Agnolo Bronzino: Hl. Sebastian (um 1528/29); Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der römische Offizier Sebastian gehört
zu den bekanntesten christlichen Märtyrern und meistverehrten katholischen
Heiligen. Kaiser Diokletian, zu dessen Leibgarde Sebastian gehörte, ließ ihn
wegen seines christlichen Glaubens durch Bogenschützen hinrichten – was der
Soldat jedoch, so die Legende, durch ein Wunder Gottes überlebte. Irene, eine
junge Witwe, wollte den Toten bestatten, fand ihn aber lebend vor und pflegte
ihn gesund. Als Sebastian den Kaiser öffentlich der Christenverfolgung
beschuldigte, ließ dieser ihn schließlich zu Tode peitschen und in die „Cloaca
Maxima“ werfen, den größten Abwasserkanal Roms.
Makellos schön und unversehrt zeigt der
italienische Maler Agnolo Bronzino (1503–1573) Sebastian als jugendlichen Akt, nahsichtig
und ungefesselt in Halbfigur vor dunklem, nicht näher bestimmten Hintergrund. Gezeigt wird also
nicht das Pfeilmartyrium des Heiligen, sondern das Wunder seiner göttlichen
Errettung. Sein beinahe knabenhaftes Haupt mit dem braun gelockten Haar, dem
schlanken, glatten Gesicht und dem leicht geöffneten Mund hat Sebastian in
Dreiviertelansicht nach rechts gerichtet; aus großen Augen blickt er versonnen
in die Ferne. Die vom Mantel bedeckten Knie deuten an, dass der Jüngling
breitbeinig vor uns sitzt, ganz ähnlich dem antiken Torso vom Belvedere (siehe meinen Post „Ruhm und Rätsel“),
allerdings mit dem Unterschied, dass die Drehung des Oberkörpers verhaltener
ausfällt und die Schulter in die andere Richtung, von links nach rechts
abfallend, gewendet ist.
Torso vom Belvedere; Rom, Vatikanische Museen |
Der in seiner Seite steckende Pfeil
scheint Sebastian nicht im Geringsten zu schmerzen. Den angewinkelten linken
Arm stützt er auf dem Knie ab und hält dabei locker einen weiteren Pfeil in der
Hand. Dessen Spitze ist auf die andere Hand gerichtet, als wolle er ihre
sichtliche Schärfe betasten. Den einzigen, dafür aber umso schrilleren
Farbakzent des Gemäldes bildet der pinkfarbene Mantel, der über den Beinen
liegt, kunstvoll um den rechten Arm geschlungen ist und schließlich „den
gesamten Oberkörper wie eine Folie hinterfängt, dessen geschwungenen Kontur
gleichsam wiederholend und betonend“ (Eclercy 2016, S. 141).
In Florenz wurde Sebastian insbesondere
in der Kirche Santissima Annunziata verehrt, wo eine Laienbruderschaft, die „Compagnia
di San Bastiano“, seinen Kult pflegte. Bronzino war selbst dieser Bruderschaft
1541 beigetreten – ein Zusammenhang mit dem Madrider Gemälde ist deshalb
durchaus wahrscheinlich. Auf dem Gelände der Kirche wurde in den 1450er Jahren
ein Kapelle errichtet, die eine Armreliquie des Heiligen beherbergte. Bastian
Eclercy sieht darin den Schlüssel für Bronzinos Gemälde, das ja gerade „den Arm
des Sebastian mit dem Pfeil so prominent inszeniert und dem gläubigen Betrachter
am unteren Bildrand förmlich zur Verehrung darbietet“ (Eclercy 2016, S. 142).
Die überaus zahlreichen
Sebastian-Darstellungen in der abendländischen Kunst verdanken sich vor allem
der kontinuierlichen Präsenz der Pest in Europa seit der großen Epidemie von
1348. Denn Sebastian wurde wie Rochus, Cosmas und Damian als Pestheiliger
verehrt und angerufen, weil die Pfeile seines Martyriums als Symbole für diese
Seuche galten. Wie bei Bronzino wird der Heilige auf diesen Gemälden oft mit einem besonders
schönen, erotisch anziehenden Körper präsentiert. Das kann heutige Betrachter regelrecht irritieren: Sollte es sich wirklich um einen
Heiligen handeln? Doch Sebastians Sinnlichkeit beweist geradezu, dass er
wirklich lebt. Vor allem ist er durch die Makellosigkeit seines Leibes ein
Gegenbild zu dem von der Pest befallenen Körper. Sebastian, der das
Pfeilmartyrium durch ein Wunder Gottes überlebt hat, wird „zu einem
Versprechen, dass die Gläubigen, selbst wenn sie am schwarzen Tod sterben
müssen, einen zeitlosen, überirdischen, makellosen Körper bekommen“ (Bohde
2004, S. 92).
Von der traditionellen Sebastian-Ikonografie übernimmt Bronzino nur die beiden Pfeile – es fehlen Märtyrerpalme und Nimbus, vor allem aber ist der Blick des jungen Mannes nicht himmelwärts gerichtet. Manche Kunstwissenschaftler sehen in den Pfeilen deswegen auch eher die Waffen Armors, von denen der Jüngling verwundet wurde; sie betonen dabei den lasziven Touch der Darstellung, der nicht von der Hand zu weisen ist. Zeigt uns Bronzinos Figur vielleicht eher das „Martyrium der Liebe“ – die süßen Qualen, die Amor verursacht? Diese Überblendung von Pest- und Liebespfeil „dürfte eine eigenmächtige Invention der Malerei sein, welche die Sebastiansbilder von ihrer religiösen Funktion entfernt“ (Bohde 2004, S. 97).
Von der traditionellen Sebastian-Ikonografie übernimmt Bronzino nur die beiden Pfeile – es fehlen Märtyrerpalme und Nimbus, vor allem aber ist der Blick des jungen Mannes nicht himmelwärts gerichtet. Manche Kunstwissenschaftler sehen in den Pfeilen deswegen auch eher die Waffen Armors, von denen der Jüngling verwundet wurde; sie betonen dabei den lasziven Touch der Darstellung, der nicht von der Hand zu weisen ist. Zeigt uns Bronzinos Figur vielleicht eher das „Martyrium der Liebe“ – die süßen Qualen, die Amor verursacht? Diese Überblendung von Pest- und Liebespfeil „dürfte eine eigenmächtige Invention der Malerei sein, welche die Sebastiansbilder von ihrer religiösen Funktion entfernt“ (Bohde 2004, S. 97).
Agnolo Bronzino: Cosimo I. de’
Medici als Orpheus (um 1539); Philadelphia, Philadelphia Museum of Art (für die Großansicht einfach anklicken) |
Agnolo Bronzino: Jüngling in antiker Tracht (um 1545); Hannover, Landesmuseum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Agnolo Bronzino oder Jacopo Pontormo: Der Evangelist Markus (um 1525-1528); Florenz, Santa Felicita |
Für die Datierung des Hl. Sebastian ist
sicherlich auf die stilistische Verwandtschaft mit den Evangelisten-Tondi der
Cappella Capponi in Santa Felicita (Florenz) hinzuweisen, die Bronzino und
Jacopo Pontormo (1494–1557) gemeinsam von 1525 bis 1528 ausgeführt hatten. Auch
das dortige Altarbild von Pontormo, eine Grabtragung
(siehe meinen Post „Grazie im Angesicht des Todes“), wäre anzuführen: Hier
weisen vor allem Hände und Gesichter der beiden Grabträger enge Parallelen zu
Bronzinos Hl. Sebastian auf.
Literaturhinweise
Ausschnitt aus Jacopo Pontormos Grabtragung (um 1528); Florenz, Santa Felicita (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Bohde, Daniela: Ein Heiliger der Sodomiten? Das
erotische Bild des Hl. Sebastian im Cinquecento. In: Mechthild Fend/Marianne
Koos (Hrsg.), Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierungen in der Kunst seit
der Frühen Neuzeit. Böhlau Verlag, Köln 2004, S. 79-98;
Cox-Rearick, Janet: A. ‘St. Sebastian’ by Bronzino. In: The Burlington Magazine 129 (1987), S. 155-162;
Cox-Rearick, Janet: A. ‘St. Sebastian’ by Bronzino. In: The Burlington Magazine 129 (1987), S. 155-162;
Eclercy, Bastian: Agnolo Bronzino, Heiliger Sebastian,
um 1528/29. In: Bastian Eclercy (Hrsg.), Maniera. Pontormo, Bronzino und das
Florenz der Medici. Prestel Verlag, München 2016, S. 141-142;
Falciani, Carlo (Hrsg.): Bronzino. Artist and Poet at the Court of the Medici. Mandragora, Florenz 2010, S. 296;
Koos, Marianne: Das Martyrium der Liebe. Ambiguität in Dosso Dossis ,Heiligem Sebastian‘. In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 38 (2011), S. 43-73.
(zuletzt bearbeitet am 30. Januar 2023)
Falciani, Carlo (Hrsg.): Bronzino. Artist and Poet at the Court of the Medici. Mandragora, Florenz 2010, S. 296;
Koos, Marianne: Das Martyrium der Liebe. Ambiguität in Dosso Dossis ,Heiligem Sebastian‘. In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 38 (2011), S. 43-73.
(zuletzt bearbeitet am 30. Januar 2023)
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