Christus-Johannes-Gruppe (um 1330/40), Frankfurt a.M., Liebieghaus (für die Großansicht einfach anklicken) |
Bei der mittelalterlichen Christus-Johannes-Gruppe,
auch Jesusminne genannt, handelt es sich um ein Andachtsbild, ähnlich dem Schmerzensmann oder der Pietà, ein „Hilfsmittel“ sozusagen für Gebet
und Meditation im privaten Rahmen. Allerdings
ist es bei weitem nicht so verbreitet wie jene: Es sind nur 28 dieser plastischen
Zweifigurengruppen erhalten; sie stammen alle aus Schwaben, der deutschen
Schweiz und dem Oberrheingebiet, aus jener Region also, die man auch „alemannisch“
nennt. Das Format der Christus-Johannes-Gruppen schwankt zwischen beinahe
lebensgroß und Kleinplastik. Keine von ihnen befindet sich heute noch an dem
Platz, für den sie geschaffen wurde. Motivisch stimmen alle Exemplare, vor
allem die frühen, eng überein.Was genau zeigen sie?
Christus und sein Lieblingsjünger
Johannes sitzen nebeneinander auf einer Bank, Johannes links von Christus. Der
Jünger lehnt sein Haupt an Christi Schulter bzw. Brust. Dabei liegt die linke Hand
Christi auf der linken Schulter des Johannes, Ausdruck liebevoller Zuneigung
und Fürsorge. Johannes wiederum legt seine Rechte in die rechte Hand Christi. Der
Jünger schläft, Christus sitzt hoch aufgerichtet, als wache er über den
Schlafenden; dabei neigt er ihm entweder sein leicht gesenktes Haupt zu, oder
Kopf und Blick sind streng geradeaus gerichtet.
Christus-Johannes-Gruppe (um 1320/30); München, Bayerisches Nationalmuseum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Ausgangspunkt dieser Skulpturen ist der
Abendmahlsbericht des Johannes-Evangeliums; nur hier wird das Ruhen des
Lieblingsjüngers an der Brust Jesu erwähnt: „Es war aber einer unter seinen
Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. Dem winkte
Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. Da lehnte
der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist’s?“ (Johannes 13,23-25;
LUT). Am Ende des Johannes-Evangeliums taucht das Motiv erneut auf: „Petrus
aber wandte sich um und sah den Jünger folgen, den Jesus lieb hatte, der auch
beim Abendessen an seiner Brust gelegen und gesagt hatte: Herr, wer ist’s, der
dich verrät?“ (Johannes 21,20; LUT). Für das Verständnis des biblischen Textes
muss das antike Liegen an der Tafel vorausgesetzt werden, das jedoch in der
Vorstellung des westlichen Mittelalters zum Sitzen wurde.
Christus-Johannes-Gruppe (vor 1330); Hermetschwil, Kloster St. Martin (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der in die Ferne bzw. nach innen
gerichtete Blick Christi lässt aus dem biblischen Textzusammenhang verstehen: Dem Abendmahlsbericht, aus dem die Skulpturen herausgelöst wurden, geht
ja die Ankündigung des Verrats durch Judas voraus. So wacht Jesus über den
Gefährten in dem Wissen, was kommen wird. Allerdings steht die Frage des
Johannes, wer von ihnen denn der Verräter sei, im Widerspruch zum Motiv des Schlafens in der Jesusminne: Wer schläft, kann keine
Fragen stellen. Im Bibeltext ist auch keine Rede von einer Umarmung oder dem
Ineinanderlegen der Hände. Deswegen ist der Abendmahlsbericht für die isolierte
Darstellung von Christus und Johannes keine ausreichende Erklärung.
Christus-Johannes-Gruppe (um 1320), Berlin, Bode-Museum |
Dass die erhaltenen plastischen Christus-Johannes-Gruppen mit
der Frömmigkeit alemannischer Frauenklöster in Verbindung stehen, hat man früh
erkannt – das Thema mystische Hochzeit und Jungfräulichkeit des Johannes machte
sie dort zu einem charakteristischen Bildtypus. Der Lieblingsjünger Christi an
der Brust des Herrn und in einer sanften, weiblichen Gestalt eignete sich in
besonderer Weise als Identifikationsobjekt für die Nonnen. Dabei dürften die
großformatigen Skulpturen als Altarausstattungen gedient haben, während für die
persönliche Andacht in den Zellen oder Kapellen weitaus kleinere Gruppen
entstanden.
Christus-Johannes-Gruppe (1280/90); Cleveland, The Cleveland Museum of Art |
Christus-Johannes-Gruppe (um 1300/1320); Antwerpen, Museum Mayer van den Bergh |
Literaturhinweise
Hausherr, Reiner: Über die Christus-Johannes-Gruppen. Zum Problem »Andachtsbilder« und deutsche Mystik. In: Rüdiger Becksmann u.a. (Hrsg.), Beiträge zur Kunst des Mittelalters. Festschrift für Hans Wentzel zum 60. Geburtstag. Gebr. Mann Verlag, Berlin 1975, S. 79-103;
Jirousek, Carolyn S.: Christ and St. John the Evangelist as a Model of Medieval Mysticism. In: Cleveland Studies in the History of Art 6 (2001), S. 6-27;
Lang, Justin: Herzensanliegen. Die Mystik mittelalterlicher Christus-Johannes-Gruppen. Schwabenverlag, Ostfildern 1994;
Westheider, Ortun/Philipp, Michael: Zwischen Himmel und Hölle Kunst des Mittealters von der Gotik bis Baldung grien. Hirmer Verlag, München 2009, S. 118-119;LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 17. Januar 2023)
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