Caspar David Friedrich: Elbschiff im Frühnebel (um 1821); Köln, Wallraf-Richartz-Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Friedrich hat die Vegetation vorne im Bild ungewöhnlich nah an uns herangerückt, als ob der Betrachter auf dem Boden läge. Die Weiden neigen sich zu den Bildrändern hin und erlauben so einen freien Ausblick auf den Lastkahn. Der Fluss, nur auf eine kurze Strecke zu überblicken, verläuft nach rechts in den Mittelgrund des Bildraums und wird vom keilförmigen Rasenstück des diesseitigen Ufers überschnitten. Das sommerliche Grün im Vordergrund und das zarte Blau des Himmels hinter den diagonal aufsteigenden Nebelschwaden lassen vermuten, dass wenig später die wärmende Sonne den Nebel auflösen wird. Wir als Betrachter sind eingeladen, sich so sehr in den dargestellten Augenblick zu versenken, dass wir geradezu das Ziehen der Nebelschwaden zu verfolgen meinen. Friedrich hat seinem Bild damit ein Moment der Zeitlichkeit eingeschrieben.
Mit der Fahrt des Schiffes wird neben diesem vergänglichen atmosphärischen Augenblick eine zweite Zeitebene erkennbar. Das Schiff legt einen Weg zurück, der wortwörtlich, aber auch im übertragenen Sinn verstanden werden kann; Erinnerungen an den Topos von der Lebensfahrt werden angeregt. Zugleich, hat Johannes Grave bemerkt, erscheint kein Motiv im Bild so statisch wie das Boot. Während die Büsche und der Nebel einen leichten Windhauch erahnen lassen, sind auf dem Lastkahn alle Segel eingeholt. „Und anders als der Rest des Bildes, der überwiegend durch dynamische Diagonalen strukturiert ist, wird der Kahn durch die Horizontale des Schiffsrumpfes und die Vertikale des Mastes fest auf der Bildfläche verankert“ (Grave 2022, S. 51).
Helmut Börsch-Supan betont, Friedrichs Bild sei, bei aller morgendlichen Frische und seinen hellen, heiteren Farben, dennoch mit dem Gedanken an den Tod verwoben: Blumen und Gras bezeichneten die rasche Vergänglichkeit des Lebens; der durch den Bebel geheimnisvoll verschleierte Bergzug in der Ferne wirke „als jenseitiges Ufer im metaphysischen Sinn“ (Börsch-Supan 1987, S. 128). Das Schiff mit seinem eingeholten Segel versteht er als Lebensschiff, das stromab der Mündung des Flusses und damit dem Ende des Lebens zutreibe. Anders als Grave sieht Börsch-Supan das Schiff durchaus in Bewegung: „Der Mast steht noch links von der Mitte, so daß der Eindruck einer Bewegung und einer Fortsetzung dieser Bewegung noch für ein geraume Zeit entsteht“ (Börsch-Supan 1987, S. 128). Die Fahrt des Kahns nach rechts werde außerdem durch die steigende Linie des diesseitigen Uferhangs und die fallende Linie der Baumreihen am jenseitigen Ufer verdeutlicht.
Caspar David Friedrich: Ziehende Wolken (um 1820); Hamburg, Kunsthalle |
Caspar David Friedrich: Der Morgen (um 1821/22); Hannover, Landesmuseum |
Literaturhinweise
Börsch-Supan, Helmut: Caspar David Friedrich. Prestel-Verlag, München 41987, S. 128;
Grave, Johannes: Bild und Zeit. Eine Theorie des Bildbetrachtens. C.H. Beck, München 2022, S. 49-54.
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