Caravaggio: Madonna dei Palafrenieri (1605/06); Rom, Galleria Borghese (für die Großansicht einfach anklicken) |
Am 1. Dezember 1605 erhielt der italienische Barockmaler Caravaggio (1571–1610) den prestigeträchtigen Auftrag, das Altarbild für die Bruderschaft Palafrenieri in St. Peter anzufertigen. Der Bedeutung des Auftrags entsprechend, führte Caravaggio das großformatige Gemälde (292 x 211 cm) ungewöhnlich zügig aus, sodass es spätestens im April 1606 aufgestellt werden konnte. Am 16. April allerdings ließen die Auftraggeber das Altarbild plötzlich in die nahe gelegene Bruderschaftskirche Sant’Anna dei Palafrenieri bringen, und nur zwei Monate später beschlossen sie, es dem Kardinal Scipione Borghese zu verkaufen. In der Galleria Borghese ist das Bild noch heute ausgestellt.
Was waren die Gründe für die vermeintliche Ablehnung des Bildes? Zu sehen ist eine Anna selbdritt, also eine Darstellung der hl. Anna mit ihrer Tochter, der Jungfrau Maria, und dem Jesuskind. Die in ein leuchtend rotes Gewand gekleidete, in leichter Schrägansicht gezeigte Madonna ist nach vorne gebeugt und hält ihren vollständig nackten Sohn mit beiden Händen unter den Achseln. Mit ihrem linken Fuß ist sie auf den Kopf einer sich im Vordergrund windenden Schlange getreten. Der Knabe hat seinerseits den linken Fuß auf jenen der Mutter gesetzt, sein Gewicht nach vorn verlagernd, um den Kopf des Reptils zu zerdrücken. Rechts von der Mutter-Kind-Gruppe steht etwas tiefer im Bild die in einen grau-blau schimmernden Mantel gehüllte hl. Anna, eine Greisin mit zerfurchtem Gesicht. Sie hat die Hände gefaltet und verfolgt ergeben das Geschehen. Die monumentalen Figuren sind in einem nur angedeuteten Innenraum in kraftvollem Helldunkel modelliert. Die heute vielleicht irritierende Nacktheit des schon etwas älteren Knaben verstieß keineswegs gegen das damalige Decorum, galt doch die „ostentatio genitalium“ als Beweis der Fleischwerdung Christi und seiner wahren Menschennatur.
Mutter und Sohn machens gemeinsam |
Die Schlange aus 1. Mose 3,15, die Eva zur Ursünde verführt und die Theologen später mit dem Teufel identifizieren, wird bei Caravaggio von Mutter und Sohn gemeinsam zertreten und besiegt. Textüberlieferung und Interpretation dieser Bibelstelle hatten Katholiken und Protestanten entzweit und zahllose Exegeten beschäftigt. Die Antwort auf die folgenreiche Frage, ob nach dem Sündenfall die Gottesmutter oder der Sohn den Kopf der Schlange zertritt und damit die Welt von der Sünde befreit, hing an einem einzigen Wort – ipsa bzw. ipso conteret caput tuum (Vulgata 3,15; dt. „er/sie trifft dich am Kopf“). Denn mit diesem Wort begründete die katholische Kirche ihre Sicht von Maria als Miterlöserin der Menschheit. Die Protestanten wiederum bezogen den entsprechenden Passus allein auf Christus.
Papst Pius V. hatte 1569 mit einer Bulle verfügt, dass die Madonna mit Hilfe des Sohnes den Kopf der Schlange zertritt und damit die Welt von der Erbsünde befreit. Ausdrücklich wird die Schlange in dieser Bulle auch mit der „lutherischen Häresie“ gleichgesetzt. Caravaggios Altargemälde setzt die von Pius V. formulierten Vorgaben also wörtlich um, was sicherlich auch den Vorgaben der Palafrenieri-Bruderschaft entspricht. Die hl. Anna verkörpert zugleich durch ihren Namen („Gnade“) das Heil, das der Menschheit durch die Erlösungstat von Mutter und Sohn zuteil wird. Ihrer geringeren Rolle im göttlichen Heilsplan gemäß, steht sie abgerückt von Mutter und Kind, „in der Pose eines antiken Philosophen als Zeichen der Nicht-Aktivität, der Meditation“ (Ebert-Schifferer 2009, S. 189).
Die Ikonografie des Bildes ist also schwerlich als Grund für seine Zurückweisung zu betrachten. Sebastian Schütze vermutet viel eher die gierige Sammelleidenschaft des Kardinals Scipione Borghese: Caravaggios letztes römisches Altarbild könnte „seinen Weg aus Sankt Peter in die Villa Borghese gefunden haben, nicht weil es mit der kirchlichen Doktrin in Konflikt geriet, sondern weil der Kardinalnepot das prestigeträchtige Kunstwerk für seine Sammlung begehrte“ (Schütze 2009, S. 141). Allerdings ist die hl. Anna eindeutig nicht Hauptfigur des Bildes, woran der Bruderschaft als Auftraggeber ja sehr gelegen haben muss, da sie deren Schutzheilige war.Masaccio/Masolino: Anna selbdritt (1424); Florenz Uffizien (für die Großansicht einfach anklicken) |
Leonardo da Vinci: Anna selbdritt (um 1503/1519); Paris, Louvre (für die Großansicht einfach anklicken) |
In der Renaissance war die hl. Anna noch wesentlich eindeutiger als mächtige „Urmutter“ präsentiert worden, etwa bei der von Masaccio (1401–1428) und Masolino (1383–1447) gemeinsam geschaffenen Anna selbdritt von 1424, ebenso bei Leonardo da Vincis (1452–1519) berühmter Fassung des Themas im Louvre. Dem gegenüber ist sie bei Caravaggio theologisch erkennbar funktionslos – deswegen erschien den Auftraggebern Caravaggios Bildlösung möglicherweise ästhetisch unbefriedigend, was es erleichtert haben könnte, das Werk zu einem weit höheren Preis an den Kardinal zu verkaufen, als man selbst bezahlt hatte.
Literaturhinweise
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009, S. 187-191;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage), S. 118-121;
Hibbard, Howard: Caravaggio. Thames and Hudson, London 1983, S. 197-198;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2011, S. 41-142.
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