Paris, in
der griechischen Mythologie Sohn des trojanischen Königs Priamos und der Hekabe,
wird von dem Götterboten Hermes auf den Berg Ida zu einem Schiedsspruch
zwischen den Göttinnen Aphrodite, Athena und Hera gerufen. Er soll bestimmen,
welche von ihnen die Schönste ist und als Zeichen seiner Wahl der Preisträgerin
einen Apfel überreichen. Jede der drei Göttinnen macht ihm zuvor Versprechungen.
Aphrodite verspricht ihm die schönste Frau der Welt, Helena, die Gattin des
Menelaos, woraufhin sich Paris für sie entscheidet. Die Entführung Helenas
durch Paris löste den Trojanischen Krieg aus, in dem Aphrodite die Trojaner
unterstützt, während die im Wettstreit unterlegenen Hera und Athena zugunsten
der vereinigten Griechen eingreifen.Antonio Canova: Paris (1816 vollendet); München, Neue Pinakothek
In München
ist eine klassizistische Skulptur des Paris zu bewundern, die der italienische
Bildhauer Antonio Canova (1757–1822) geschaffen hat. Das Gipsmodell der Figur
entstand 1807, eine Marmorversion wurde von 1809 bis 1812 im Auftrag von
Joséphine de Beauharnais ausgeführt, der ersten Ehefrau Napoléons. Sie befindet
sich heute in der Eremitage (St. Petersburg). Kronprinz Ludwig von Bayern
bestellte 1811 eine weitere Fassung des
Paris. Ludwig hatte Canova 1805 auf seiner Reise nach Italien
kennengelernt. Die Begegnung mit dessen Figur der Hebe (1796; Berlin, Alte Nationalgalerie) war für den jungen
Kronprinzen ein Schlüsselerlebnis, weil sie in ihm die Begeisterung für die
antike Kunst weckte. 1816 wurde der Paris
schließlich vollendet; gemeinsam mit Bertel Thorvaldsens Adonis (siehe meinen Post „Ein König bestellt sich einen schönen jungen Mann“) flankierte sie seit 1830 den Eingang im „Saal der Neueren“ in der
Münchner Glyptothek. Seit 1920 ist sie in der Neuen Pinakothek ausgestellt.
Antonio Canova: Hebe (1796); Berlin, Alte Nationalgalerie
Vor uns
steht ein nackter junger Mann im Kontrapost: Der Fuß des linken Spielbeins ist
zurückgestellt und berührt nur leicht die Plinthe. Den linken Arm hat Paris auf
einen Baumstamm links neben ihm gestützt, den Unterarm angewinkelt und dabei
die Hand an den Kopf geführt. Der ausgestreckte Zeigefinger ist mit sanftem
Druck über dem linken Ohr angelegt. Paris trägt eine phrygische Mütze und hat
seinen Kopf ganz ins Profil gedreht, wo die drei Göttinnen zu vemuten sind, die
er mit nachdenklichem Blick mustert, bevor er im nächsten Moment seine Entscheidung
treffen wird. In der rechten Hand, auf die Hüfte gestützt, hält Paris den
Apfel. Seine Chlamys hat er auf dem Baumstamm links neben ihm abgelegt. Daran
lehnt das das Pedum, ein Stab mit einer keulenartigen Verdickung, den Paris als
Hirte und Jäger mit sich führt. Canovas Paris
ist mehransichtig angelegt, denn der für das Verständnis der Figur wichtige
Apfel ist in der Vorderansicht dem Betrachter verborgen und wird erst
erkennbar, wenn man um sie herumgeht. Die Beinstellung mit dem zurückgesetzten
linken Fuß gibt eines der Vorbilder Canovas zu erkennen: den berühmten Diadumenos des antiken Bildhauers
Polyklet.Erst in der Seitenansicht erkennt man den Apfel
Canova war
in den Jahren nach 1800 der höchstgeschätzte und meistgefragte Bildhauer
Europas. Ab den 1770er Jahren bis um 1820 schuf er ein Meisterwerk nach dem
anderen und erhielt deswegen mehr Aufträge von hochgestellten Persönlichkeiten
(insbesondere von Napoléon und dessen Familie), als er ausführen und vollenden
konnte. Wie viele Zeitgenossen sah auch Ludwig I. in Canova wegen seiner
virtuosen Bearbeitung des Marmors den Erneuerer der Skulptur und den einzigen
Bildhauer, der mit den antiken Meistern auf einer Stufe stand. Sein Stil
orientiert sich einerseits stark an der Antike, tendiert dabei jedoch zu großer
Anmut und Eleganz; typisch ist auch eine sehr glatte, perfekte
Oberflächenbearbeitung des Marmors. Er gilt als Bahnbrecher des
klassizistischen Stils, seine Werke hatten einen großen Einfluss nicht nur auf
andere Bildhauer, sondern auch auf die Malerei. In einem ähnlichen Stil
arbeitete Bertel Thorvaldsen (1770–1844), ein Däne, der viele Jahre in Rom
verbrachte und der sich in der künstlerischen Qualität als einziger mit Canovas
Kunst messen konnte.
Polyklet: Diadumenos (röm. Marmorkopie); Madrid, Prado
Bertel Thorvaldsen: Adonis (1808/1831); München, Neue Pinakothek Antonio Canova: Amor und Psyche (1793); Paris, Louvre Antonio Canova: Perseus (1800/01); Rom, Vatikanische Museen
Canova schuf
u.a. zwei bedeutende Papst-Grabmäler (für Clemens XIV., 1787 vollendet, und für
Clemens XIII., 1792 vollendet); am bekanntesten ist aber sicherlich seine 1793 fertiggestellte
Marmorgruppe Amor und Psyche (Paris,
Louvre), die in der Darstellung jugendlicher nackter Körper Anmut und
Sinnlichkeit verbindet. Weitere berühmte Werke Canovas sind sein Perseus (1800/01; Rom, Vatikanische Museen)
sowie, wiederum im Auftrag von Joséphine de Beauharnais, die Drei Grazien (1816 vollendet, St. Petersburg,
Eremitage).
Antonio Canova: Drei Grazien (1813/16); St. Petersburg, Eremitage
Literaturhinweis
Bayerische Staatsgemäldesammlungen München (Hrsg.): Bayerische Staatsgemäldesammlungen. Neue Pinakothek. Katalog der Skulpturen – Band I: Die Sammlung Ludwigs I. Deutscher Kunstverlag, Berlin und München 2021, S. 58-68.
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