Rembrandt van Rijn: Selbstbildnis an einer Steinbrüstung (1639); Radierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Eines der schönsten radierten
Selbstporträts Rembrandts ist das Selbstbildnis
an einer Steinbrüstung von 1639. Der
Künstler zeigt sich dem Betrachter
seitlich bzw. schräg von vorne hinter einem Mäuerchen, auf dem sein linker Arm ruht; Kopf und Blick sind direkt auf den Betrachter gerichtet. „Mit dem Blick über seine linke Schulter geht die besondere Lebendigkeit des Bildeindrucks einher, als hätte uns der Künstler soeben wahrgenommen und würde sich uns nun zuwenden“ (Buck/Müller 2019, S. 80). Dabei trägt der Porträtierte ein samtenes Barett, während Handschuhe und Ärmel seines Gewandes pelzverbrämt sind. Seine Haltung geht auf ein gemaltes Porträt Tizians zurück,
das sich im 17. Jahrhundert in Amsterdam in der Sammlung von Alphonso Lopez
befand, einem konvertierten portugiesischen Juden, der im Diamanten- und
Waffenhandel reich geworden war. Als Tizians Modell betrachtete man lange den
italienischen Dichter und Höfling Ludovico Ariosto (1474–1533), Autor des Orlando furioso („Der rasende Roland“).
1615 war eine holländische Übersetzung des umfangreichen Versepos erschienen,
die das Buch weithin bekannt machte. Simon Schama geht davon aus, das Rembrandt
Alphonso Lopez sehr wahrscheinlich gekannt und sich in dessen Haus das
Tizian-Bildnis eingehend betrachtet hat.
Tizian: Porträt eines Mannes (um 1512); London, National Gallery |
Alphonso Lopez hatte im April 1639 auf einer Versteigerung in Amsterdam außerdem
ein berühmtes Porträt Raffaels erworben: das Bildnis des Baldassare Castiglione (1478–1529), Autor von Il Libro del
Cortegiano („Der Hofmann“). Rembrandt hielt das Gemälde in einer Federzeichnung
fest und notierte auch den Kaufpreis: 3500 Gulden. Das war etwa zehnmal mehr als das, was selbst so kunstfertige Maler wie Rembrandt oder Thomas de Keyser für ein Halbfigurenporträt erwarten konnten.
Raffael: Baldassare Castiglione (vor 1516); Paris, Louvre |
Rembrandt nach Raffael: Baldassare Castiglione (1639); Feder in Braun, weiß gehöht |
Rembrandt von Rijn: Selbstporträt (1640); London, National Gallery |
Ein Jahr später, also 1640, hat sich Rembrandt in derselben Haltung nochmals
selbst porträtiert – und zwar in einem Ölbild, das nicht allein von der
italienischen Tradition inspiriert ist, sondern auch deutlich von nördlichen
Vorbildern. Der Künstler präsentiert sich in einem eleganten Kostüm mit
geschlitzten Ärmeln und einem mit Pelz eingefassten Mantel, einer goldenen
Kette, die an seiner Brust befestigt ist, und einer weiteren, die seinen Hut
schmückt. Zwischen Rembrandts Gemälde und seiner Radierung bestehen allerdings nicht
unerhebliche Unterschiede: Die Figur auf dem Ölbild hat, da der Oberkörper im Verhältnis
zum Kopf größer ist und wir von einem deutlich niedrigeren Standpunkt zu ihr
aufschauen, monumentaleren Charakter. Auf der Radierung hingegen ist die Figur von
mehr Raum umgeben und wirkt deswegen kleiner. Die auf der Radierung schräg sitzende
Kopfbedeckung wird auf dem Gemälde waagerecht wiedergegeben, woduch die
Komposition symmetrischer erscheint. Rembrandt trägt auf der Radierung außerdem
einen Handschuh, der auf dem Gemälde fehlt. Rembrandts Frisur ist auf dem
Ölbild deutlicher kürzer, was ihn würdevoller erschienen lässt.
Anders als Tizian, der sein Modell in einem stahlblauen Seidenkostüm zeigt, ist die Kleidung Rembrandts auf seinem Ölbild von zurückhaltenden Brauntönen bestimmt: Die Aufmerksamkeit des Betrachters soll nicht durch prachtvolle Farben und Stoffe vom eigentlichen Zentrum abgelenkt werden – dem Antlitz des Künstlers. Dabei intensiviert die schwarze Rahmung von Barett, Haaren und Kleidung die Leuchtkraft des Gesichts. Auf der Radierung wie auf dem Ölbild trägt Rembrandt die Mode des 16.
Jahrhunderts – er „ordnet sich damit bewußt in die Tradition seiner älteren
Malerkollegen ein, die eine entscheidende Rolle in der Entwicklung einer
spezifisch nordeuropäischen Malkultur gespielt haben“ (Manuth 1999, S. 43). Zu
diesen gehörte auch der in Rembrandts Vaterstadt geborene Lucas van Leyden
(1494–1533). Zusammen mit Albrecht Dürer (1471–1528), der seinen Malerkollegen
persönlich kannte, galt Lucas van Leyden im 17. Jahrhundert als
verehrungswürdiger Meister nordischer Malerei und Grafik. Und auch Dürer wurde
von Rembrandt bewundert: 1638 erwarb er auf einer Versteigerung zahlreiche
Radierungen und Holzschnitte des Nürnberger Künstlers. Deswegen ist es berechtigt,
für das gemalte Selbstbildnis von 1640 nicht nur auf das genannte Tizian-Porträt
in der Londoner National Gallery und auf Raffaels Baldassare Castglione zu verweisen – ebenso deutlich sind die Verbindungen
zu Dürers Selbstporträt von 1498, das sich heute im Prado befindet (siehe meinen Post „Seht her, ich bin ein Künstler!“).
Albrecht Dürer: Selbstbildnis (1498); Madrid, Museo del Prado |
Auffallend ist zunächst das Motiv des aufgestützten Arms auf der Brüstung.
Im Gegensatz zu Tizians Modell, das offenbar lediglich den Ellenbogen aufgelegt
hat (was allerdings durch die bauschigen weiten Ärmel weitgehend verdeckt wird),
stützt Rembrandt den gesamten Unterarm auf die Steinmauer. Das ist Dürers
Selbstporträt sehr viel ähnlicher. Ursprünglich hatte er geplant, auch die
Finger der linken Hand auf der Brüstung sichtbar werden zu lassen, wie eine Röntgenaufnahme
des Gemäldes zeigt. Das hätte die Anlehnung an das Dürer-Selbstbildnis noch
deutlicher werden lassen.
Dürers Selbstporträt befand sich seit 1636 als Geschenk der Stadt
Nürnberg im Besitz des englischen Königs Karl I. (1600–1649). Thomas Howard,
Earl of Arundel, hatte es als Bote überbracht. „Seine Rückreise führte ihn
durch die Niederlande (Arnheim und Den Haag), wo Rembrandt das Gemälde gesehen
haben könnte“ (Manuth 1999, S. 44). Denkbar ist aber auch, dass Rembrandt eine
Nachzeichnung oder eine der noch vor 1640 entstandenen Kopien von Dürers Selbstbildnis
zum Vorbild nahm. Auf jeden Fall verkünden sowohl Komposition wie Bekleidung
seiner beiden Selbstporträts von 1639 und 1640 Rembrandts Anspruch: Selbstbewusst
tritt er in die Fußstapfen berühmter Künstler vorangegangener Jahrhunderte – er
steht ihrer Meisterschaft in nichts nach, er ist einer von ihnen, einer von den
Größten.
Literaturhinweise
Buck, Stephanie/Müller, Jürgen: Rembrandts Strich. Paul Holberton Publishing, London 2019, S. 80;
Manuth, Volker:
Rembrandt, Künstlerporträt und Selbstbildnis: Tradition und Rezeption. In:
Christopher White/Quentin Buvelot (Hrsg.), Rembrandts Selbstbildnisse. Belser
Verlag, Stuttgart 1999, S. 58-74;
Schama, Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag, Berlin 2000, S.
464-470;
Sevcik, Anja K. (Hrsg.): Inside
Rembrandt 1606 – 1669. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, S. 72;
van de
Wetering, Ernst: Die mehrfache Funktion von Rembrandts Selbstporträts. In: Christopher
White/Quentin Buvelot (Hrsg.), Rembrandts Selbstbildnisse. Belser Verlag,
Stuttgart 1999, S. 8-37;
van Thiel, Pieter: Selbstbildnis im Alter von 34 Jahren. In: Christopher Brown u.a. (Hrsg.), Rembrandt. Der Meister und seine Werkstatt. Gemälde. Schirmer/Mosel, München 1991, S. 218-221.
(zuletzt bearbeitet am 20. Oktober 2024)
van Thiel, Pieter: Selbstbildnis im Alter von 34 Jahren. In: Christopher Brown u.a. (Hrsg.), Rembrandt. Der Meister und seine Werkstatt. Gemälde. Schirmer/Mosel, München 1991, S. 218-221.
"Denkbar ist aber auch, dass Rembrandt eien Nachzeichnung oder eine der noch vor 1640 entstandene Kopien von Dürers Selbstbildnis zum Vorbild nahm".
AntwortenLöschenDort hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen, es ist "eine Nachzeichnung". Ansonsten sehr guter Text, er hat mir sehr weitergeholfen.
Danke dafür!
Danke sehr! Der Schreibfehler ist inzwischen beseitigt ...
AntwortenLöschen