![]() |
Rembrandt: Das französische Bett (1646); Radierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Doch Rembrandts Interpretation eines Beischlafs ist von den raffinierten Posen und dem oft akrobatischen Körperspiel der italienischen Vorbilder weit entfernt. Der sexuelle Akt wird bei ihm nicht mythologisch verklärt, kein Gott in was auch immer für einer Verkleidung erscheint, wir haben auch keinen idealisierten weiblichen Akt und keine antikisierende Umgebung vor uns, „nein; ein Junge, ein Mädchen, im Bett, in häuslicher Umgebung“ (Hammer-Tugendhat 2009, S. 151). Klassische Nacktheit interessierte Rembrandt nicht; seine beiden Liebenden haben ihre Kleidung nicht abgelegt.
Der Sex, den Rembrandt hier wiedergibt, erscheint lustvoll und erinnert keineswegs an wenig erfreuliche „eheliche Pflichten“. Gleichberechtigt kommen Mann und Frau ins Bild, es geht nicht um Verführung und nicht um Vergewaltigung. „Die intime Szene ist durch große atmosphärische Geborgenheit gekennzeichnet, wobei der genießende Gesichtsausdruck der Frau im Fokus steht“ (Schröder/Bisanz-Prakken 2004, S. 146). Ob der Mann zum Haus gehört, oder ob es sich um einen (illegitimen?) Besucher von draußen handelt, was zumindest der Federhut und die vage Türöffnung am linken Bildrand nahelegen, muss offen bleiben.
Die Vorhänge, die das Bettgestell umgeben, sind mit tiefen Schatten versehen; einen auffälligen Akzent bildet das bereits erwähnte, auf dem vorderen Bettpfosten abgelegte Barett mit der großen, weichen Feder. Da dieses Accessoire häufig in Bordelldarstellungen mit dem Gleichnis vom Verlorenen Sohn verbunden ist (Lukas 15,1-14), geht Werner Busch davon aus, dass auch Das französische Bett auf diese Geschichte Bezug nimmt. Auch das auf das Tischchen rechts gestellte Glas sei ein Standardattribut des Verlorenes Sohnes im Freudenhaus – es verweist auf Alkoholkonsum und damit symbolisch auf die Genusssucht des jungen Mannes, die seinen sozialen Ruin bedeuten wird. Busch gesteht jedoch ein, dass durch Rembrandts Darstellung der lustvollen Zweisamkeit „die didaktische Verwertbarkeit der Szene entfällt“ (Busch 1983, S. 262). Möglicherweise ist eine doppelte Lesart des Blattes von Rembrandt durchaus beabsichtigt, weil er dem Betrachter auf diese Weise erlaubt, den erotischen Kitzel der Szene zu goutieren. Der Bettpfosten ist im Übrigen wohl auch deswegen so prominent platziert, um auf die Erektion des jungen Mannes anzuspielen ...
Wem es noch nicht aufgefallen ist, sei jetzt darauf hingewiesen: Rembrandt hat den linken Frauenarm zweifach ausgeführt. Ob es sich dabei um einen Fehler handelt oder gleichzeitig zwei Bewegungsphasen wiedergegeben sind, ist unklar. Jedenfalls hat der Künstler diesen „Fehler“ in späteren Zuständen der Druckplatte nicht korrigiert.
![]() |
Rembrandt: Der Mönch im Kornfeld (1646); Radierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Anders als im Französischen Bett sind die Gesichter des nah an den Betrachter herangerückten Paares im Kornfeld nicht zu erkennen. Das trägt dazu bei, dass der Sex wie ein spröder und emotionsloser Vorgang wirkt; dagegen entfalte, so Wolf Seiter, die im Französischen Bett „erkennbare Nähe der Nasenspitzen von Mann und Frau sinnliche Kraft und emotionale Nähe“ (Seiter 2017, S. 124). Seiter geht davon aus, dass Der Mönch im Kornfeld früher als Das französische Bett entstanden ist und dieser Radierung als Vorlage diente: So sei vielleicht doch der doppelte Arm zu erklären – Rembrandt habe den Arm zunächst aus dem Vorbild kopiert, „jedoch im Nachgang einen zweiten um die Hüfte des Mannes gelegt, um den Eindruck der Vereinigung beider Figuren zu intensivieren“ (Seiter 2017, S. 124).
Trotz des extrem kleinen Formats besticht Der Mönch im Kornfeld durch realistische Details wie die geballten Fäuste und die sich in die Erde bohrende Zehe des Mönchs, dessen Sandalen sich von den Fußsohlen abheben; neben ihm auf dem Boden liegt seine Bibel. Ganz barfüßig präsentiert sich die Frau, deren umgekehrter Schuh auffällig im Vordergrund sichtbar ist – ein traditioneller Hinweis auf ihre erotische Aktivität.
Rembrandts Radierung bietet aber über die frivole Darstellung hinaus sowohl eine humorvolle wie auch eine allegorische Facette: Denn mit jedem Sensenhieb entlang der Mähkante rückt der Schnitter im Hintergrund näher an das Liebespaar im Vordergrund heran – er wird sie unweigerlich entdecken, das ungestörte Treiben ein jähes Ende finden. Damit verbindet sich auch der Ernst dieser Szene: Seit alter Zeit gehört die Sense als allegorisches Attribut zur Bildwelt des Todes. Damit integriert Rembrandt den alten Topos des über die fleischliche Lust triumphierenden Todes in seine Grafik. Mit der Sensensymbolik und dem Liebespaar wird eine ältere Tradition der Memento mori-Darstellungen aufgegriffen: Mitten im Leben, gerade auch in seinen ekstatischen Momenten, sind wir vom Tod umgeben ... Eine unmissverständliche Darstellung dieser Mahnung findet sich zum Beispiel bei Hans Sebald Beham (1500–1550) auf seinem Kupferstich Der Tod und das unzüchtige Paar von 1529 (8,1 x 4,8 cm).
