Matthias Grünewald: Verspottung Christi (um 1504); München, Alte Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken) |
Matthias Grünewalds Komposition, die um
1504 entstanden sein dürfte und sich heute in der Alten Pinakothek (München)
befindet, ist flächig angelegt; die dargestellte Szene ereignet sich in einem
nicht näher bestimmbaren, dunklen Raum. Es könnte sich um einen Innenhof
handeln, in dem Christus verspottet
und geschlagen wird, nur von einer links außerhalb des Gemäldes anzunehmenden
Lichtquelle beleuchtet, vielleicht einer schwelenden Fackel oder einem
nächtlichen Holzfeuer. Der Maler hat einen engen Bildausschnitt gewählt, um das
Bedrängende, Bedrohliche des Geschehens spürbar werden zu lassen. Christus sitzt,
aus dem Bildzentrum verschoben, links auf einem Mauervorsprung. Die Augen sind
ihm mit einem Tuch verbunden, das unter seinem Kinn verknotet ist – die Binde
verweist auf den Bibeltext: „Weissage, wer ist’s, der dich schlug?“; Arme und
Hände Jesu sind mit langen Stricken gefesselt. Zwei Schergen prügeln auf ihn ein; Jesu
Pein wird sichtbar an seinem blutenden Haupt und der zusammengesunkenen Haltung.
Der vor ihm stehende Folterknecht wird als Rückenfigur gezeigt; mit gespreizten
Beinen und gebeugtem Oberkörper hält er das Seil in seinen Händen und holt mit dem
verknoteten Ende zum Schlag aus. In dieser dynamischen Haltung bildet er einen
betonten Kontrast zur Passivität Christi. Vergleichbare Gestalten finden sich
z. B. im Kupferstich-Passionszyklus von Martin Schongauer (siehe meinen Post
„Kunstvoll gestochenes Leiden“).
„Weissage, wer ist’s, der dich schlug?“ |
Hans Holbein d.Ä.: Dornenkrönung Christi (um 1494/1500); Stuttgart, Staatsgalerie |
Rechts oben tritt ein fülliger Mann mit
feistem Gesicht zu der Folterzene hinzu. Will er den beiden Schergen mit seiner
ausgestreckten Rechten Einhalt gebieten – oder führt er das Kommando bei der
Misshandlung Jesu? Ich denke eher, dass es sich um einen weiteren Büttel des
Hohen Rates handelt. Neben ihm steht ein älterer Mann, der ihm die linke Hand
auf die Schulter legt und ihn anzusprechen scheint. Seine Gestalt verlängert
die Diagonale des nach vorne gebeugten Oberkörpers Christi, seine Kopfbedeckung
nimmt die Form der Augenbinde Jesu auf, und auch die Barttracht verbindet die
beiden Männer miteinander. Es ist offensichtlich ein Fürsprecher Jesu, der auf den
Büttel einzuwirken versucht. Vielleicht ist mit dieser Gestalt Josef von Arimathäa
gemeint, ein Jünger Jesu, der ihn nach der Kreuzigung in seinem eigenen
Felsengrab bestatten lässt (Lukas 23,50-52). Diese vier Figuren sind
kompositionell eng verknüpft: Einmal durch die gegenläufig kreisenden
Bewegungen der Folterknechte, zum anderen durch die ein Andreaskreuz bildenden
Achsen zwischen Christus und seinem Fürsprecher sowie den beiden Schergen.
Albrecht Dürer: Der Koch und seine Frau (1496); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Hans Holbein d.Ä.: Christus vor Pilatus (um 1494/1500), Stuttgart, Staatsgalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Den feisten Büttel könnte Grünewald von
Albrecht Dürer übernommen haben, in dessen grafischem Werk dieser Typus
mehrfach auftaucht, z. B. in Der Koch und
seine Frau und dem berühmten Männerbad.
Auch der Einfluss des älteren Hans Holbein ist spürbar, besonders in den
grimassierenden Gesichtern der Schergen.
Literaturhinweise
an der
Heiden, Rüdiger: Die Alte Pinakothek. Sammlungsgeschichte, Bau und Bilder.
Hirmer Verlag, München 1998, S. 154-157;
Moraht-Fromm,
Anna: Zum Frühwerk Grünewalds. In: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hrsg.), Grünewald und
seine Zeit. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2007, S. 119-121;
Ziermann,
Horst: Matthias Grünewald. Prestel Verlag, München 2001, S. 34-38;
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 20. Februar 2024)
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