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Caspar David Friedrich: Gebirgslandschaft mit Regenbogen (1810); Essen, Museum Folkwang (für die Großansicht einfach anklicken)
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Ein einsamer Wanderer in heller Hose und rotem Wams blickt, an einen
Fels gelehnt und sich auf seinen Stock stützend, in eine tiefe Schlucht. Die Sohle des Tales ist verborgen, nur
Nebel wird unten sichtbar. Darüber dehnt sich ein wolkenschwerer Nachthimmel. Jenseits
des Tales ragt in der Mitte ein dunkler Berg auf — eine Ansicht des Rosenberges
in der Sächsischen Schweiz —, über dem ein die ganze Bildbreite durchmessender,
hell und farbig leuchtender Regenbogen erstrahlt.
Wie in den meisten Gemälden von Caspar
David Friedrich (1774–1840) haben wir es bei dieser streng symmetrisch aufgebauten
Komposition mit keiner „erlebten Landschaft“ zu tun, die naturgetreu abgebildet
wurde, sondern mit einer symbolischen. Darauf verweist ein besonderes
Naturphänomen: Wenn es der Mond ist, der im Hintergrund durch die Wolken am
Nachthimmel bricht – woher kommt dann das Licht im Vordergrund, das eine von
Laubgebüschen flankierte, grasbewachsene Kuppe bestrahlt und dessen Ursprung
links vorn außerhalb des Bildes zu suchen wäre? Es hebt den Wanderer hell aus der Finsternis heraus, wie von einem Scheinwerfer angestrahlt steht er da. Hinzu kommt: Ein Regenbogen
kann nur gesehen werden, wenn sich die Lichtquelle im Rücken der Betrachtenden
befindet. Vermutlich war das Bild zunächst als Nachtlandschaft mit dem Mond
hinter Wolken gedacht, so die Erklärung von Helmut Börsch-Supan – der
Regenbogen wäre dann später von Friedrich hinzugefügt worden, um die eigentliche
Bildaussage zu unterstreichen.
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Der Fels, der Halt gibt: bei Friedrich Symbol für den christlichen Glauben
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Der am Rand der dunklen Schlucht
stehende Wanderer ist offensichtlich ein Städter, wie seine Kleidung zeigt –
ein Fremdling also in dieser Umgebung. Der jähe Abgrund, in den er hinabsieht,
erinnert nach Ansicht von Börsch-Supan an das Ende des Lebens, das uns in jeder
Minute ereilen kann. Friedrich lässt uns mit diesem Mann in das Tal des Todes
blicken, das wir alle durchqueren müssen. Finster und nebelverhangen ist es
dort – doch diese Dunkelheit wird erhellt durch Christus, das Licht in der
Nacht, symbolisiert durch den in der nächtlichen Finsternis aufscheinenden
Mond. Er erleuchtet die Wirrnis und Angst des menschlichen Herzens angesichts
des Todes.
Der Regenbogen wiederum, der die
Gebirgslandschaft wie eine Kuppel überspannt, verheißt Versöhnung, Hoffnung und
Zukunft für alle, die sich Christus anvertrauen – so lässt sich nach
Börsch-Supan der religiöse Symbolgehalt des Bildes zusammenfassen. Der gewölbte
Regenbogen korrespondiert mit dem kleinen Wiesenstück in Form eines
Kreisegments ganz vorne im Bild. Der Berg, der hinter der Schlucht erscheint,
ist ein Gottessymbol bzw. meint die jenseitige Welt: „Der Wanderer muss das Tal
durchqueren, wenn er zu diesem Ziel seines Weges gelangen will“ (Börsch-Supan
1987, S. 90). Die Spitze des Berges und die Gestalt des Wanderers befinden sich
beide etwa in der Mittelachse des Bildes und sind auf diese Weise aufeinander
bezogen.
Börsch-Supan geht davon aus, dass sich Friedrich
in der Vordergrundfigur selbst dargestellt hat – sein Gemälde könne deswegen
als Bekenntnis aufgefasst werden. Der Wanderer hat seinen Hut zu Boden gelegt,
was als Geste der Ehrfurcht angesichts des Todes zu verstehen sei – und der
Demut vor dem, der allem Leben sein Ende setzt. Der Fels aber, an den er sich
lehnt, meint den inneren Halt, den der christliche Glaube gibt: Er lässt uns
darauf hoffen, dass der Abstieg in dieses dunkle Tal nicht das Ende bedeutet,
weil uns die Verheißung ewigen Lebens gegeben ist.
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Caspar David Friedrich: Frau vor der auf-/untergehenden Sonne (um 1818); Essen, Museum Folkwang (für die Großansicht einfach anklicken)
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Das Essener Museum Folkwang beherbergt
noch ein weiteres Ölgemälde von Caspar David Friedrich: die Frau vor der auf-/untergehenden Sonne
(um 1818; siehe meinen Post „Abenddämmerung oder Morgensonne?“). Wer im
Ruhrgebiet wohnt, sollte sich die beiden Bilder unbedingt im Original anschauen
– zumal die Dauerausstellung des Museum Folkwang nach wie vor bei freiem
Eintritt zu bewundern ist.
Literaturhinweise
Börsch-Supan, Helmut: Caspar David Friedrich.
Prestel Verlag, München 41987, S. 90;
Börsch-Supan, Helmut: Caspar David Friedrich. Seine Gedankengänge. Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 2023, S. 37;
Gaßner, Hubertus (Hrsg.): Caspar David
Friedrich – Die Erfindung der Romantik. Hirmer Verlag, München 2006, S. 279 und
282-283;
Hofmann, Werner (Hrsg.): Caspar David
Friedrich 1774 – 1840. Kunst um 1800. Prestel-Verlag, München 1974, S. 167;
Jensen, Jens Christian: Caspar David
Friedrich. Leben und Werk. Verlag M. DuMont Schauberg, Köln 1974, S. 112-113;
Märker, Peter: Caspar David Friedrich –
Geschichte als Natur. Kehrer Verlag, Heidelberg 2007 (zuerst erschienen 1974),
S. 109-112.
(zuletzt
bearbeitet am 2. Februar 2024)