Sonntag, 2. Dezember 2018

Ochs und Esel kennen ihren Herrn – Krippenbilder in der frühen christlichen Kunst


Ochs und Esel an der Krippe (um 1140); Bildfeld aus der Holzdecke in St. Martin, Zillis (Schweiz)
Wenn Künstler die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem dargestellt haben, waren sie fast immer dabei: Ochs und Esel. Bis heute sind die beiden Vierhufer für jeden, der sich eine Krippe mit Schnitzfiguren unter den Weihnachtsbaum stellt, fester Bestandteil der Szenerie. Doch wie sind sie eigentlich da hingekommen? Wo kommen Ochs und Esel her, von denen die Weihnachtsgeschichten der Evangelisten Matthäus und Lukas doch gar nichts berichten?
Die beiden Tiere werden in den Schriften des sogenannten „Pseudo-Matthäus“ erwähnt, die nicht zum festgeschriebenen Kanon der biblischen Bücher gehören. Dort wird berichtet, Christus sei in einer Höhle zur Welt gekommen und erst drei Tage später von Maria in einen Stall gebracht worden: „(...) und Ochs und Esel beteten ihn an. Da erfüllte sich, was durch den Propheten Jesaja verkündet ist, der sagte: ,Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn. So beteten sogar die Tiere, Ochs und Esel, ihn ständig an, während sie ihn zwischen sich hatten. Da erfüllte sich, was durch den Propheten Habakuk verkündet ist: ,Inmitten zweier Tiere wirst du ihn erkennen.“ (Hennecke/Schneemelcher 1959, S. 306). Obwohl die Kirchenväter die Texte des „Pseudo-Matthäus“ als ketzerisch gebrandmarkt und verboten hatten, übernahmen die Künstler diese Hinweise auf das Alte Testament und integrierten sie ungeniert in die neutestamentliche Geburtsszene.
Das wird verständlich, wenn man sich bewusst macht, dass frühe Darstellungen des Weihnachtsgeschehens anderes bieten wollen als eine „authentische Stallatmosphäre“: Sie enthalten nämlich zahlreiche versteckte Symbole und religiöse Anspielungen. Ochs und Esel werden im Buch des Propheten Jesaja (Kapitel 1, Vers 3) erwähnt, weil sie sich abheben vom unbelehrbaren und störrischen Volk Israel, das seinen Herrn verlassen hat. Während Ochs und Esel wissen, wohin sie gehören und wem sie ihr Leben verdanken, hat der Mensch seinen Ursprung verleugnet und sich von der Quelle des Lebens abgewendet. Darum nimmt auf manchen Weihnachtsbildern nur die stumme, aufmerksam schauende Kreatur den Platz an der Krippe ein. Und so mancher Kirchenvater wie Gregor von Nyssa, Ambrosius von Mailand oder Augustinus sieht überdies im Ochsen als „reinem“ Tier ein Sinnbild des Judentums, im „unreinen“ Esel ein Symbol für die Heiden – und zwischen ihnen Christus, der für beide stirbt und die Erlösung schafft und sie zu einem Volk Gottes vereint.
In der Frühzeit des Christentums entstanden in den Katakomben in und um Rom die ersten christlichen Fresken, und bald wurden immer mehr Sarkophage mit christlichen Symbolen und Szenen geschmückt. Jenes Motiv allerdings, das neben der Kreuzigung am häufigsten in der Kunstgeschichte dargestellt werden sollte, existierte damals noch nicht, weil es in der Verfolgungssituation der ersten beiden Jahrhunderte für die Christen keine Rolle spielte: Maria, Joseph und das Kind in der Krippe. Bis gegen Ende des 3. Jahrhunderts gibt es auch kein göttliches Geburtsfest im christlichen Kalender. Das ändert sich erst im 4. und 5. Jahrhundert, als aus dem verfolgten Glauben eine Staatsreligion wird. Es entstehen Darstellungen mit einem bis zum Hals fest gewickelten Kind, das auf einem gemauerten Untersatz liegt, im Hintergrund blicken Ochs und Esel aus einem Stall – es kann offenbar eher auf Joseph und Maria als auf die beiden Tiere verzichtet werden. Die gehören erst hundert Jahre später zum weihnachtlichen Personal.
Es kann eher auf Maria und Joseph verzichtet werden als auf Ochs und Esel ...
Marmorrelief, um 400 n.Chr.; Athen, Byzantinisches Museum
Auch die Krippe, von der beim Evangelisten Lukas die Rede ist, hat auf diesen frühen Sarkophagreliefs eine tiefere Bedeutung. Trog wäre eigentlich die genauere Bezeichnung, denn das Kind, das in ihm liegt, ist für die Kirchenväter das „Futter des Gottesvolkes“. Da Christi Leib und Blut im Abendmahl zur Speise der Gläubigen werden, ist es nur logisch, dass dieser „Futtertrog“ oft als gemauerter Altartisch dargestellt wird. Das Kind ist so fest umwickelt, wie es Brauch bei einem Toten war – als Erwachsener wird es durch seinen Tod allen Menschen, die sich ihm anvertrauen, neues Leben bringen.
Eine der bemalten Holztafeln aus der bekannten romanischen Bilderdecke in Zillis (um 1140) zeigt ebenfalls einen solchen ummauerten Trog und ein durch seine Leinenbandagen zur völligen Bewegungslosigkeit verurteiltes Kind. Wehrloser kann man nicht sein. So klein, ohnmächtig und preisgegeben tritt Gott in diese Welt! Ein Kreuznimbus umgibt das mit gelockten Haaren geschmückte Gesicht des Kindes – und lässt damit keinen Zweifel an dem Geschick, dem es einmal entgegengeht. Der Futtertrog erinnert in seiner Form auch an die rechteckige Öffnung eines Grabes – und spannt damit den Bogen hinüber zum Karfreitag und zur Grablegung Christi. Doch nicht nur das Leiden und Sterben Jesu ist damit angedeutet – die offenen Augen des Kindes sprechen auch von seiner Auferstehung, wie auch der rot umrandete Stern von Bethlehem über seinem Kopf auf die aufgehende Sonne am Ostermorgen verweist.
Als das zweite christliche Jahrtausend beginnt, entfalten Künstler, die doch nur Verkündiger sein wollten, die ganze Breite der Weihnachtsdarstellungen: Nun singen auch die Engel, flöten die Hirten, beten die drei Weisen das Kind an. Zwei Jahrhunderte später setzt die Tafelmalerei in der Toskana ein, und bald darauf gibt es keine Kirche, keinen Altar im katholischen Europa mehr, in der ein Bild, sei es auf Leinwand oder auf Holz, mit dem neugeborenen göttlichen Kind und seiner Familie im Stall fehlt. 

Literaturhinweis
Hennecke, Edgar/Schneemelcher, Wilhelm: Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Band 1: Evangelien. Mohr Siebeck, Tübingen 1959 (3. Auflage).

(zuletzt bearbeitet am 16. April 2019)

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