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Wolf Huber: Flucht nach Ägypten (1525/30); Berlin, Gemäldegalerie
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Der Passauer Hofmaler Wolf Huber (1485–1553)
zeigt uns auf diesem nahezu quadratischen Gemälde (52,2 x 65,6 cm) die Flucht
Marias und Josefs mit dem neugeborenen Chistuskind vor den Häschern des Herodes
(Matthäus 2,13-14) – und verlegt die Szene dabei aus dem vorderen Orient in
eine alpine Gebirgslandschaft, genauer: in die Einsamkeit eines lichten Hochwaldes. Die
Gruppe, gerade auf einer kahlen Felskuppe angekommen, ist großformatig ins Zentrum
gerückt; der tief liegende Augenpunkt des Betrachters lässt die Figuren
zusätzlich monumental erscheinen. Über Hügelrücken und schroffes Gestein hinweg
sucht die hl. Familie abseits der von Menschen bewohnten Gegenden ihren Weg. Von
der Höhe aus schweift der Blick ins Tal, wo sich eine türmereiche Stadt,
bekrönt von einer Burg, an den Ufern eines Sees oder breiten Stromes erstreckt.
In der Ferne ragen riesige, unersteigbare Berggipfel empor.
Maria sitzt etwas zusammengesunken seitlich auf dem Esel, über dessen Rücken ein helles Tuch ausgebreitet ist. Sie hält das
Köpfchen des Kindes schützend an die Brust, während der deutlich ältere Josef
das Tier am Zügel führt und seinen Wanderstock über die Schulter gelegt hat.
Fürsorglich wendet er sich zurück zu Maria und sucht ihren Blick. Durch das
schräg einfallende Sonnenlicht werfen ihre Gestalten scharfe Schatten auf den
Grund. Die Köpfe Mariens und des Kindes sind in helle, weiße Tücher gehüllt und
ziehen unseren Blick auf sich. Neben dem Esel hat die hl. Familie noch den
Ochsen aus dem Stall von Bethlehem mitgenommen, der mit weit geöffneten Augen hinterher
trottet. Das lässt sich ganz pragmatisch deuten: Josef führt das Tier wohl
mit, um es zum eigenen Unterhalt verkaufen zu können.
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Albrecht Dürer: Flucht nach Ägypten (um 1503); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken)
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Das Motiv des Gemäldes geht auf einen
Holzschnitt von Albrecht Dürer (1471–1528) zurück. Bereits um 1503 entstanden,
war er Teil von Dürers Holzschnittfolge mit 20 Szenen des Marienlebens, die
1511 in Buchform erschien (siehe meinen Post „Ein Buch für die Himmelskönigin“). Etliche Details sind direkt aus dem Vorbild entnommen – so
die auf dem Esel reitende Maria, die dem Betrachter den Rücken zuwendet und das
Kind vor der Brust hält; der ihr auf den Rücken geglittene breitkrempige Reisehut
zum Schutz vor der Sonne; der voranschreitende, den Esel führende und sich zu
Maria umwendende Josef mit dem Wanderstock über der Schulter; Ochs und Esel, ja
selbst die im apokryphen Pseudo-Matthäus-Evangelium erwähnte, den Fliehenden
ihre Früchte darbietende Dattelpalme, mit der Huber die Szene am linken
Bildrand optisch abschließt. Dürer wiederum hatte die wesentlichen Elemente seinerseits
einer langen Darstellungstradition entlehnt, insbesondere aber einem Kupferstich
von Martin Schongauer (um 1440–1491; siehe meinen Post „Bis zuletzt rein und unbefleckt“).
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Martin Schongauer: Flucht nach Ägypten (um 1470); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken)
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Huber schafft jedoch ein durch
Landschaft und Stimmung grundlegend anderes, nicht minder eigenständiges Werk:
Während bei Dürer das Thema der Flucht im Vordergrund steht, scheint die Bedrohung
auf dem Gemälde überwunden. Das nah an den Betrachter herangerückte Paar, der
intime Blickkontakt, der helle Himmel, der weite Ausblick in die Landschaft mit
See, Stadtsilhouette und beinahe weißem Felsmassiv erwecken einen heiteren
Eindruck. Die wärmenden Strahlen der Morgensonne, die den Waldboden und das
Laubwerk der Bäume aufleuchten lassen, vermitteln friedvolle Ruhe: Mit dem Beginn
des neuen Tages scheint sich die Hoffnung auf ein glückliches Ende der
gefahrvollen Flucht zu verbinden. Im Mittelpunkt des Gemäldes steht aber das
innige Verhältnis der kleinen Familie, insbesondere Josefs Sorge um das Wohl
der Mutter und des Neugeborenen.
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Albrecht Dürer: Flucht nach Ägypten (1495/96); Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister
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Eine ähnliche
Stimmung findet sich bereits auf einer der Tafeln aus Dürers Altar der Sieben Schmerzen Mariae (1495/96). Hier
sind die Figuren wie bei Huber nicht nur nah an den Betrachter gerückt, sondern
auch enger zueinander als auf Dürers Holzschnitt von 1503. Die Heilige Familie
sowie der Esel könnten durchaus als Vorbild für Hubers Gemälde gedient haben.
Das gilt auch für die Darstellung des Waldes: Dürer gestaltet hier „erstmals
mit den über den oberen Bildrand mittels Überschneidung hinauswachsenden Stämmen
den Eindruck eines natürlichen, betretbaren Waldes, den die Heilige Familie
durchwandert hat“ (Stadlober 2006, S. 302).
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Wolf Huber: Heimsuchung Mariae (1525/30); München, Bayerisches Nationalmuseum
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Hubers Tafel war kein Einzelbild, sondern
Teil eines Flügelaltars mit Szenen aus dem Marienleben (um 1525/30 entstanden),
von dem sich eine Heimsuchung Mariae
im Bayerischen Nationalmuseum in München erhalten hat.
Literaturhinweise
Grosshans, Rainald: Wolf Huber, Die Flucht nach
Ägypten (um 1525/30). In: Gemäldegalerie Berlin.
200 Meisterwerke. Nicolaische
Verlagsbuchhandlung Beuermann, Berlin 1998, S. 102-103.
Roller, Stefan/Sander, Jochen
(Hrsg.): Fantastische Welten. Albrecht Altdorfer und das Expressive in der
Kunst um 1500. Hirmer Verlag, München 2014, S. 82;
Stadlober, Margit:
Der Wald in der Malerei und der Graphik des Donaustils. Böhlau Verlag,
Wien/Köln/Weimar 2006, S. 300-303;
Winzinger, Franz:
Wolf Huber. Das Gesamtwerk. Band I: Text. R. Piper & Co. Verlag, München
1979, S. 180.
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