Den Auftrag
für diesen Altar erhielt Albrecht Dürer (1471–1528) 1498 von dem Nürnberger
Patrizier Martin Paumgartner und dessen Frau Barbara, und zwar anlässlich einer
Reise ihres Sohnes Stephan ins Heilige Land. Aufgestellt werden sollte er als
Gedächtnisstiftung in der Katharinenkirche. Die Stifterfamilie kniet, der
Bedeutungsperspektive entsprechend, im kleineren Maßstab links und rechts von
der Geburt Christi auf der Mitteltafel. Die beiden Söhne, die links von Josef
neben ihrem Vater zu sehen sind, treten nochmals in den Seitenflügeln als
Ritterheilige auf: Stephan Paumgartner als Hl. Georg und Lukas als Hl. Eustachius.
Albrecht Dürer: Paumgartner-Altar (um 1502/04); München, Alte Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken)
Dürer hat die Geburt Christi bühnenhaft in einer halbruinösen Architekturkulisse inszeniert, die auch dazu dient, seine Beherrschung der Zentralperspektive zu demonstrieren. Zwischen romanischen Bögen und Durchblicken öffnet sich eine Gasse, die nach hinten in einen zunächst ländlichen Mittelgrund und dann in eine ferne Bergwelt übergeht. Vor den roten Säulen einer Doppelarkade des Stalles kniet Maria unter einem schmalen hölzernen Vordach mit vor der Brust gekreuzten Armen und blickt versonnen auf das Jesuskind herab; der Knabe liegt nackt auf einer Falte ihres tiefblauen Kleides auf dem Boden und streckt die Ärmchen seiner Mutter entgegen.
Von links ist Josef herangetreten, entsprechend seiner Bedeutung etwas „unter Maria“ platziert; in Braunrot gewandet, verharrt er kniend und staunend hinter dem Balken, der ihn von der Mutter-Kind-Szene trennt. Seinen Wanderstab hat er vor sich abgelegt; er hält eine Laterne in der linken Hand und scheint sich auf den Sockel des vorderen Vordach-Pfostens zu stützen. Josef ist in dem Moment gezeigt, als er über eine Stufe von vorne in das Bild „einsteigt“ und andächtig vor Mutter und Kind in die Knie sinkt. „Joseph hat die wichtige und in ihrer Prägnanz neuartige Aufgabe, den Gläubigen in das Bild hineinzuleiten und ihm seine Rolle – die andächtige Verehrung – gleichsam vorzuführen“ (Kutschbach 1995, S. 30).
Durch einen
gemauerten Bogen des linken Gebäudes lugen zwei Männer als Zuschauer und Zeugen
hervor und aus dem Stall rechts der Ochse, während der Esel daneben seinen Blick
der Sonne zuwendet. Eine wimmelnd-bunte Schar kindlicher Engel umgibt das Neugeborene
und belebt das karge Ambiente. Das von einer mächtigen Sonne oben links im Bild
erleuchtete Azur des Himmels verlegt das Geschehen in die Mittagszeit, und die
üppige gelbgrüne Landschaft mutet eher sommerlich an, lässt jedenfalls den
mitteleuropäischen Betrachter nicht an die Weihnachtszeit denken.
Albrecht Dürer: Paumgartner-Altar/Geburt Christi
Aus dem Mittelgrund nähern sich zwei ins Gespräch vertiefte Hirten. Sie sind dem Engel hoch am Himmel über ihnen gefolgt, der ihnen aus einer grellgelb leuchtenden Lichtaureole den Weg weist. Die Hirten, über deren Köpfen der Fluchtpunkt der zentralperspektivischen Bildanlage liegt, besetzen die Bildmitte; vor ihnen öffnet sich eine Gasse, die Blickachse zum Christuskind, in die das Licht des Engels und der Sonne fällt. Der Platz unter freiem Himmel ist beidseitig durch die Mauerfluchten der in starker Verkürzung gemalten Gebäude sowie den darüber gespannten Mauerbogen begrenzt. Durch die extremen Verkürzungen dieser Vodergrundbühne entsteht ein starker Tiefensog, den die parallel zur Bildebene gestellte Vordachkonstruktion über Maria und die beiden in Gegenrichtung von hinten zu dem Platz hochsteigenden Hirten auffangen. Dabei bildet der stützende Mittelpfosten, der die Tiefenflucht bremst und das Bild zugleich in zwei Hälften teilt, die Grenze zwischen zwei verschiedenen Sphären: Abgeschirmt wird auf diese Weise die Mutter-Kind-Gruppe – sie präsentiert sich als in sich geschlossene Einheit und eigentliches Objekt der Verehrung. „Maria und das Kind sind nicht nur räumlich herausgehoben, sondern auch psychisch ausgegrenzt“ (Kutschbach 1995, S. 30). In sich selbst versunken, sich gegenseitig anblickend, nehmen sie das Geschehen um sich herum nicht wahr. Sie stellen in gewisser Weise ein – durch das Vordach gerahmtes – „Bild im Bild“ dar. Doris Kutschbach bezeichnet die Mutter-Kind-Gruppe im Paumgartner-Altar deswegen auch als „das Andachtsbild in einem Bild der Andacht“ (Kutschbach 1995, S. 32).
