Albrecht Altdorfer: Geburt Christi (um 1511); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Geburt Christi (um 1511 entstanden) ist das früheste bekannte reine Nachtstück von Albrecht Altdorfer (1480–1538) und zählt überhaupt zu den frühesten der europäischen Malerei. Mit nächtlichen Szenen hatte der Künstler bereits in seinem Sebastiansaltar (1509–1516) experimentiert, und zwar in den beiden Tafeln Christus am Ölberg und Gefangennahme Christi, wo allerdings der untere Teil des Himmels noch von einer untergehenden Sonne hell erleuchtet wird.
Das Thema der kleinen Berliner Tafel (36,2 x 26 cm) erkennt man erst auf den zweiten Blick, denn der Stall in Bethlehem ist als labyrinthisches Ruinengebilde dargestellt, das zwei Drittel des Bildraums einnimmt. Das zweigeschossige Gebäude aus roten Ziegelsteinen und braunen Balkenkonstruktionen ist diagonal von hinten nach vorne angelegt, das Mauerwerk läuft in der Verlängerung auf den rechten unteren Bildrand zu. Durch Fensteröffnungen blickt man auf einen verschwimmenden Horizont, und in der rechten vorderen Bildhälfte entdecken wir hinter einem bröckelnden Wandvorsprung unter offenem Himmel, abgeschirmt nur von einem Balken und einer hölzernen Treppe, die eng zusammengerückte Heilige Familie.Ganz in Blau gekleidet, kniet Maria mit vor der Brust gekreuzten Armen vor ihrem nackten Kind, das ihr von drei geflügelten Putti in einem Tuch gereicht wird. Dabei streckt es seiner Mutter beide Ärmchen entgegen, was in dem hellen Licht kaum zu sehen ist. Hinterfangen ist Maria von dem in Rot gewandeten Joseph, der seine rechte Hand schützend über die Kerzenflamme in seiner Linken hält. Von dieser geht allerdings nur wenig Licht aus, Hauptquelle des Lichts ist das Christuskind, dessen goldenes Strahlen von Marias Antlitz und Haar widerscheint.
Albrecht Altdorfer: Christus am Ölberg (eine der 16 Tafeln des Sebastiansaltars); Stift St. Florian bei Linz |
Hinter Joseph blickt der Esel neugierig auf das Kind; der unbedingt ebenfalls zur Geburt-Jesu-Szenerie gehörige Ochse ist links von dem ruinösen Mauerteil im Vordergrund zu sehen. Die Architekturkulisse insgesamt ist nicht einfach ein pittoreskes Element des Bildes, sondern hat theologische Bedeutung: Der verfallene Stall ist Sinnbild für eine vergangene Epoche, die mit der Geburt des Erlösers ihr Ende gefunden hat. Un dem damaligen betrachter bekannt war ohne Frage die Vision der hl. Birgitta von Schweden (1303–1373), der zufolge von dem Jesuskind ein göttlicher Glanz ausging, der alles irdische Licht überstrahlte.
Über der Heiligen Familie schwebt im schwarzen Nachthimmel ein Reigen geflügelter Putten, die mit ihren Fingern die Buchstaben eines Spruchbandes nachzeichnet. Ganz hinten im Bild sind zwei weitere Lichtquellen eingefügt: oben links, im Osten also, ein großes, sonnenartiges Gebilde, unter dem der Himmel aufzureißen scheint. Es dürfte sich um Gottvater selbst handeln, der in einer strahlenden Gloriole gegenwärtig ist. Ihr gleißendes Licht spiegelt sich auf den Balken der Ruine „und liegt in feinen Reflexbändchen in den Fugen des Mauerwerke“ (Krichbaum 1978, S. 124/125). In dem offenen Himmel erscheint ein winziger rötlicher Putto, der wohl den Hirten, die schemenhaft im Schatten des mittleren Durchblicks sichtbar werden, den Weg weist.Altdorfer hat sein Weihnachtsbild in einem phantastisch anmutenden Setting aus Architektur und dramatischen Beleuchtungseffekten inszeniert. Gerade das kleine Format der Tafel verlangt, sie sehr genau in den Blick zu nehmen, um die erzählerischen Elemente zu erkennen und alle Feinheiten wahrzunehmen.
Literaturhinweise
Bonnet, Anne-Marie/Kopp-Schmidt, Gabriele: Die Malerei der deutschen Renaissance. Schirmer/Mosel, München 2010, S. 254;
Krichbaum, Jörg: Albrecht Altdorfer. Meister der Alexanderschlacht. DuMont Buchverlag, Köln 1978, S. 124-125;
Roller, Stefan/Sander, Jochen (Hrsg.): Fantastische Welten. Albrecht Altdorfer und das Expressive in der Kunst um 1500. Hirmer Verlag, München 2014, S. 154.
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