Diese Nähe wirkt geradezu beklemmend und weckt das Gefühl eines
unheilvollen Zusammengepferchtseins: „Dies ist ein Fest ohne Notausgang“
(Schama 2000, S. 416).
Die beiden Kelche links und rechts von Belsazar
verweisen auf den sündhaften Missbrauch, und der so plötzlich im Moment des
Schreckens vergossene Wein kündet nicht nur das Ende des Festmahls an, sondern
deutet auch auf das Schicksal des Königs voraus, das von einem Augenblick zum
anderen umschlägt. Denn ein Kelch zeigt nicht nur, so Hans Kauffmann, Lebensfreude
und Festlichkeit, sondern steht auch für „Los, Schicksal, göttliche Prüfung“
(Kauffmann 1977, S. 173) und taucht in diesem Sinn auch immer wieder in der
Bibel auf (z. B. Jesaja 57,17 oder Matthäus 26,39). Dieser Umschlag des Glücks
– Aristoteles nennt es „Peripetie“ – bzw.
der kurze spannungsgeladene Moment davor, verdichtet sich in der
Orakelhand: Rembrandt hat sie genau in dem Augenblick dargestellt, bevor der letzte Buchstabe
vollendet und damit das Schicksal des Königs besiegelt ist. Daniel entschlüsselt
ihm die Bedeutung der Schrift, und der Herrscher findet noch in derselben Nacht
den Tod.
Literaturhinweise
Kauffmann, Hans: Rembrandts „Belsazar“. In:
Friedrich Piel/Jörg Traeger (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Braunfels. Verlag
Ernst Wasmuth, Tübingen 1977, S. 167-176;
Schama, Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag, Berlin 2000, S. 416-418;
van Thiel, Pieter: Das Gastmahl des Belsazar. In: Christopher Brown u.a. (Hrsg.), Rembrandt. Der Meister und seine Werkstatt. Gemälde. Schirmer/Mosel, München 1991, S. 184-186;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 1. Januar 2021)
Schama, Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag, Berlin 2000, S. 416-418;
van Thiel, Pieter: Das Gastmahl des Belsazar. In: Christopher Brown u.a. (Hrsg.), Rembrandt. Der Meister und seine Werkstatt. Gemälde. Schirmer/Mosel, München 1991, S. 184-186;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 1. Januar 2021)
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