Veit Stoß: Slackersches Kruzifix (um 1491), Krakau, Marienkirche |
Christus hängt mit völlig waagrecht ausgestreckten Armen am Kreuz. Das leicht zur Seite geneigte Haupt ist nach vorn mit dem Kinn auf die Brust gefallen. Der kurze Vollbart, dessen Strähnen sich an den Enden in einzelnen Locken aufrollen, bedeckt den unteren Teil der Wangen und umrahmt das Kinn auf der Brust. Das Haar ist in der Mitte gescheitelt und liegt in Wellen auf dem Schädel und im Nacken. Rechts fällt es, aus mehreren spiralförmig gedrehten Locken zu einer großen Strähne zusammengefasst, bis über die Achselhöhle auf die Brust herab. Links sind die sorgfältig ausgearbeiteten gewellten Haare in den Nacken und auf den Rücken zurückgeschoben; eine kleine Locke ist über dem Auge abgebrochen. Der gequälte Mund steht offen, sodass die Zahnreihen sichtbar werden. Der Blick ist gebrochen, die Augen sind bis auf einen kleinen Spalt geschlossen: Wir sehen den toten Christus. Die Stirn, die Lider über und unter den Augen sowie die Partien neben den Augen sind von tiefen waagrechten Furchen durchzogen. Einzelne Falten umkreisen in den stark eingefallenen Wangen die Backenknochen von den senkrechten Stirnfalten über die Nase bis zum Bartansatz.
Die Arme sind zwischen den Nägeln so straff ausgespannt, dass das Haupt nicht zwischen die Schultern einsinken kann. Muskeln und Sehnen der Arme sind extremen Zerrungen ausgesetzt. Die linke Schulter Christi wirkt wie ausgekugelt. Der Körper Christi hängt gerade vor dem Kreuzbalken herab. Schulterblätter, Gesäß und Ferse des linken Fußes liegen dem Kreuz unmittelbar auf. Die Knie sind zwar nicht auffallend durchgedrückt, treten aber nicht wie bei den meisten gotischen Kruzifixen nach vorn vor. Die Gestalt ist ganz gerade ausgerichtet, die Hüfte nicht zur Seite herausgedrückt. Der Brustkorb Jesu wölbt sich stark nach vorne – „er wirkt wie zum Einatmen aufgeblasen“ (Kahsnitz 1997, S. 133). Unter der Haut zeichnen sich die Rippen ab, vorn auffallend waagrecht, in der Seitenansicht schräg aufsteigend. Die Haut ist gleichsam unmittelbar über die Rippenknochen gespannt, ohne dass eine Fleisch- oder Muskelschicht dazwischen läge. Der untere Rippenrand tritt deutlich hervor, die Brust ist durch die Medianlinie bis über den Nabel nach unten senkrecht geteilt. Unterhalb der eingezogenen Taille – sichtbar vor allem in der Seitenansicht mit dem Hohlkreuz – ist der klein gebildete Unterbauch markant modelliert, außerdem von einem Geflecht blutgefüllter Adern überzogen. Ähnlich hart wie die Rippen treten die Hüftknochen knöchern über dem Lendenschurz aus dem Fleisch hervor.
Die Beine sind lang und schlank, die Kniegelenke deutlich herausgearbeitet. Der vordere rechte Fuß ist über den linken gebogen, die Zehen weichen zum Kreuz zurück. Die Gesamtform der Beine prägen die scharfen, leicht gebogenen und lang sich hinziehenden Schienbeinknochen. Die Fußwunden sind wie die der Hände nicht aufgerissen. Gegenüber dem mächtigen Thorax wirken die langen Beine, schmalen Fesseln und Füße geradezu zierlich. In makelloser Unversehertheit lässt der Körper außer der Annagelung keinerlei Verwundung oder Spuren der erlittenen Passion erkennen, wie sie im Antlitz abzulesen sind. Unter dem rechten Rippenrand klafft freilich die Brustwunde.
Veit Stoß: Holzkruzifix (1520), Nürnberg, St. Sebald |
Rogier van der Weyden: Kreuzigungstriptychon (um 1443/45), Wien, Kunsthistorisches Musum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Niclaus Gerhaert: Steinkruzifix (1467); Baden-Baden, Schlosskirche |
Literaturhinweise
Eser, Thomas: Veit Stoß. Ein polnischer Schwabe wird
Nürnberger. In: Brigitte Korn u.a. (Hrsg.), Von Nah und Fern. Zuwanderer in die
Reichsstadt Nürnberg. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2014, S. 85-90;
Kahsnitz, Rainer: Veit Stoß, der Meister der Kruzifixe. In: Zeitschrift des Deutschen
Vereins für Kunstwissenschaft 49/50 (1995/1996), S. 123-179:
Kammel, Frank, Matthias: Künstler, Spekulant, Urkundenfälscher. Aufstieg und Fall des Veit Stoß. In: Frank Matthias Kammel (Hrsg.), Kunst & Kapitalverbrechen. Veit Stoß, Tilman Riemenschneider und der Münnerstädter Altar. Hirmer Verlag, München 2002, S. 51-90.
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