Imad-Madonna (zwischen 1051 und 1058), Paderborn, Erzbischöfliches Dom- und Diözesanmuseum |
Mittelalterliche Marienskulpturen gehören zu den
frühesten nachweisbaren Bildwerken der mobilen Kirchenausstattung. Einen
Sondertyp solcher plastischen Mariendarstellungen will ich hier vorstellen: die
thronende Maria mit dem Jesuskind auf ihrem Schoß. Die Anerkennung der Mutter
Jesu als „Gottesgebärerin“ war ein Akt der frühen Kirche – sie wurde mit den
Beschlüssen des Konzils von Ephesus im Jahr 431 dogmatisch verankert. Die offizielle
Verleihung des Titels „Theotókos“ begründete seit dem 5. Jahrhundert die
besondere Verehrung Mariens in ihrer Eigenschaft als Gottesmutter, um ihre
Teilhabe am göttlichen Heilswirken zu betonen. Die Darstellung als thronende Königin
und damit als eindeutig Herrschende war aber auch bedeutsam vor dem Hintergrund
immer wieder aufflammender häretischer Bewegungen, die die Gottesmutterschaft
Mariens in Zweifel zogen.
Die thronende Gottesmutter wurde als Sitz der göttlichen
Weisheit (Sedes Sapientiae) verstanden, auf dem das Christuskind als
menschgewordener Logos (Johannes 1,14) Platz genommen hat. Die Bezeichnung Sedes
Sapientiae geht auf den im Alten Testament beschriebenen kostbaren Thron König
Salomos zurück (1. Könige 10, 18-23), der auf Maria bezogen wurde. Der
christologische Aspekt dominiert in der Frühzeit – bis in das 12. Jahrhundert
hinein – diesen Darstellungstypus. Zunächst ist er auf Elfenbeinreliefs, auf Buch-
oder Wandmalereien anzutreffen (meist im szenischen Zusammenhang einer
Magierhuldigung); spätestens ab der ottonischen Zeit erscheint die Sedes
Sapientiae auch als autonomes, vollplastisches Marienbild, meist aus Holz
gefertigt, mit Metallblech verkleidet oder farbig gefasst.
Als Beispiel sei hier etwas näher auf die 112 cm
hohe, aus Lindenholz geschnitzte Paderborner Imad-Madonna eingegangen. Sie gilt
als ein Hauptwerk ottonischer Kunst. Streng frontal auf den Betrachter
ausgerichtet, sitzt die Gottesmutter aufrecht auf einem mit einem flachen Kissen bedeckten und mit niedriger Rückenlehne versehenen Thronsessel. Die Seiten des Throns sind nicht erhalten. Mit ihrer rechten Hand vollführt die Madonna eine segnende
Geste, während sie mit ihrer Linken das seitlich auf ihrem linken Oberschenkel sitzende Jesuskind stützt. Der im Profil erscheinende Christus führt in aufrecht thronender Haltung ebendiesen Segnungsgestus mit
seiner Rechten aus, während er mit der linken Hand ein Buch in seinem Schoß festhält. Der Knabe trägt eine knöchellange Tunika; sein in der Mitte gescheiteltes Haar fällt hinter den Ohren in sanftem Schwung bis auf den Rücken herab.
Die Palla
der Paderborner Madonna lässt ihre Ohren unverhüllt und geht direkt in ihren
Mantel über – in der originalen Fassung dürften die beiden Textilien farblich
unterschieden worden sein. Das Gewand der Gottesmutter legt sich in langen Falten über ihren Körper und fällt zu beiden Seiten der Füße auf den Boden. Die Unterschenkel werden dabei von den Stoffbahnen umspielt und bleiben als solche erkennbar. Wie der Körper ist auch der (im Verhältnis zum Körper zu kleine) Kopf der Imad-Madonna in
einer reduzierten Formensprache gestaltet. Die Kontur ihres Vorder- und
Hinterkopfes verlaufen in ihren Grundlinien parallel; das Gesicht der Marienfigur
wird von einem Schleier eingerahmt, Nasenspitze, Füße und Finger fehlen. Der Kopf des Christuskindes gleicht dem von Maria; das Gesicht ist fast identisch, wenn auch weniger präzise ausgeführt. „Die Haare übernehmen die gleiche konturierende Funktion wie die über den Kopf gezogene Palla. (...) Die Ohren werden auf die gleiche Weise, die Konturierung akzentuierend, vor die Haare gesetzt wie die Ohren Mariae vor die Palla“ (Büchsel 1993, S. 39).
