Montag, 20. Juli 2020

Mit dem Stein in der Hand – Hans Memlings „Büßender Hieronymus“

Hans Memling: Büßender Hieronymus (um 1480); Basel, Kunstmuseum
(für die Großansicht einfach anklicken)
Als Eremit in der Wüste Chalcis unterwarf sich der Bibelübersetzer und Kirchenvater Hieronymus (347–420 n.Chr.) einer harten Askese, um Gott nahezukommen und sein „sündiges“ Verlangen abzutöten. Er gehörte damit zu den Christen, die am radikalsten mit ihrem früheren Leben gebrochen hatten. In seinen Briefen zeichnete der bußfertige Einsiedler ein eindringliches und anschauliches Bild von seinem Aufenthalt in der Einöde: „Wenn alles andere versagte, legte ich mich zu den Füßen Jesu, benetzte sie mit meinen Tränen und wusch sie mit meinem Haar. Ich unterdrückte mein rebellierendes Fleisch mit Wochen des Fastens. (...) Ich erinnere mich, Tage und Nächte lang geweint zu haben; und ich schlug meine Brust ohne Unterlaß, bis mir der Herr Ruhe gewährte. (...) Angefüllt von großem Selbsthaß, ging ich allein in die Wüste. Wo immer ich ein tiefes Tal oder einen schroffen Felsen oder eine felsigen Abgrund fand, bereitete ich mir einen Platz für Gebete und Folter meines unglücklichen Fleisches“ (Belting/Kruse 1994, S. 248).
Im späten 14. Jahrhundert nahmen sich vor allem Bettel- und Eremitenorden das Leben des Hieronymus zum Vorbild für ihre eigenen Bußübungen. „Hieronymus in der Wüste“ oder auch „Hieronymus als Büßer“ wird daher auch erst im Spätmittelalter zum Thema der christlichen Kunst. Das frühe und hohe Mittelalters zeigte auf bildlichen Darstellungen dagegen vor allem den gelehrten Bibelübersetzer und Kommentator der Heiligen Schrift. Der büßende Hieronymus wurde zumeist in eine karge und menschenleere Landschaft platziert, die allerdings nicht unbedingt eine Wüste sein musste. Mit „Wüste“ war dabei vor allem die Entfernung  von der Stadt und den dort präsenten Versuchungen des Weltlichen gemeint – deswegen konnte sie durchaus auch als einsame Fels- oder Waldlandschaft gestaltet sein.
Das Motiv des büßenden Hieronymus erfreute sich in der italienischen Renaissancemalerei größter Beliebtheit – in der niederländischen Kunst ist es erstmals auf einer um 1480 entstandenen Bildtafel von Hans Memling (1433–1494) nachweisbar. Der bärtige, nahezu kahle Hieronymus kniet auf Memlings Gemälde an einer Quelle vor einem Kruzifix. Über dem nackten Leib trägt er ein schlichtes dunkelbraunes Gewand; in der rechten Hand hält er einen Stein, mit dem er sich die Brust schon blutig geschlagen hat. Seine linke Band öffnet das Gewand über der Brust, wobei der kleine Finger auf die Blutstropfen weist, die aus seinen Wunden treten und kleine Rinnsale bilden. Die Szene spielt sich auf einem felsigen Plateau vor einer Höhle ab, die die Behausung des Einsiedlers darstellen soll.
Lucas Cranach: Büßender Hieronymus (1502); Wien, Kunsthistorisches Museum
(für die Großansicht einfach anklicken)
Aus Hieronymus’ Mund dringen Seufzer und Gebete, die dem Gekreuzigten über ihm gelten. Das Holzkreuz ist zwischen Felsblöcken festgesteckt; es erinnnert an tragbare, plastische Andachtsbilder für den privaten Gebrauch. Allerdings erweckt die Figur nicht den Eindruck einer bemalten Holzskulptur – Hieronymus sieht hier nicht das Bild eines Kruzifixes vor sich, sondern scheint vielmehr  den „lebendigen“ Christus am Kreuz auf Golgatha zu erblicken, ein wirklich gekreuzigter Körper aus Fleisch und Blut in Miniatur. Der nach innen gerichtete Blick des Eremiten bestätigt, dass Hieronymus vor seinem inneren Auge die Passion Christi so erlebt, als würde sie gerade stattfinden. In gleicher Weise hat um 1502 Lucas Cranach (1472–1553) den büßenden Hieronymus vor einem Kruzifix dargestellt (siehe meinen Post „Glaube in Ekstase“). In beiden Fällen diente die intensive Vergegenwärtigung der Passion Christi dem Betrachter des Bildes als Vorbild für die eigene Andacht, die ihn zu vertiefter Buße führen sollte.
Der karmensinrote Kardinalsmantel und -hut, die Hieronymus abgelegt hat, beziehen sich auf Legenden, die den Kirchenvater seit dem 12. Jahrhundert in das Amt des Kardinals erhoben haben – obwohl er es nie bekleidet hat. Sie gehören wie der Löwe im Mittelgrund zu den Attributen des Hieronymus, an denen er auf den meisten Darstellungen unschwer zu erkennen ist. Der Löwe, der hinter Hieronymus liegt und friedlich die Pranken kreuzt, ist das Begleittier des Gelehrten, seit er ihm, so die Überlieferung, einen Dorn aus der Pranke entfernt und seine Wunde gepflegt hatte.
Hans Memling: Bathseba im Bad (um 1485);
Stuttgart, Staatsgalerie
(für die Großansicht einfach anklicken)
Memlings Figur des Hieronymus mit ihren gelängten Körperformen lässt sich am ehesten mit seiner Bathseba im Bad in Stuttgart vergleichen, die den rechten Flügel eines Triptychons bildete. Ob es sich bei der Tafel aus Basel um ein Einzelbild oder um einen vergleichbaren Seitenflügel oder ein Pendant handelt, ist nicht bekannt.

Literaturhinweise
Belting, Hans/Kruse, Christian: Die Erfindung des Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei. Hirmer Verlag, München 1994, S. 248
De Vos, Dirk: Hans Memling. Das Gesamtwerk. Belser Verlag, Stuttgart/Zürich 1994, S. 250.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen