Mittwoch, 29. Dezember 2021

Der fruchtbare Pfeil Gottes – Rembrandts Radierung „Abraham bewirtet die drei Engel“ (1656)

Rembrandt: Abraham bewirtet die drei Engel (1656); Radierung
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Im 1. Buch Mose (Kapitel 18,1-15) erzählt das Alte Testament, dass der greise Abraham eines Tages Besuch von drei Fremden erhält: Es ist Gott selbst in Begleitung zweier Engel. Abraham fordert sie auf zu verweilen, lässt ein Kalb schlachten und bewirtet sie unter einem Baum. Diese „drei Männer“ (1. Mose 18,2) wurden seit den Kirchenvätern immer wieder als typologischer Hinweis auf die Dreieinigkeit Gottes gedeutet, da einmal von drei, dann von einem Gast gesprochen wird.

Auf einer Radierung aus dem Jahr 1656 hat Rembrandt (1606–1669) das Geschehen vor einen am linken Bildrand angeschnittenen Hauseingang verlegt, hinter dessen halb geöffneter Tür sich Abrahams Ehefrau Sara verbirgt. Die drei Gäste haben sich davor niedergelassen, während der rechts etwas niedriger stehende Abraham sich beeilt, den drei Männern aufzuwarten: Die Dreiergruppe zu einem Halbkreis ergänzend, scheint gerade mit einer Kanne aus einem Vorratskeller aufzusteigen; demütig nähert sich der Greis seinem ältesten Gast, um ihm das Trinkgefäß zu füllen. Eine Schale mit Fladenbroten hat er schon bereitgestellt.

Rembrandt hat die Szene in leichter Untersicht gestaltet; der Betrachter befindet sich oberhalb Abrahams, aber unterhalb von Gottvater. Abweichend von der Bildtradition, sind nur die beiden Begleiter durch ihre Flügel als Engel gekennzeichnet, während Gottvater als greiser Patriarch mit langem Bart und exotischer Kopfbedeckung erscheint, zusätzlich hervorgehoben durch Lichtführung und Figurenmaßstab. Die Fremden haben bereits mit dem Mahl begonnen, in dessen Verlauf sie Abraham und der nicht minder betagten, bis dahin unfruchtbaren Sara einen Sohn voraussagen. Diesen Moment der Prophezeiung stellt Rembrandt dar: Gottvater weist mit der linken Hand in Abrahams Richtung, offenbar spricht er ihn an. Sara steht hinter der Tür und lacht, wie die Bibel berichtet, ungläubig über diese Aussicht, wofür sie von Gott getadelt wird. Tatsächlich wird sie mit Isaak schwanger. Abraham hatte zuvor mit seiner Magd Hagar seinen ersten Sohn Ismael gezeugt (1. Mose 16); die beiden werden nach Isaaks Geburt von Abraham verstoßen (1. Mose 21,8-21). Der bogenschießende Knabe in Rückenfigur deutet den Fortgang der Geschichte an: Es ist Ismael, der sich nach der Verstoßung als sicherer Schütze beweisen wird (1. Mose 21,20).

Ismael ist im Begriff, sehr konzentriert einen Pfeil abzuschießen. Das ließe sich, so Jürgen Müller, auf die bevorstehende Empfängnis Saras beziehen: „Schon im nächsten Augenblick, sobald der Pfeil von der Sehne schnellt, wird auch Gottes Vorhersage eintreffen und das Abraham gegebene Versprechen Wirklichkeit“ (Müller 2017, S. 146). Um dies zu verdeutlichen, setzt Rembrandt Ismael ins Zentrum des Blattes – der Junge stellt damit den Schlüssel zum tieferen Verständnis der Radierung dar.

Rembrandt: Vier Orientalen unter einem Baum (um 1656);
London, British Museum
Raffael: Triumph der Galatea (1506); Rom, Villa Farnesina
Für die Gruppe der exotisch anmutenden Fremden, die auf einem Teppich um die Fladenbrot-Schüssel sitzen, hat Rembrandt auf das Vorbild einer indischen Miniatur zurückgegriffen, die sich in seiner Sammlung befand bzw. von der er eine Nachzeichnung anfertigte. Auch die Physiognomie Gottvaters mit dem eindrucksvollen weißen Bart, die Schale auf dem Teppich,die Kanne rechts und der kaum Tiefenräumlichkeit erzeugende Landschaftshintergrund sind dort vorgebildet. Für den bogenspannenden Ismael auf einen der pfeilschießenden Putten aus Raffaels Triumph der Galatea in der römischen Villa Farnesina zurück, und zwar über einen Nachstich von Hendrick Goltzius. „Rembrandt macht sich hier indirekt über jene Kritiker lustig, die ihm die Unkenntnis der Werke Raffaels vorwerfen. So wird sein Zitat zu einer Art ,Augenzwinkern‘ für Eingeweihte“ (Müller 20917, S. 146).

Rembrandt: Die Verstoßung der Hagar (1637); Radierung
Der Hauseingang taucht übrigens bereits an gleicher Stelle auf Rembrandts Radierung Die Verstoßung der Hagar von 1637 auf.

 

Literaturhinweise

Brinkmann, Bodo u.a. (Hrsg.): Rembrandts Orient. Westöstliche Begegnung in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts. Prestel Verlag, München/ London/New York 2020, S. 308;

Müller, Jürgen: Abraham, die Engel bewirtend (1656). In: Jürgen Müller und Jan-David Mentzel (Hrsg.), Rembrandt. Von der Macht und Ohnmacht des Leibes. 100 Radierungen. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2017, S. 146;

Pächt, Otto: Rembrandt. Prestel-Verlag, München 2005, S. 154-156.

 

(zuletzt bearbeitet am 5. Dezember 2024)


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