Sonntag, 23. Mai 2021

Immer auf dem Kiwief – Donatellos „Hl. Georg“

Donatello: Hl. Georg (um 1416); Florenz, Museo Nazionale
del Bargello (für die Großansicht einfach anklicken)
Donatellos Statue des Hl. Georg gilt heute als „Auftakt der italienischen Renaissance-Skulptur“ (Schneider 2018, S. 43) und wurde bereits im 15. und 16. Jahrhundert vielfach gerühmt. Über die Entstehung des Standbilds liegen allerdings keine Quellen vor. Bevor es im 19. Jahrhundert in das Museo Nazionale del Bargello von Florenz gelangte, schmückte es die Nische der Arte dei Corazzai e Spadai an der Nordfassade von Orsanmichele. Der sowohl sakral als auch – in seiner Funktion als Getreidespeicher – profan genutzte Bau aus dem 14. Jahrhundert wurde als Gemeinschaftsprojekt von Stadt, Campagnia di Laudesi, einer Laienbruderschaft, und Zünften errichtet. Die Ausstattung der 14 Nischen an der Außenfassade von Orsanmichele, die kurz nach 1400 einsetzte und sich bis 1562 hinzog, gestaltete sich erkennbar als Konkurrenz zwischen den Florentiner Zünften, sowohl was die Auswahl der Künstler wie auch den finanziellen Aufwand insgesamt betraf. Schutzpatron der Harnischmacher- und Schwertfegerzunft war der hl. Georg. Donatellos Relief am Nischensockel, auf dem der Kampf des Heiligen mit dem Drachen dargestellt ist, lässt sich mit Hilfe eines Dokuments in die Zeit um 1417 datieren. Die überlebensgroße Statue selbst (209 cm) wird von den meisten Forscher*innen in den Zeitraum zwischen 1415 und 1417 datiert.

Ein Blick, dem nichts entgeht
Der jugendliche, ebenso entschlossen wie besonnen wirkende Ritter steht aufrecht und breitbeinig mit beiden Füßen auf einer rechteckigen Plinthe; der Rumpf ist betont gereckt, die muskulöse Brust vorgewölbt. Vor dem Unterkörper hat er seinen schmalen Schild aufgepflanzt. Mit dem rechten Arm, der auf der mehr in das Nischeninnere zurückgezogenen Körperseite vertikal herabhängt, kontrastiert auf der anderen Seite die vor die Körpermitte geführte linke Unterarm, dessen Hand den Schild stützt. Donatello hat der Figur eine leichte Kontraposthaltung verliehen: Das linke Bein fungiert, was durch den Schild etwas verdeckt wird, als Standbein. Nur geringfügig ist das Spielbein zurückgesetzt; dadurch entsteht eine minimale Drehung des Körpers nach rechts. Im Gegenzug ist der Kopf des jugendlichen Helden nach links gewendet. Das aufrechte Stehen des Hl. Georg wird betont durch die Vertikale des Kreuzzeichens auf dem Schild und den an der rechten Seite gerade herabhängenden Arm, die den Blick nach oben zu Hals und Kopf führen.

Bekleidet ist der Hl. Georg mit einer antikisierenden Rüstung und einem über der rechten Schulter zusammengeknoteten Mantel. Donatello hat den Kopf des Ritters mit gelocktem Haar versehen, sein Blick ist zielgerichtet spähend in die Ferne gerichtet, der Mund leicht geöffnet. Die gefurchte Stirn verrät innere Anspannung. Dennoch ist die Figur in keinen narrativen Kontext eingebettet, ein eindeutiger Handlungszusammenhang lässt sich nicht erkennen. Die Rechte umfasste einst den Griff eines verlorenen Schwertes oder den Schaft einer Lanze.

Der edle Ritter in der kompletten Originalnische
(für die Großansicht einfach anklicken)
Die Statue ist freistehend in eine Nische gestellt, die noch gotischen Charakter hat mit ihrem wimpergähnlichen Giebel und den fialenförmigen Ädikulen sowie dem einem Spitzbogen eingeschriebenen Dreipass mit fischblasenförmigen Aushöhlungen. Das hinterfangende Konchenrund ist mit Lochmustern ornamentiert. „Der an die Trinität gemahnende dreieckige Giebel umschließt die Halbfigur Gottvaters mit dem Dekalog in der Linken, während die segnende Rechte Georg Legitimation zuspricht“ (Schneider 2018, S. 45).

