Albrecht Dürer: Bildnis Michael Wolgemut (1516); Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Albrecht Dürer (1471–1528) hat seinem einstigen Lehrherrn Michael Wolgemut (um 1434/37–1519) lebenslang Verehrung entgegengebracht. Davon zeugt ein kleinformatiges Porträt (29,8 x 28,1 cm), das der Nürnberger Meister 1516 anfertigte; es „gehört zweifellos zu den besten und eindringlichsten Werken Dürers“ (Hess 2004, S. 134). Darüber hinaus gilt es als das früheste selbstständige deutsche Malerbildnis, das kein Selbstbildnis ist.
Das sehr eng in das Bildfeld eingepasste Porträt zeigt Wolgemut mit seidenem schwarzen Haarnetz, einer Schaube mit Pelzkragen über dem schwarzen Wams und einem kragenlosen weißen Hemd vor grünem Hintergrund. Der nach rechts gewandte hochbetagte Künstler ist nur bis zu den Schultern sichtbar; er blickt am Betrachter vorbei aus dem Bild heraus. Im rechten Auge spiegelt sich, wie bei vielen von Dürers Porträts, ein Fensterkreuz. Unter der dünn gewordenen Haut treten die geschlängelte Ader auf der Schläfe, die Wangenknochen und die Sehnen am Hals stark hervor. Fest umrissen sind das Kinn mit dem vorgeschobenen Unterkiefer, die gebogene Nase und der geschlossene Mund. Die obere Bildkante überschneidet die über der Stirn kreuzweise zusammengebundene Haarhaube, die das rechte Ohr teilweise verdeckt. Besonders markant an dem Greisenantlitz erscheint der Kontrast zwischen der erschlaffenden Haut und den wachen Augen.In der rechten oberen Ecke benennt Dürer in einer siebenzeiligen Inschrift das Lebensalter des Dargestellten und dessen Bezug zu sich selbst; der Text ist in spätgotischer Buchkursive abgefasst: „Das hat albrecht durer abconterfet noch / seine(m) Lehrmeister michel wolgemut in jor / 1516 vnd er was 82 jor / vnd hat gelebt pis das man / zelet 1519 jor do ist er ferschiden an sant endres dag frv ee dy / sun awff gyng“. Nicht eindeutig ist, ob sich die Altersangabe von 82 Jahren auf das Jahr 1516 oder 1519 bezieht. Die Entstehungsgeschichte der Aufschrift ist umstritten: Wurde der erste Teil von Dürer bereits 1516 aufgetragen und dann 1519 nach dem Tod Wolgemuts vervollständigt, oder fügte er die gesamte Inschrift erst 1519 hinzu? Wie auch immer, das Bildnis muss nach dem Tod Wolgemuts für Dürer erreichbar gewesen sein, sodass er die Inschrift ergänzen konnte.
Unklar ist auch Anlass für das Bildnis: Wolgemut könnte es bestellt haben; es könnte aber auch als Geschenk für ihn gemalt worden sein, oder Dürer schuf es für sich selbst als „Gedenkbild“ an den verehrten Lehrmeister. Das ist wohl am wahrscheinlichsten; als persönliche Erinnerung sind auch die beiden Bildnisse seiner Eltern entstanden.
Albrecht Dürer: Bildnis Barbara Dürer (1490); Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum |
Albrecht Dürer: Bildnis Albrecht Dürer d.Ä. (1490); Florenz, Uffizien |
In seiner Lebensnähe ist das Wolgemut-Bildnis ein bedeutsames Dokument für die mimetischen Qualitäten, die Dürers gesamtes künstlerisches Werk prägen. Die Wiedergabe der leicht geröteten Augen zum Beispiel ist in der Tat so genau, dass Augenärzte eine Kombination von Grünem und Grauem Star erkannten. „Wie in den Aquarellen des Feldhasen, des Rasenstücks und des Blaurackenflügels, die in ihrer Differenzierung und Genauigkeit als Gipfel Dürerscher Naturnachahmung gelten, manifestiert sich auch im Wolgemut-Bildnis das Interesse am charakteristischen Detail und an der präzisen Wiedergabe des Natur-Vorbilds“ (Hess 2004, S. 134).
Dürer war zwischen 1486 und 1490 Lehrjunge Wolgemuts. Dieser hatte Ende 1472 in seiner Heimatstadt Nürnberg die Witwe des verstorbenen Malers Hans Pleydenwurff (um 1420–1472) geheiratet und dessen Werkstatt übernommen, in der auch sein Stiefsohn Wilhelm Pleydenwurff tätig war. In Wolgemuts Atelier entstanden umfangreiche Altarwerke, Glasfenster und illustrierte Bücher. Künstlerisch orientiert sich Wolgemut nicht nur an den Kupferstichen Martin Schongauers (siehe meinen Post „Malen mit dem Grabstichel“), sondern auch an niederländischen bzw. niederländisch beeinflussten Werken. Er war auch ein gefragter Porträtist; genannt sei hier etwa das Bildnis des Nürnberger Apothekers Hans Perckmeister aus dem Jahr 1496.Michael Wolgemut/Werkstatt: Bildnis Hans Perckmeister (1496); Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum |
Literaturhinweise
Goldberg, Gisela/Heimberg, Bruno/Schawe, Martin: Albrecht Dürer. Die Gemälde der Alten Pinakothek. Edition Braus, München 1998, S. 414-429;
Hess, Daniel: Bildnis des Nürnberg Malers Michael Wolgemut. In: Germanisches Nationalmuseum (Hrsg.), Faszination Meisterwerk. Dürer – Rembrandt – Riemenschneider. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2004, S. 134;
Löcher, Kurt: Albrecht Dürer – Bildnis des Nürnberger Malers Michael Wolgemut, 1516. In: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Die Gemälde des 16. Jahrhunderts. Verlag Gerd Hatje, Stuttgart 1997, S 210-212;
Roth, Michael (Hrsg.): Dürers Mutter. Schönheit, Alter und Tod im Bild der Renaissance. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 2006, S. 30.