![]() |
Hans Sebald Beham: Der Tod und das unzüchtige Paar (1529); Kupferstich |
Rembrandts Kunstgriff besteht darin, den in nur wenigen Strichen angedeuteten Schnitter und seine Todessymbolik ganz in den Hintergrund treten zu lassen und den sexuellen Akt überdeutlich auszustellen. Die Verbindung der beiden Motive zu erkennen, bleibt Aufgabe des sorgfältigen Betrachters. Aber man darf davon ausgehen, dass die Radierung wegen ihrer Expliziertheit wohl öfter in die Hand genommen und mit der Lupe untersucht wurde ...
Auf dem Blatt Der Flötenspieler
von 1642 lagert ein junger Mann, dessen Hirtenstab ihn als Schäfer ausweist, am
Ufer eines Gewässers. Auf seiner Schulter hockt eine Eule, in den Händen hält er eine Flöte. Er scheint sein Flötenspiel gerade unterbrochen zu haben und lugt zwischen die Beine seiner jungen Gefährtin, die einen breiten Strohhut trägt und einen Blumenkranz flicht. Weiter hinten drängen Schaf- und Ziegenböcke zum Wasser. Auf den ersten Blick haben wir hier eine bukolische Liebesszene vor uns. Beeinflusst durch die Schäferdichtung, erfreuten sich Schäferdarstellungen oder Pastoralen, in deren Mittelpunkt das fröhliche Beisammensein von Hirten bei Liebe und Gesang steht, seit den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts in Holland großer Beliebtheit.Rembrandt: Der Flötenspieler (1642); Radierung
Rembrandts Flötenspieler durchbricht jedoch die Bildtradition von Schäferdarstellungen, da das Blatt Motive enthält, die zum friedvollen, idyllischen Charakter von bukolischen Szenen nicht passen wollen. Das Gesicht des Hirten ist entgegen der Bildkonvention hässlich, sein stoppelkurzes Haar macht es nicht besser. Zu seiner derben Erscheinung trägt auch der unverhohlen voyeuristische Blick unter den Rock des Mädchens bei. Der junge Mann richtet seine Flöte nicht zufällig auf den entblößten Schoß der Schäferin; das Musikinstrument wurde in zeitgenössischer Literatur häufig als Phallussymbol beschrieben. Auf einer Schäferszene von Abraham Bloemaert (1564–1651) im Landesmuseum Hannover schiebt ein Hirte seine Flöte in ebenso eindeutiger Weise unter die Schürze seiner Gefährtin.
Abraham Bloemaert: Schäferszene (1627); Hannover, Landesmuseum
In engem Zusammenhang mit der Flöte ist der Blumenkranz zu deuten. Seit dem Mittelalter galt das Flechten von Blumenkränzen als Metapher für das Anknüpfen einer Liebesbeziehung. Der Kranz symbolisierte aber auch die weiblichen Genitalien bzw. die Jungfräulichkeit, die ein Mädchen durch das Überreichen eines Kranzes an ihren Liebhaber zu opfern bereit war. Auch der Geldbeutel der Schäferin am linken Bildrand kann in diesem Kontext als Sinnbild für ihre Vulva verstanden werden. Die lasziven Anspielungen werden schließlich durch die Schaf- und Ziegenböcke unterstrichen, denn diesen Tieren wurde allgemein sexuelle Ausschweifung zugeschrieben. Die Eule auf der Schulter des jungen Mannes, die ein Halsband mit Narrenschellen zu tragen scheint, ist wiederum „ein altes Sinnbild von Torheit und Sündhaftigkeit“ (Bevers 1991, S. 212).
Rembrandt: Maria mit Kind in den Wolken (1641); Radierung
Mit seiner Radierung verspottet Rembrandt also die traditionelle Hirtendarstellung, indem er die erotischen Aspekte des Themas durch drastische sexuelle Symbole und Anspielungen deutlich betont. Rätselhaft bleibt der in der oberen Ecke zwischen dem Buschwerk auftauchende Kopf: Handelt es sich um einen Faun oder Waldgeist? Aber warum blickt er dann nicht zum Geschehen, sondern wendet sich von ihm ab? Oder handelt es sich um den Rest der Figur einer zuvor begonnenen und wieder verworfenen ersten Darstellung auf der Platte? Auf dem Blatt Maria mit Kind in den Wolken z. B. ließ Rembrandt den ersten Versuch eines radierten Marienkopfes – umgekehrt im Kleid der Madonna sichtbar – einfach stehen.
Literaturhinweise
Bevers, Holm u.a. (Hrsg.): Rembrandt. Der Meister und seine Werkstatt. Zeichnungen und Radierungen. Schirmer/Mosel, München 1991, S. 212-214;
Busch, Werner: Rembrandts ‘Ledikant’ – der Verlorene Sohn im Bett. In: Oud Holland 97 (1983), S. 257-265;
Hammer-Tugendhat, Daniela: Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 149-154;
Schröder, Klaus Albrecht/Bisanz-Prakken, Marian (Hrsg.): Rembrandt. Edition Minerva, Wolfratshausen 2004, S. 146;
Seiter, Wolf: Der Mönch im Kornfeld (1646)/Ledikant oder Das französische Bett (1646). In: Jürgen Müller und Jan-David Mentzel (Hrsg.), Rembrandt. Von der Macht und Ohnmacht des Leibes. 100 Radierungen. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2017, S. 122-125.
(zuletzt bearbeitet am 12. September 2025)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen