Tilman Riemenschneider: Eva (1492/93); Würzburg, Mainfränkisches Museum |
Tilman Riemenschneider: Adam (1492/93); Würzburg, Mainfränkisches Museum |
Der 189 cm hohe Adam ist als schlanke, feingliedrige Gestalt mit breiten Schultern, bartlosem Gesicht und beeindruckender Lockenpracht dargestellt. Die schmale Hüfte ist nach links ausgestellt, der Blick aus mandelförmigen Augen leicht nach links oben gewandt. Adams Scham wird von einem Feigenblatt verdeckt. Seine geringelten Locken verdienen besondere Beachtung: Die einzelnen Strähnen sind à jour ausgeführt, sodass der Eindruck entsteht, sie wären aus Holz geschnitzt. Diese Haarbehandlung der tief unterschnittenen und durchbrochen gearbeiteten Locken ist charakteristisch für Riemenschneider.
Die mit 188 cm nur wenig kleinere Eva ist in Standmotiv und Körperhaltung spiegelbildlich zu Adam gestaltet. Gegenüber der beinahe knabenhaften Erscheinung des Mannes sind bei ihr mit nach rechts ausgestelltem Becken, rundem Bauch und kleinen Brüsten deutlich die weiblichen Körperformen betont. Evas Gesicht zeigt sich als fülliges Oval mit weichen Zügen, gerahmt von ihrem lang gewellten Haar, das von den Schultern bis zur Hüfte herabfällt. In der Hand des rechten angewinkelten Arms hält sie einen Apfel, zu ihren Füßen ringelt sich eine Schlange – beides eindeutige Hinweise auf den Sündenfall. Die beiden Gestalten entsprechen ganz dem Schönheitsideal der Spätgotik. Ohne festen Tritt, fast schwebend scheinen sie – einst eingebunden in ein architektonisches Gefüge – über dem knapp bemessenen Sockel zu stehen. Die gut erhaltenen Gesichter zeichnen sich durch zarteste Linien an Mund und Augen aus; selbst die inneren Augenwinkel sind durch kleine Kugeln markiert. Die Skulptur Adams wurde, gemeinsam mit der Figur des Evangelisten Johannes aus der Predella des Münnerstädter Altars, Vorbild für sämtliche Darstellungen jugendlicher Männer im Werk Riemenschneiders. Evas Gesichtstypus wiederum bildete die Vorlage für fast alle jugendlichen weiblichen Gestalten des Würzburger Meisters.
Tilman Riemenschneider: Der Evangelist Johannes (1490/92); Berlin, Bode-Museum |
Die Skulpturen sind in weiß-grauem Sandstein von gleichmäßiger, fleckenloser Struktur aus einem Werkblock und vollplastisch ausgearbeitet. Als Folge von Verwitterung ist bei beiden Figuren die ursprüngliche bildhauerische Oberfläche nur noch wenigen Stellen unversehrt; intakt sind – geschützt durch die Baldachine – allein noch die Köpfe, außerdem noch Partien von Adams rechter Schulter bis zum Bauch sowie von Evas linker Brusthälfte bis zum Bauch und linken Oberschenkel. An Adam wurden fast der gesamte rechte Arm und die Beine unterhalb der Knie ergänzt (einschließlich der Standfläche), bei Eva der rechte Arm ab Mitte des Oberarms, die Füße mitsamt der Standfläche sowie die Schlange. Alle sichtbaren Flächen und auch die Rückseiten zeigen in den noch intakten Bereichen eine glatte Oberfläche, die keinerlei Werkzeugspuren erahnen lässt.
Maria Magdalena (Münnerstädter Altar, 1490/92); München, Bayerisches Nationalmuseum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Buczynski, Bodo: Der Skulpturenschmuck Riemenschneiders für die Würzburger Marienkapelle. Eine Bestandsaufnahme. In: Claudia Lichte (Hrsg.), Tilmann Riemenschneider – Werke seiner Blütezeit. Verlag Schnell und Steiner, Regensburg 2004, S. 175-193;
Buczynski, Bodo: Oberflächen und Unterzeichnung – technologische Aspekte der Kunst um 1500. Die Steinbildwerke Tilman Riemenschneiders im technologischen Kontext zu Werken Niclaus Gerhaerts von Leyden. In: Tobias Kunz (Hrsg.), Nicht die Bibliothek. sondern das Auge. Westeuropäische Skulptur und Malerei an der Wende zur Neuzeit. Beiträge zu Ehren von Hartmut Krohm. Michael Imhof Verlag 2008, S. 187–206;
Krohm, Hartmut (Hrsg.): Zum Frühwerk Tilman Riemenschneiders. Eine Dokumentation. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1982. S. 86-87
Tilman Riemenschneider: Frühe Werke. Ausstellung im Mainfränkischen Museum Würzburg vom 5. September bis 1. November 1981. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1981;
Vetter, Ewald M.: Tilman Riemenschneiders Adam und Eva und die Restaurierung der Marienkapelle in Würzburg. In: Pantheon 49 (1991), S. 74-87.
(zuletzt bearbeitet am 23. Juni 2024)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen