Claude Lorrain: Die Einschiffung der Königin von Saba (1648); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der nach seiner lothringischen Heimat Claude Lorrain genannte Maler Claude Gellée (1600–1682) kam in jungen Jahren nach Rom, wo er dann die meiste Zeit seines Lebens arbeitete und auch starb. Unter dem Einfluss von Paul Bril (1554–1626) und Adam Elsheimer (1578–1610) entwickelte er einen neuen Typus der Landschaftsmalerei: Die dunstige Weite des Horizonts und die differenzierte Wiedergabe des nach Jahres- und Tageszeiten unterschiedlichen Lichtes verleihen seinen Kompositionen eine entrückte, äußerst poetische Stimmung.
Ab 1636 malte Lorrain eine Reihe von Hafenbildern mit Architekturmotiven im Licht dramatischer oder sanfter Sonnenauf- und untergänge. Es sind merkwürdige Häfen, die hier zu sehen sind, komponiert aus realen und imaginierten Renaissance-Bauten, deren schöne Treppen bis ans Wasser reichen. Aber diesen Anlagen fehlt beinahe alles, was in den wirklichen Häfen des 17. Jahrhunderts zu finden war: solide Kais, an denen die Schiffe festmachen konnten, Speicher, Kräne, das Durcheinander der aufgestapelten Waren. „Anders als bei der holländischen Malerei stellen sich bei Claude kaum Assoziationen an weite Entdeckungsreisen, einträglichen Überseehandel oder große Seeschlachten ein“ (Bergmann 1999, S. 88). In seinen Häfen liegen die mächtigen Segler oft ein Stück vom Ufer entfernt und müssen von kleineren Booten angesteuert, be- und entladen werden. Das Meer wiederum wird ganz nah an den Vordergrund des Bildes herangeführt und läuft sanft in einen flachen Sandstrand aus.
Claude Lorrain: Seehafen bei Sonnenuntergang (1644); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Lorrains Hafenbilder gleichen barocken Bühnen-Inszenierungen, auf die man von einem leicht erhöhten Sitzplatz herabschaut: Die Fassaden und Schiffsmasten treten wie Kulissen zur Seite, um den Blick zum Horizont zu rahmen und zu lenken. Die perspektivischen Fluchtlinien lässt Lorrain im Zentrum des Bildes nahe der Sonne zusammenlaufen. „Wie auf Lichtbahnen strömt der Glanz des südlichen Meeres durch die engen Einfahrten“ (Bergmann 1999, S. 89). Jedes seiner Gemälde vermittelt eine andere Stimmung: Für den Aufbruch wählt Lorrain das silbrige oder rötliche dunstige Morgenlicht, für das Ende einer Reise den warmen orangefarbenen Sonnenuntergang. Wenn die Sonne tief steht, wird ihr Licht durch den Dunst gefiltert. Lorrain malt den Hof der Sonne in genau beobachteten Farbabstufungen, für den Sonnenball selbst nimmt er Gelb, den hellsten Ton der Palette. Die kleinfigurig abgebildeten Menschen verweisen oft selbst auf die zentrale Rolle des Lichts in Lorrains Gemälden, indem sie den Blick des Betrachters mit einem Zeigegestus in die Ferne oder sogar auf die Sonne zu lenken scheinen; manchmal auch, indem sie ihre Augen mit einem Hut oder ihrer Hand vor dem Glanz der tiefstehenden Sonne schützen.
Die Bauten am Ufer sind keine Hafenarchitektur, es sind glanzvolle römische Renaissance-Paläste, deren Fassaden vor allem dazu dienen, das Licht aufzufangen und zu reflektieren. Deshalb nehmen diese Gebäude verhältnismäßig wenig Raum ein und zeigen nur ihre lichtschimmernden, reich gegliederten Flächen. Lorrain nimmt Bauten in seine Bilder auf, die er in Rom und an den Küsten gesehen hat: Man erkennt den schlanken Leuchtturm von Civitavecchia, die Sarazenen-Türme am Golf von Neapel, die Rundbauten der antiken Grabmäler oder das Castello di Santa Severa nördlich von Rom. Aber die meisten Architektur-Motive entstammen Rom selbst, für Lorrain eine Schatzkammer antiker Ruinen und prächtiger Paläste. Bauwerke des römischen Barock kommen in seinen Gemälden nicht vor – die Renaissance war bis in die dreißiger Jahre des 17. Jahrhunderts der beherrschende Stil, und Lorrain ist ihm in seinen Architektur-Zitaten zeitlebens treu geblieben.
Claude Lorrain: Meereshafen bei Sonnenuntergang (139); Paris, Louvre (für die Großansicht einfach anklicken) |
Hauptmotiv seiner Hafen-Architektur ist ein Vierflügel-Palast mit vier Ecktürmen. Vorbild ist unverkennbar die römische Villa Medici auf dem Pincio, die in immer neuen Variationen auf sechs seiner Gemälde erscheint – bis der Palast schließlich zu einem Phantasiegebilde wird, das trotzdem den Bezug zur Wirklichkeit nie verliert. Zum ersten Mal erscheint der viertürmige Palast in einem Hafenbild aus dem Louvre (1639): „Magisch wird der Blick von der tiefstehenden Sonne über dem Horizont angezogen“ (Bergmann 1999, S. 90). Personengruppen beleben den Vordergrund: Ein Zeichner mit Zuschauer sitzt auf einem ans Ufer gezogenen Boot, zwei Männer schirmen ihre Gesichter gegen die Sonne ab, zwei andere prügeln sich. Einen bewussten Kontrast zu der Rauferei bildet die friedlich wartende Reisegesellschaft. Der Mann vertreibt sich die Zeit mit Lautenspiel, ein häufiges Motiv in der Barockmalerei.