Stifter der thronenden Madonna dürfte der Paderborner
Bischof Imad (1051-1076) gewesen sein, der sie nach seinem Amtsantritt 1051 in
Auftrag gab. Der überlieferte Dombrand von 1058 gilt dabei als terminus ante
quem, denn damals trug die Madonna offensichtlich einen so großen Schaden
davon, dass Imad die ursprünglich farbig gefasste Figur renovieren ließ: Sie erhielt
einen Überzug aus vergoldetem Kupferblech und wurde mit zahlreichen Gemmen
verziert. „Reste von Nägeln, die durch die ältere Fassung eingeschlagen sind,
sowie der erhaltene Rest des Metallüberzugs an dem ornamentierten Deckelbeschlag
des Buches, das der Christusknabe hält, weisen auf die Zweitfassung kurz nach
seiner Entstehung hin“ (Beer 2010, S. 116). Die Metallverkleidung wurde 1762
wieder abgenommen – sie diente zur Bezahlung einer Kriegskontribution am Ende
des Siebenjährigen Krieges. Nach ihrer grundlegenden Restaurierung (1968 bis
1970) ist die Skulptur heute unbemalt und wird im Erzbischöflichen Dom- und Diözesanmuseum
Paderborn ausgestellt.
Goldene Madonna (zwischen 973 und 1011); Essen, Münster |
Goldene Madonna (um 1022); Hildesheim, Dommuseum |
Sedes Sapientiae (um 1080); Frankfurt, Liebieghaus |
Glossar
Mit Fassung
ist die Bemalung einer Skulptur gemeint.
Die Ottonen
waren eine deutsche Herrscherdynastie. Sie regierten im ostfränkisch-deutschen
Reich von 919 bis 1024. Die Bezeichnung Ottonen
geht auf die drei ihrer Kaiser zurück: Otto I. Otto II. und Otto III.
Eine Palla (lat. palla) ist ein langes, bis über die Füße herabgehendes, viereckig zugeschnittenes Gewand, das in der Antike von römischen Frauen beim Ausgehen über den anderen Kleidern getragen wurde.
Eine Palla (lat. palla) ist ein langes, bis über die Füße herabgehendes, viereckig zugeschnittenes Gewand, das in der Antike von römischen Frauen beim Ausgehen über den anderen Kleidern getragen wurde.
Der terminus
ante quem benennt den Zeitpunkt, vor dem das gesuchte Ereignis passiert
sein muss.
Literaturhinweise
Beer, Manuela: Orte und Wege. Überlegungen
zur Aufstellung und Verwendung frühmittelalterlicher Marienfiguren. In: Andrea
Hülsen-Esch/Dagmar Taube (Hrsg.): „Luft unter den Flügeln …“. Beiträge zu
mittelalterlichen Kunst. Festschrift für Hiltrud Westermann-Angerhausen. Georg
Olms Verlag, Hildesheim 2010, S. 99-121;
Beer, Manuela: Ottonische und frühsalische Monumentalskulptur.
Entwickung, Gestalt und Funktion von Holzbildwerken des 10. und frühen 11.
Jahrhunderts. In: Klaus Gereon Beucker u.a. (Hrsg.), Die Ottonen. Kunst –
Architektur – Geschichte. Michael Imhof Verlag, Petersburg 2006, S. 129-152;
Büchsel, Martin: Ottonische Madonnen. Liebieghaus, Frankfurt am Main 1993;
Büchsel, Martin: Ottonische Madonnen. Liebieghaus, Frankfurt am Main 1993;
Pawlik, Anna: Das Bildwerk als Reliquiar? Funktionen früher Großplastik
im 9. bis 11. Jahrhundert. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2013. S. 290-296;
Stiegemann, Christoph (Hrsg.): Diözesanmuseum Paderborn. Werke in Auswahl. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2014, S. 28-36.
(zuletzt bearbeitet am 23. Dezember 2022)
(zuletzt bearbeitet am 23. Dezember 2022)