Die real anmutende Örtlichkeit ist aus erkennbaren Versatzstücken zusammengesetzt. Dabei steht das Ruinenhafte der Architekturteile für den Verfall der alten göttlichen Ordnung, die nun durch die Geburt des Heilands abgelöst wird. So sind auch die Pflanzen zu verstehen, die hier und da auf den ruinösen Arkaden wachsen – sie verweisen darauf, dass die Zeit des Neuen Bundes anbricht. „Der Lichtschein im Osten bezieht sich in dieser Deutung auf die Lichtmetaphorik der Geburt Christi und verheißt als Hoffnungsschimmer die Rückkehr ins Paradies, die Ankunft der sol justitiae, der Sonne der Gerechtigkeit“ (Bonnet/Kopp-Schmidt 2010, S. 96).
Dürer
verknüpft auf seinem Altar tradtionelle Bildelemente mit neuen: Die Stifter
sind als Miniaturfiguren mit Wappen in eine nahezu naturalistisch gestaltete
Tiefenräumlichkeit eingefügt – nicht denkbar ohne Dürers Kenntnis italienischer
Kunst. Wichtige Bildelemente der Mitteltafel hat Dürer einmal mehr von dem
Maler und Grafiker Martin Schongauer (um 1440–1491) übernommen: So sind etwa
die zerfallenden Gemäuer, auf denen Pflanzen sprießen, Josephs Laterne oder die
herbeieilenden Hirten wie auch die Simultanszene der Verkündigung an die Hirten
auf dessen Geburt-Christi-Kupferstich (um 1470) vorgebildet.
Martin Schongauer: Geburt Christi (um 1470); Kupferstich
Die
Seitenflügel hat Dürer symmetrisch angelegt: Die beiden Ritterheiligen stehen fast
lebensgroß vor neutralem schwarzem Grund auf einer kargen Bodenfläche mit tief
liegendem Horizont. Sie wenden sich wie überdimensionierte Wächter des Geschehens
zur Mittteltafel hin, gehören jedoch eindeutig einer anderen Zeit und Sphäre an.
Beide sind im Kontrapost abgebildet, beide tragen prächtige, metallisch
glänzende Rüstungen im Stil der Zeit um 1500 mit seitlich befestigten
Schwertern, schwarz-rote Strümpfe und einen geschlitzten Wams, golddurchwirkte Netzhauben
und gespornte, kuhmaulförmige Schuhe; beide halten eine Standarte in der
rechten Hand. Die Männer beeindrucken nicht nur durch ihre Plastizität und
gelassene Eleganz, sondern ebenso durch ihre sehr individuell und realistisch
gestalteten Köpfe.
Albrecht Dürer: Hl. Georg/Hl. Eustachius (für die Großansicht einfach anklicken)
Der hl. Georg hält eine schlaffe Drachenleiche in der Linken; an seiner Lanze ist das Kreuzbanner der Jerusalemfahrer befestigt. Der hl. Eustachius umfasst mit der Linken den Schwertgriff in Hüfthöhe; sein Banner zeigt das Bild des Gekreuzigten im Geweih, sein Erkennungszeichen. Der hl. Georg, das Gewicht auf dem linken, inneren Bein lastend und das rechte locker nach hinten gestellt, scheint ein wenig zusammengesunken dazustehen, wie ermattet vom Kampf mit dem Drachen. Die aufrechte Haltung seines Gegenüber dagegen strahlt mit dem festen Stand auf durchgedrücktem Knie, vorgestelltem Spielbein und vorgereckter Brust Stolz und Energie aus. Zusammen mit der Mitteltafel stellen die zwei Ritterheiligen dem gläubigen Betrachter seine Aufgaben vor Augen: zum einen Anbetung und Verehrung des Mysteriums der Fleischwerdung Gottes in der Geburt Christi, zum anderen die Verteidigung des christlichen Glaubens.
Literaturhinweise
Bonnet, Anne-Marie/Kopp-Schmidt, Gabriele: Die Malerei der deutschen Renaissance. Schirmer/Mosel, München 2010; S. 96-99;
Kutschbach, Doris: Albrecht Düer. Die Altäre. Belser Verlag, Stuttgart und Zürich 1995, S. 11-32.
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