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Konrad Witz: Der hl. Christophorus (um 1435); Basel, Kunstmuseum
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Die im frühen Mittelalter entstandene
Legende des Christophorus ist durch eine Reihe von späteren Bearbeitungen, vor
allem aber durch die um 1264 verfasste Legenda
aurea des Jacobus de Voragine verbreitet worden. Im Spätmittelalter wurden
Darstellungen dieses Heiligen außerordentlich populär, da er unter anderem als
Schutzpatron auf Reisen galt und angenommen wurde, dass sein Anblick vor dem mala mors schütze, dem plötzlichen
(wörtlich: schlechten) Tod. Unvorbereitet aus dem Leben zu scheiden, ohne die
Möglichkeit, eine letzte Beichte abzulegen und die Sterbesakramente zu
empfangen, gehörte zu den großen Ängsten der damaligen Menschen. Die ältesten
Darstellungen der Christophorus-Legende zeigen zwar einen im Vergleich zu dem
Riesen Reprobus (so der ursprüngliche Name des Heiligen) winzigen Christus,
aber noch nicht explizit ein Kind. Erst mit der Zeit bürgerte sich die
Tradition ein, Christus als Kind wiederzugeben. Der Grund hierfür dürfte darin
liegen, dass das Menschsein des fleischgewordenen Gottes im kindlichen
Jesusknaben besonders offensichtlich wird.
In einem Gemälde von Konrad Witz (um
1440 – um 1446), das sich heute im Kunstmuseum Basel befindet, wird die bekannteste
Episode der Christophorus-Legende in eine voralpine Landschaft verpflanzt: Karg
aufragende Felskuppen umsäumen einen ausladenden Wasserspiegel, weiter nach
hinten lichtet sich der Ausblick, links im Mittelgrund ragt eine waldige
Landzunge ins Bild, auf der ein Einsiedler samt Kapelle und Kartause stehen.
Die zwei Kähne, die dahinter auf dem Wasser verkehren, verleihen der Ansicht
einen idyllischen Charakter, der mit der dramatischen Szene im Bildvordergrund
kontrastiert.
Dort kämpft ein mit einem rubinroten
Mantel bekleideter Christophorus mühevoll gegen den Strom an; er ist bereits
weit über die Knie eingesunken, und der Wollstoff des Mantels hat sich
vollgesogen, vor allen aber lastet das Gewicht seines außergewöhnlichen Kunden
immer schwerer auf den Schultern des Fährmanns. Christophorus knickt regelrecht
ein und sackt samt Christus, der sich an eine Haarlocke klammert, nach vorne –
notdürftig versucht die vorgestreckte linke Hand, das verlorene Gleichgewicht
auszubalancieren. Dabei bricht der knorrige Ast, auf den er sich beim
Übersetzen stützt: Was auf der rechten Flussseite noch wie ein Kind aussah,
gibt sich dann am anderen Ufer als der zu erkennen, der er ist: Christus, der
Weltenherrscher; und der Fährmann, der bis dahin auf den Namen Reprobus hörte,
erhält einen neuen – Christophorus, Christusträger.
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Albrecht Dürer: Der hl. Christophorus (1511); Holzschnitt
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Das enorme Gewicht auf seinem Rücken
veranschaulicht Witz durch die Landschaftsgestaltung: Der steile, massige Fels
am rechten Rand trifft in der Bildfläche genau auf den gebeugten Rücken des
Riesen, knapp unterhalb des Kindes; seine Diagonale aber setzt sich in den
angewinkelten Beinen des Heiligen fort. Die von oben drückende Last wird auf
diese Weise visuell umgesetzt. Dieses Gewicht wird auf den Christusknaben
bezogen, indem der Maler das Gewand und den gewaltigen Fels in eng verwandten
Graufarben anlegt. „Darüber hinaus hat das Kind eine blockhaft geschlossene, den
Felsbrocken rechts gleichende Grundform bekommen, und die Linie seines vorderen
Beins verläuft parallel zur unteren Kante des steilen Felsens dahinter“
(Kunstmuseum Basel 2011, S. 159). Christophorus-Darstellungen gibt es in der
abendländischen Kunst zuhauf – meist wird der Heilige dabei als hünenhafter
Heros inszeniert, wenn er die Fluten durchquert, so etwa bei Dürer, Tizian oder
Rubens. Der Christophorus von Witz dagegen wirkt eher wie ein christlicher
Atlas, der seine Last kaum zu stemmen vermag.
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Tizian: Der hl. Christophorus (1523); Venedig, Palazzo Ducale
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Peter Paul Rubens: Der hl. Christophorus (1611/12); Antwerpen, Liebfrauen-Kathedrale
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Verfolgt man die Gerade seines Stabs
bis unter die Wasseroberfläche weiter, so erscheint sie noch einmal gebrochen,
doch nicht im Material, sondern optisch. Es handelt sich um eine für die
damalige Zeit absolut einzigartige Umsetzung der Lichtbrechungsgesetze –
bedenkt man, dass das Brechungsgesetz erst im 17. Jahrhundert von Snellius
(1580–1626) formuliert und erst seit diesem Zeitpunkt zur künstlerischen Norm
wird. Durch das trübe Wasser hindurch scheinen Pflanzen vom Flussgrund heraus,
vorüberziehende Wolken verschatten die Oberfläche, und Mönch, Kirche wie
Kartause spiegeln sich, mit perspektivisch genau wiedergegebener Verzerrung, im
Wasser wider. Jeder einzelne strapaziöse Schritt des Fährmanns verursacht neue
Ringwellen, die die vorherigen überlagern. Dabei reflektieren die
konzentrischen Kreise das Rot des Mantels, und zugleich sieht man ihn durch das
Wasser scheinen.
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Konrad Witz: Der wunderbare Fischzug (1444); Genf, Musée d’Art et
d’Histoire
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Ähnliche Virtuosität hat der Maler auch auf dem Flügel des
Genfer Petrusaltars zum Wunderbaren
Fischzug (1444) unter Beweis gestellt, auf dem Strömungswirbel,
Wasserblasen und kleinste Wellenschläge mit unvergleichlicher Präzision
dargestellt sind. Diese Detailgenauigkeit und generell die Tiefe der Landschaft
sind ohne Zweifel von der niederländischen Malerei angeregt, vor allem von der
Kunst Jan van Eycks (um 1390–1441).
Literaturhinweise
Alloa, Emmanuel: Eine gebrochene Erscheinung.
Zum Christophorus von Konrad Witz.
In: Sebastian Egenhofer u.a. (Hrsg.), Was ist ein Bild? Antwort in Bildern.
Gottfried Boehm zum 70. Geburtstag. Wilhelm Fink Verlag, München 2012, S.
199-201;
de Voragine, Jacobus:
Legenda aurea. Zweiter Teilband. Einleitung, Edition, Übersetzung und
Kommentar von Bruno W. Häuptli. Verlag Herder, Freiburg i.Br. 2014, S. 1295-1307;
Kunstmuseum Basel (Hrsg.): Konrad Witz. Hatje Cantz,
Ostfilern 2011, S. 156-161.
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