Michelangelo: David (1501-1504); Florenz, Galleria
dellAcademia (für die Großansicht einfach anklicken)
Gerühmt wurde Donatellos Skulptur in der Renaissance besonders wegen ihrer „Prontezza“, d. h. wegen ihrer die ganze Figur durchdringenden Wachheit und gespannten Körperhaltung: Sie vergegenwärtigen ein „Bereitsein und Sichbereitzeigen“ (Poeschke 2001, S. 31), im Vertrauen auf die eigene Stärke rasch und resolut zu handeln. Auch bedeutende italienische Bildhauer haben Donatellos Statue geschätzt und als Inspiration genutzt. Hier ist zuerst Michelangelos David zu nennen, der 1504 vor dem Palazzo Vecchio in Florenz aufgestellt wurde und wie Donatellos Statue einen jugendlichen Krieger zeigt. Michelangelo scheint sich vor allem an der Physiognomie des Hl. Georg mit seinen kräftigen Locken und dem konzentriert in die Ferne gerichteten Blick orientiert zu haben. Was die Körperhaltung betrifft, übernimmt der David aber nur den nach unten hängenden rechten Arm. Die beim Hl. Georg nur leicht angedeutete Torsion mit der leicht nach vorne geschobenen linken Schulter und dem entsprechend versetzten linken Bein verändert Michelangelo ganz im Sinne des klassischen Kontrapost. Außerdem steigert er die leichte Kopfdrehung des Hl. Georg zu einer kräftigen Wendung, die das Gesicht ins Profil rückt.

Baccio Bandinelli: Herkules und Cacus (1533/34);
Florenz, Piazza della Signoria
1534 wurde als Pendant zu Michelangelos David die Statuengruppe Herkules und Cacus von Baccio Bandinelli (1488–1560) auf der Piazza della Signoria aufgestellt – auch sie orientiert sich erkennbar an Donatellos Hl. Georg. Gemeinsam ist beiden Skulpturen das Standmotiv mit leicht gegrätschter Beinstellung. Auch die Haltung der Arme ist vergleichbar: Mit der Hand des rechten herunterhängendes Arms hält Herkules seine Keule wie auch der Hl. Georg ursprünglich eine Waffe; an die Stelle des Ritterschilds ist der besiegte Viehdieb Cacus getreten, dessen Haarschopf Herkules mit seiner Linken gepackt hat. Deutlich unterschieden sind jedoch die übertrieben wirkende Muskulatur bei Herkules, seine hässlich erscheinende Physiognomie wie auch die heftige Kopfwendung.

 

Literaturhinweise

Gampp, Axel Christoph: «Diletto e maraviglia, piacere e stupore». Donatellos hl. Georg aus der Sicht des Francesco Bocchi oder: Die Wiedergeburt der Ethos-Figur aus dem Geist der Gegenreformation. In: Christine Göttler u.a. (Hrsg.), Diletto e Maraviglia. Ausdruck und Wirkung in der Kunst von der Renaissance bis zum Barock. Edition Imorde, Emsdetten 1998, S. 253-271;

Herzner, Volker: Donatello und die »rinascita del arti«. In: Donatello-Studien. F. Bruckmann A.-G., München 1989, S. 28-41;

Kummer, Stefan: Beobachtungen an Donatellos Georgssstatue. Zu einer ›legendären‹ These Herbert Siebenhüners. In: Johannes Myssok/Jürgen Wiener (Hrsg.), Docta Manus. Studien zur italienischen Skulptur für Joachim Poeschke. Rhema-Verlag, Münster 2007, S. 183-190;

Poeschke, Joachim: Die Skulptur der Renaissance in Italien. Band 1: Donatello und seine Zeit. Hirmer Verlag, München 1990, S. 19-20 und 91-92;

Poeschke, Joachim: „Prontezza“. Zu Donatellos Georgsstatue und Albertis mutmaßlichem Selbstbildnis. In: Damian Dombrowski (Hrsg.), Zwischen den Welten. Beiträge zur Kunstgeschichte für Jürg Meyer zur Capellen. VDG, Weimar 2001, S. 28-38;

Pope-Hennessy, John: Donatello. Sculptor. Abbeville Press Inc., New York 1993, S. 46-48;

Schneider, Norbert: Kunst der Frührenaissance in Italien. Exemplarische Interpretationen. Band 1: Skulptur. LIT Verlag, Karlsruhe 2017, S. 42-45;

Schröder, Gerald: »Ein jeder folge seiner Phantasie« – Zu den Funktionsweisen der Imagination bei der Betrachtung von Kunstwerken im 16. Jahrhundert am Beispiel der Statue des heiligen Georg von Donatello. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 67 (2004), S. 25-54.


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