Freitag, 2. Juni 2023

Ein Wuschelkopf experimentiert – Rembrandts frühe Selbstbildnisse in Amsterdam und München

Rembrandt: Selbstbildnis als junger Mann (um 1628); Amsterdam, Rijksmuseum
Nachdem Rembrandt (1606–1669) sich einige Male auf seinen frühen Historienbildern mit dargestellt hatte (so etwa auf der Steinigung des Stephanus), malte er um 1628/29 seine ersten autonomen Selbstbildnisse. Zu dieser Zeit lebte Rembrandt in seiner Heimatstadt Leiden, wo der junge aufstrebende Künstler eine eigene Werkstatt führte. Im Amsterdamer Rijksmuseum und in der Münchner Alten Pinakothek werden zwei dieser frühen, sehr kleinformatigen Selbstporträts aufbewahrt, die sich dadurch auszeichnen, dass das Gesicht größtenteils verschattet ist. Sie schließen beide an Rembrandts früheste radierte Selbstbildnisse an, die etwa ab 1626 nachweisbar sind. Auch diese – sehr kleinen – Darstellungen zeigen den bartlosen jungen Künstler mit krausem Haar ab Schulterhöhe. In der Radierung Selbstbildnis mit lockigem Haar (1628/29) wird die Augenpartie in einer den beiden gemalten Bildern ähnlichen Weise überschattet.

Rembrandt: Selbstbildnis mit lockigem Haar (1628/29); Radierung

Auf dem Amsterdamer Selbstporträt (22,6 x 18,7 cm) trägt Rembrandt ein einfaches Hemd mit einem dunklen, kaum näher definierten Kleidungsstück darüber. Der locker gemalte Hintergrund ruft den Eindruck einer verputzten Wand hervor. Wie auf vielen der frühen radierten Selbstbildnisse hat Rembrandts sich mit einem wirren Haarschopf wiedergegeben, dessen Locken in die nasse Farbe gekratzt sind. Durch diese Technik ist an ausgewählten Stellen der Malgrund zum Vorschein gekommen. In der Stirnpartie hat diese tiefere Schicht eine gelbbraune Farbe, was überzeugend den Eindruck von Lichtreflexen auf den Haaren vermittelt. Bei den Haaren im Nacken ist durch die Einkratzungen eine dunklere Farbe zum Vorschein gekommen, die sich scharf vom hellen Hintergrund abhebt. An bestimmten Stellen hat Rembrandt die Farbe dick aufgetragen, etwa beim weißen Kragen, wie man es sonst nur von seinem sehr viel späteren Stil kennt.

Dass auf den beiden Selbstporträts in Amsterdam und München ein entscheidender Teil des Gesichts verschattet ist, ganz besonders die Augen, wurde oft als Ausdruck eines melancholischen Temperaments gedeutet – da die Augen in der Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts als Spiegel der Seele galten. Es ist jedoch sehr viel wahrscheinlicher, dass Rembrandt sein eigenes Gesicht dazu genutzt hat, um mit dem effektvollen Einsatz von Licht und Schatten zu experimentieren. Rembrandts frühe Selbstbildnisse sind daher eher als Studienköpfe zu verstehen.

Rembrandt: Selbstbildnis als junger Mann (1629); München, Alte Pinakothek

Das 1629 datierte und mit dem Monogramm »RHL« (Rembrandt Harmenszoon Leiden; 15,5 x 12,7 cm) signierte Selbstporträt in der Alten Pinakothek zeigt den jungen Künstler im Alter von 23 Jahren. Rembrandt wählt einen nahen Betrachterstandpunkt und einen engen Bildausschnitt, der lediglich seinen Kopf und seine rechte Schulter bis hin zur Brust zeigt. Das stark gebündelte Licht fällt diagonal von links auf Hemdkragen, Wange und Ohrläppchen und streift noch Nase, Mund und Kinn. 

Im Vergleich zum Amsterdamer Selbstbildnis lehnt sich der Künstler im Münchner Gemälde mehr nach vorne; auf diese Weise scheint sich der Kopf dem Betrachter abrupter zuzuwenden. Verstärkt wird diese Bewegung durch die wirre Haarlocke, die lässig in die Stirn fällt. Insgesamt wirkt das Bild sowohl im Gesichtsausdruck als auch in der Malweise spontaner. Körperhaltung und Mimik erwecken den Eindruck einer Momentaufnahme – ein kurzer Augenblick, in dem die Figur im Bild erfasst wurde.

