Ochs und Esel an der Krippe (um 1140); Bildfeld aus der Holzdecke in St. Martin, Zillis (Schweiz) |
Wenn Künstler
die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem dargestellt haben, waren sie fast immer
dabei: Ochs und Esel. Bis heute sind die beiden Vierhufer für jeden, der sich
eine Krippe mit Schnitzfiguren unter den Weihnachtsbaum stellt, fester
Bestandteil der Szenerie. Doch wie sind sie eigentlich da hingekommen? Wo
kommen Ochs und Esel her, von denen die Weihnachtsgeschichten der Evangelisten
Matthäus und Lukas doch gar nichts berichten?
Die beiden
Tiere werden in den Schriften des sogenannten „Pseudo-Matthäus“ erwähnt, die
nicht zum festgeschriebenen Kanon der biblischen Bücher gehören. Dort wird
berichtet, Christus sei in einer Höhle zur Welt gekommen und erst drei Tage
später von Maria in einen Stall gebracht worden: „(...) und Ochs und Esel beteten ihn
an. Da erfüllte sich, was durch den Propheten Jesaja verkündet ist, der sagte:
,Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.‘ So beteten sogar die Tiere, Ochs und Esel, ihn ständig an, während sie ihn zwischen sich hatten. Da erfüllte sich, was durch den Propheten Habakuk verkündet ist: ,Inmitten zweier Tiere wirst du ihn erkennen.‘“ (Hennecke/Schneemelcher 1959, S. 306). Obwohl
die Kirchenväter die Texte des „Pseudo-Matthäus“ als ketzerisch gebrandmarkt
und verboten hatten, übernahmen die Künstler diese Hinweise auf das Alte
Testament und integrierten sie ungeniert in die neutestamentliche Geburtsszene.
Das wird
verständlich, wenn man sich bewusst macht, dass frühe Darstellungen des
Weihnachtsgeschehens anderes bieten wollen als eine „authentische
Stallatmosphäre“: Sie enthalten nämlich zahlreiche versteckte Symbole und
religiöse Anspielungen. Ochs und Esel werden im Buch des Propheten Jesaja
(Kapitel 1, Vers 3) erwähnt, weil sie sich abheben vom unbelehrbaren und
störrischen Volk Israel, das seinen Herrn verlassen hat. Während Ochs und Esel
wissen, wohin sie gehören und wem sie ihr Leben verdanken, hat der Mensch
seinen Ursprung verleugnet und sich von der Quelle des Lebens abgewendet. Darum
nimmt auf manchen Weihnachtsbildern nur die stumme, aufmerksam schauende
Kreatur den Platz an der Krippe ein. Und so mancher Kirchenvater wie Gregor von
Nyssa, Ambrosius von Mailand oder Augustinus sieht überdies im Ochsen als
„reinem“ Tier ein Sinnbild des Judentums, im „unreinen“ Esel ein Symbol für die
Heiden – und zwischen ihnen Christus, der für beide stirbt und die Erlösung
schafft und sie zu einem Volk Gottes vereint.
In der Frühzeit
des Christentums entstanden in den Katakomben in und um Rom die ersten
christlichen Fresken, und bald wurden immer mehr Sarkophage mit christlichen
Symbolen und Szenen geschmückt. Jenes Motiv allerdings, das neben der
Kreuzigung am häufigsten in der Kunstgeschichte dargestellt werden sollte,
existierte damals noch nicht, weil es in der Verfolgungssituation der ersten
beiden Jahrhunderte für die Christen keine Rolle spielte: Maria, Joseph und das
Kind in der Krippe. Bis gegen Ende des 3. Jahrhunderts gibt es auch kein
göttliches Geburtsfest im christlichen Kalender. Das ändert sich erst im 4. und
5. Jahrhundert, als aus dem verfolgten Glauben eine Staatsreligion wird. Es
entstehen Darstellungen mit einem bis zum Hals fest gewickelten Kind, das auf
einem gemauerten Untersatz liegt, im Hintergrund blicken Ochs und Esel aus
einem Stall – es kann offenbar eher auf Joseph und Maria als auf die beiden
Tiere verzichtet werden. Die gehören erst hundert Jahre später zum weihnachtlichen
Personal.
Es kann eher auf Maria und Joseph verzichtet werden als auf Ochs und Esel ... Marmorrelief, um 400 n.Chr.; Athen, Byzantinisches Museum |
Auch die
Krippe, von der beim Evangelisten Lukas die Rede ist, hat auf diesen frühen
Sarkophagreliefs eine tiefere Bedeutung. Trog wäre eigentlich die genauere
Bezeichnung, denn das Kind, das in ihm liegt, ist für die Kirchenväter das „Futter
des Gottesvolkes“. Da Christi Leib und Blut im Abendmahl zur Speise der
Gläubigen werden, ist es nur logisch, dass dieser „Futtertrog“ oft als
gemauerter Altartisch dargestellt wird. Das Kind ist so fest umwickelt, wie es
Brauch bei einem Toten war – als Erwachsener wird es durch seinen Tod
allen Menschen, die sich ihm anvertrauen, neues Leben bringen.
Eine der
bemalten Holztafeln aus der bekannten romanischen Bilderdecke in Zillis (um
1140) zeigt ebenfalls einen solchen ummauerten Trog und ein durch seine
Leinenbandagen zur völligen Bewegungslosigkeit verurteiltes Kind. Wehrloser
kann man nicht sein. So klein, ohnmächtig und preisgegeben tritt Gott in diese
Welt! Ein Kreuznimbus umgibt das mit gelockten Haaren geschmückte Gesicht des
Kindes – und lässt damit keinen Zweifel an dem Geschick, dem es einmal
entgegengeht. Der Futtertrog erinnert in seiner Form auch an die rechteckige
Öffnung eines Grabes – und spannt damit den Bogen hinüber zum Karfreitag
und zur Grablegung Christi. Doch nicht nur das Leiden und Sterben Jesu ist
damit angedeutet – die offenen Augen des Kindes sprechen auch von seiner
Auferstehung, wie auch der rot umrandete Stern von Bethlehem über seinem Kopf
auf die aufgehende Sonne am Ostermorgen verweist.
Als das zweite christliche Jahrtausend beginnt,
entfalten Künstler, die doch nur Verkündiger sein wollten, die ganze Breite der
Weihnachtsdarstellungen: Nun singen auch die Engel, flöten die Hirten, beten
die drei Weisen das Kind an. Zwei Jahrhunderte später setzt die Tafelmalerei in
der Toskana ein, und bald darauf gibt es keine Kirche, keinen Altar im
katholischen Europa mehr, in der ein Bild, sei es auf Leinwand oder auf
Holz, mit dem neugeborenen
göttlichen Kind und seiner Familie im Stall fehlt. Literaturhinweis
Hennecke, Edgar/Schneemelcher, Wilhelm: Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Band 1: Evangelien. Mohr Siebeck, Tübingen 1959 (3. Auflage).
(zuletzt bearbeitet am 16. April 2019)
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