Montag, 12. Juli 2021

Italian Style – Albrecht Dürers „Maria mit der Meerkatze“

Albrecht Dürer: Maria mit der Meerkatze (um 1498);
Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken)
Albrecht Dürers Kupferstich Maria mit der Meerkatze von etwa 1498 wird gerne verglichen mit seiner drei Jahre früher entstandenen Heiligen Familie mit der Libelle, um auf die beträchtliche künstlerische wie technische Entwicklung des jungen Nürnberger Künstlers hinzuweisen. So setzt sich die Figurengruppe in dem späteren Werk wesentlich deutlicher vom Hintergrund ab und verfügt über erkennbar größere Plastizität. Zwar nimmt die Gottesmutter ebenso wie in der Heiligen Familie mit der Libelle in der Linie vom Haupt über Brust und Knie die Mittelsenkrechte des Bildes ein. Doch im Unterschied zu dem früheren Kupferstich liegt das Gewicht nun auf dem Jesuskind, dessen kräftiger kindlicher Leib in einer Drehbewegung aus der Bildmitte verschoben ist.

Albrecht Dürer: Heilige Familie mit der Libelle (um 1495);
Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken)
Das steile Hochformat betont die aufrechte Haltung der Gottesmutter, die – mit dem Körper leicht aus der Vorderansicht nach links gewendet – auf einer mit rohen Bohlen abgesteckten Rasenbank sitzt. Sie trägt ein langes, reich gefaltetes und gebauschtes Gewand, das um die Hüfte von einem auffällig geknoteten Gürtel gehalten wird und unter dem sich die Körperformen deutlich abzeichnen. Die Falten ihres Kleides erinnern zwar an die Spätgotik, fallen jedoch beruhigter und wirklichkeitsgetreuer. Marias Kopf mit dem welligen Haar und dem kreisrunden Scheibennimbus ragt über den Horizont hinaus. Während ihre Linke auf einem geschlossenen Buch ruht, senkt sie ihren Blick nach rechts auf den nackten Jesusknaben, den sie mit ihrer rechten Hand stützend auf ihrem Schoß hält.

Das Kind ist damit beschäftigt, einen kleinen Singvogel spielerisch mit einem Saugbeutelchen (einem mit Flüssigkeit getränkten Schnuller) zu locken. Zu Marias Füßen ist ein Äffchen an die Rasenbank gekettet, „dessen maskenhafter Blick aus dem Bild in beunruhigendem Kontrast zu dem unbefangenen kindlichen Spiel steht“ (Schoch 2001, S. 71). Dürer fasst die Gestalt Mariens mit dem angeketteten Affen formal zu einem gleichmäßigen Dreieick zusammen. Die Rasenbank wiederum scheint sich in der realen Weit jenseits der Bildränder fortzusetzen – sie schließt den Betrachter auf dem kleinen umfriedeten Platz geradezu mit ein.

Albrecht Dürer: Das Weiherhäuschen an der Pegnitz bei St. Johannis (um 1496/97);
London, British Museum
Hinter den regelrecht aufflammenden Grasbüscheln der Rasenbank dehnt sich ein breiter Flusslauf bis zu einer winzigen Stadt am fernen Horizont. Der steile Fachwerkbau am rechten Ufer hat sein Vorbild in dem Weiherhäuschen, das Dürer um 1496 in der Umgebung Nürnbergs auf einem Aquarell festgehalten hatte. Das zeitgenössische Bauwerk, in dem Bewohner des Nürnberger Raums die heimische Region wiedererkannt haben dürften, versetzt die heilsgeschichtliche Darstellung in die unmittelbare Gegenwart des Betrachters. In der heute im British Museum aufbewahrten Studie sind auch die Kopfweiden, die Grasbüschel und die dunklen Wolken schon vorhanden, die die idyllische Szene verdüstern. Sturmwind zaust die Baumwipfel und treibt eine Gewitterwand nach links – eine Bewegung, die mit der Figurengruppe korrespondiert. An die Stelle des schematischen Wolkensaums in der Heiligen Familie mit der Libelle sind nach der Natur studierte Wolkenbildungen getreten. Auch die Meerkatze geht auf eine Naturstudie zurück.

Diese naturalistischen Motiv verbinden sich jedoch mit traditioneller Bildsymbolik: So erscheint der Affe in der christlichen Ikonografie häufig in Begleitung Evas und verkörpert die ungezügelten Triebe, das Laster, das Böse, sogar den Teufel selbst, der durch Christi Tod und Auferstehung überwunden wird. Das Weiherhäuschen könnte möglicherweise als Mariensymbol gemeint sein, als „Turm Davids“ (Hoheslied 4,4); der Gürtelknoten darf als Zeichen der unbefleckten Empfängnis Mariens gedeutet werden. Der Singvogel, mit dem der Jesusknabe spielt, symbolisiert die auferweckte, befreite Seele, die zum Himmel aufsteigt und so zu Gott gelangt. Er wird damit zum Sinnbild für die Erlösungtat Christi. Der Schnuller, den das Kind dem Vogel reicht, ist auch als Anspielung auf den mit Essig getränkten Schwamm zu verstehen, den Jesus am Kreuz selbst einmal erhalten wird. Und die düsteren Wolken, von einem kräftigen Windstoß bewegt, könnten auf den Leidensweg Christi vorausweisen. Der in sich gekehrte, ebenso liebevolle wie ernste Blick Mariens deutet ebenfalls darauf hin, dass sie die Passion ihres Sohnes vorausahnt. Das geschlossene Buch, auf das sie ihre linke Hand gelegt hat, repräsentiert die Prophetenworte der Heiligen Schrift, die das Leiden und Sterben des Erlösers voraussagen.  

Lorenzo di Credi: Madonna di Piazza (um 1474/1486); Pistoia, Dom
Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass Dürers Maria mit der Meerkatze einen italienisch anmutenden Madonnentypus zeigt, der mit dem fränkischen Weiherhäuschen kontrastiert und eher in eine Marmornische passt ... Er wird einhellig als Folge von Dürers erster Italienreise und seiner Auseinandersetzung mit der Malerei des Quattrocento gewertet. Als wichtige Anregung gilt die Madonna mit Kind und Heiligen von Lorenzo di Credi (1459–1537) im Dom zu Pistoia. Vor allem an der Figur des Kindes ist ablesbar, dass Dürer angespornt ist, sich mit den Proportionen des menschlichen Körpers zu beschäftigen. Und entsprechend dem italienischen Vorbild bleibt die Mariengestalt in hoheitsvoller Distanz zum Betrachter.

 

Literaturhinweise

Preising, Dagmar u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Apelles des Schwarz-Weiß. Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen 2004, S. 185-187;

Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer als Erzähler. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Ludwig & Höhne, Schweinfurt 1995, S. 32;

Schoch, Reiner: Maria mit der Meerkatze, um 1498. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 70-72;

Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007, S. 84;

Sonnabend, Martin: Vor Dürer. Kupferstich wird Kunst. Deutsche und niederländische Kupferstiche des 15. Jahrhunderts aus der Graphischen Sammlung des Städel Museums. Sandstein Verlag, Dresden 2022, S. 272-276.

 

(zuletzt bearbeitet am 11. März 2023)


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