Claude Lorrain: Hafen mit dem Capitol (1636); Paris, Louvre (für die Großansicht einfach anklicken) |
Im Hafen mit dem Capitol von 1636 versetzt Lorrain das Bau-Ensemble aus Palazzo Senatorio (mit dem Campanile) und dem Palazzo dei Conservatori – beide hatte Michelangelo entworfen – ans flache Meeresufer. Er fügt außerdem einen erfundenen Triumphbogen hinzu und macht so aus der realen und imaginären Architektur einen festlichen Empfangsplatz für die Kaufleute aus fernen Ländern. Das Morgenlicht glitzert auf dem Wasser, erhellt die Fassaden und breitet sich bis zu den Porzellan-Händlern am Ufer aus.
Claude Lorrain: Hafen mit der Einschiffung der hl. Ursula (1641), London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
In den Hafenbildern der vierziger Jahre erzählt Lorrain dann häufig mythologische oder biblische Geschichten, deren feierliche Ankunfts- oder Abfahrtsszenarien sich meist betont unauffällig und kleinformatig am Rand abspielen. Der Hafen mit der Einschiffung der hl. Ursula von 1641 markiert den Übergang von Lorrains allgemein gehaltenen zu thematisch bestimmten Hafen-Darstellungen. Das Gemälde zeigt neue und detailreiche Architekturelemente, wie zum Beispiel einen Rundbau nach dem Vorbild von Bramantes Tempietto in Rom oder – hinter den Schiffen – das Castello von Santa Severa. Lorrain hat den morgendlichen Aufbruch der hl. Ursula mit der Siegesfahne der Märtyrerin an den linken Bildrand verlegt. Nach einer mittelalterlichen Legende reiste die Heilige zusammen mit elftausend Jungfrauen zu Schiff von Köln nach Rom, wo alle den Märtyrertod fanden. Aber das eigentliche Thema ist auf diesen Bildern nicht die gemalte Historie, sondern das einströmende Licht, das vom Wasser und den flankierenden Fassaden zurückgeworfen wird, die friedliche, kontemplative Stimmung des Sonnenaufgangs.
Lorrains Schiffe rahmen und gliedern – wie seine Architektur – den Blick in die Tiefe. Es sind durchweg Schiffstypen aus den ersten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts – das zeigen vor allem die Dekorationen der Schiffsrümpfe mit ihren geschnitzten, bemalten und vergoldeten Galionsfiguren und Wappen. Allerdings hätte sich wohl kaum ein damaliger Seemann mit diesen Dreimastern aufs offene Meer hinausgewagt, denn sie sind – wie die Hafen-Architektur selbst – aus Realität und Phantasie zusammengesetzt.
Wie haben gebildete Zeitgenossen und Käufer diese Hafenbilder „gelesen“ und verstanden? Sicher nicht nur als stimmungsvolle Phantasie-Landschaften aus Stadt und Meer, sondern auch als Schauplätze religiöser Symbolik. „Das Meer galt als Sinnbild der Unendlichkeit, die Sonne als das Strahlen des göttlichen Lichts, Schiffe waren seit dem frühen Christentum Symbole der Kirche: der Mast repräsentiert das Kreuz, Christus und die Evangelisten verkörpern die Besatzung, die das Schiff sicher auf das Leuchtfeuer des Hafens zusteuert“ (Bergmann 1999, S. 94/95). Vor allem aber steht das Schiff für die Lebensreise des Menschen – das gilt bis hin zu den Seestücken von Caspar David Friedrich.
Claude Lorrain: Seehafen bei aufgehender Sonne (1674); München, Alte Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken) |
Im Seehafen bei aufgehender Sonne, einem seiner letzten Hafenbilder, wiederholt und variiert Lorrain 1674 eine Küstenlandschaft, die er vierzig Jahre zuvor gemalt hatte. Wie in seinen früheren Capriccios hat er den Titus-Bogen vom römischen Forum an die Küste versetzt, als Tor zu einer offenbar dahinter liegenden Stadt. Lorrains Hafen ist dennoch keine getreue Rekonstruktion der Antike: Auf dem Triumphbogen wachsen Gras und Sträucher, die Türme an der Hafeneinfahrt bröckeln. Nur wenige Warenballen werden ein- oder ausgeladen, ein paar Bohlen am Ufer angehoben. Drei Reisende unterhalten sich, ihr Gepäck steht am flachen Strand. Man weiß nicht, ob sie gerade angekommen sind oder ob sie an diesem stillen, lichterfüllten Morgen abreisen wollen. Aber darauf kommt es offensichtlich nicht an – sondern auf den von zartem Morgendunst gemilderten Sonnenaufgang, der den gesamten Bildraum erfüllt.
Literaturhinweis
Bergmann, Günther: Claude Lorrain. Das Leuchten der Landschaft. Prestel Verlag, München 1999
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