Der Eindruck, dass Rembrandts Gesicht sich abrupt dem Betrachter zuwendet, wird im Münchner Selbstporträt vor allem durch den leicht geöffneten Mund und die erstaunt aufgerissenen Augen vermittelt. Sie sind trotz des Halbdunkels gut erkennbar, ebenso wie die hochgezogenen Brauen; die gerunzelte Stirnpartie ist stellenweise hell akzentuiert. In diesem Ausdruck des Erstaunens weist das Münchner Selbstbildnis auch auf die 1630 entstandenen Radierungen voraus, in denen Rembrandt seine eigene Physiognomie dazu verwendete, um verschiedenartige Emotionen wiederzugeben.

Rembrandt: Selbstbildnis mit aufgerissenen Augen (1630); Radierung
Rembrandt: Selbstbildnis mit verärgertem Blick (1630); Radierung

Der Pinselstrich ist auch hier durchgehend locker und energisch, von den kurzen, kräftigen Strichen des herabhängenden weichen Kragens, den Wuschellocken bis zum Hintergrund, der ebenfalls den Eindruck einer verputzten Wand vermittelt und die teilweise heftigen Pinselzüge erkennen lässt. Erneut ritzt Rembrandt einzelne Haare in die noch nasse Farbe. „Dabei entstand ein doppelter Positiv-Negativ-Effekt: Die im Schatten liegenden Linien legen die hellrote Basisfarbe frei, während die in den hellen Grund eingekratzten Haare dunkel herauskommen“ (Bisanz-Prakken 2004, S. 60). Die Kratzer, aus denen seine Locken bestehen, „wirken noch wilder durch den zerkratzten, schraffierten, mit Farbspritzer übersäten Hintergrund, der an sich schon ein malerischer Gewittersturm ist, wie er sich in diesem aggressiven Ausmaß bis zu van Gogh nicht wieder finden sollte“ (Schama 2000, S. 300).

Vorsicht ist bei der Vorstellung geboten, es handle sich bei diesen frühen Selbstporträts, seien sie nun gemalt oder radiert, um eine realistische Wiedergabe des eigenen Spiegelbilds. Das Alter des Dargestellten scheint bei zeitlich nah beieinander liegenden Selbstbildnissen stark zu variieren, und auch die physiognomischen Merkmale des Porträtierten unterscheiden sich im Detail so wesentlich, dass bei einigen dieser Bilder nach wie vor diskutiert wird, ob es sich bei dem Dargestellten tatsächlich um Rembrandt selbst handelt. Wiedererkennbarkeit des Modells war offensichtlich nicht das Hauptanliegen des Malers.

In der Museumslandschaft Kassel befindet sich eine Tafel, die mit dem Amsterdamer Selbstporträt Rembrandts nahezu identisch ist. Bis zur Entdeckung des Amsterdamer Gemäldes im Jahr 1959 wurde es als ein Original Rembrandts angesehen und genoss große Bekanntheit. Der Vergleich beider Versionen hat jedoch ergeben, dass es sich bei dem Kasseler Bild um eine Kopie handelt. Der Kopist versuchte, Rembrandts Malstil nachzuahmen, hatte damit aber deutlich weniger Erfahrung. Die Kopie ist wahrscheinlich nicht lange nach dem Original entstanden.

 

Literaturhinweise

Gemäldegalerie Staatliche Museen zu Berlin (Hrsg.): Rembrandt – Genie auf der Suche. DuMont Verlag, Köln 2006, S. 238

Bisanz-Prakken, Marian: Selbstbildnis als junger Mann, 1629. In: Klaus Schröder/Marian Bisanz-Prakken (Hrsg.), Rembrandt. Edition Minerva, Wolfratshausen 2004, S. 60;

Schama, Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag, Berlin 2000, S. 294-301;

White, Christopher/Buvelot, Quentin (Hrsg.): Rembrandts Selbstbildnisse. Belser Verlag, Stuttgart 1999, S. S. 94-99.


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