|
Caravaggio: Hl. Hieronymus (1605/06); Rom, Galleria Borghese |
Der Hl. Hieronymus aus der Galleria Borghese
ist wahrscheinlich das letzte Werk, das Caravaggio in Rom geschaffen hat – vor
seiner Flucht nach einer bewaffneten Auseinandersetzung, bei der ein Gegner des
streitlustigen Künstlers tödlich verwundet wurde. Gemalt hat er das Bild für
Scipione Borghese, den Neffen des 1605 neu gewählten Papstes Paul V., der im
Juli des gleichen Jahres zum Kardinal ernannt wurde.
Dargestellt ist der
völlig in seine Arbeit vertiefte Kirchenvater Hieronymus, der die Bibel aus dem
Hebräischen und dem Griechischen ins Lateinische übersetzt. Die daraus hervorgegangene Vulgata wurde zur wichtigsten
Bibelübersetzung des Mittelalters. Die protestantische Bewegung lehnte die Vulgata jedoch wegen zahlreicher Mängel
ab; das Konzil von Trient wiederum erklärte sie 1546 zum einzig gültigen
Bibeltext. Deswegen gehörte Hieronymus seit der Gegenreformation zu dem am häufigsten
dargestellten Heiligen – galt es doch, die Vulgata,
aber auch Hieronymus als Autor gegen die Kritik der Protestanten zu verteidigen.
„Gleichzeitig grenzte die gegenreformatorische Kirche ihr Bild des Hieronymus
von dem der Humanisten ab, die in dem gelehrten Heiligen ihr Vorbild sahen,
hatte er es doch verstanden, die bonae
litterae und die sacrae litterae
zu vereinigen“ (Held 2007, S. 132).
|
Albrecht Dürer: Hieronymus im Gehäus (1514); Kupferstich
(für die Großansicht einfach anklicken) |
In der bildenden
Kunst hatten sich zwei Bildtraditionen bei der Darstellung des Hieronymus
entwickelt: Die eine Linie, vertreten z. B. von Albrecht Dürer und Antonello
da Messina, zeigt den Kirchenvater als Gelehrten in einem Studierzimmer mit
vielen Büchern. In Dürers Hieronymus-Kupferstich von 1514 sitzt der Heilige in
einer profanen Wohnstube, die geradezu bürgerliche Behaglichkeit ausstrahlt.
Zwar hat Hieronymus ein Kruzifix auf seinem Schreibtisch und einen Totenkopf
auf der Fensterbank, doch ist der Gelehrte gedanklich nicht mit diesen
Jenseitsverweisen beschäftigt. Auch sonst fehlt eine Verbindung zur Kirche.
Dürer bietet uns ein Bild frommer, aber selbstständiger humanistischer Gelehrsamkeit.
|
Antonello da Messina: Hieronymus im Gehäus (um 1474); London, National Gallery
(für die Großansicht einfach anklicken) |
Der zweite Hieronymus-Typus,
der büßende Heilige in der Wildnis, entstand in der venezianischen Malerei, vor
allem durch Tizian, und fand seit dem späten 16. Jahrhundert weite Verbreitung.
Verständlich, dass die katholische Kirche nicht den Bildtyp des gelehrten
Humanisten, sondern den büßenden Heiligen favorisierte. Während der Dürersche
Hieronymus vollkommen seinen Forschungen hingegeben ist, hat sich der Heilige
hier in eine andere Einsamkeit zurückgezogen, die des stadtfernen Waldes, in dem
er als büßender Eremit lebt. „Nicht nur der kirchlichen Ehren, auch der Gelehrsamkeit
hat er entsagt, um sich ausschließlich auf das Jenseits vorzubereiten“ (Held
2007, S. 136).
|
Tizian: Der hl. Hieronymus in der Wildnis (um 1575); Madrid, Escorial
(für die Großansicht einfach anklicken) |
Caravaggio schloss
sich keiner dieser Bildtraditionen an, sondern entwickelte eine neue Darstellungsform,
indem er den oftmals kleinfigurigen Halbakt aus der Landschaft herauslöst und Hieronymus
als lebensgroße Halbfigur in das Scheinwerferlicht stellt, für das er bekannt
ist. Er entwirft dabei das Bild eines asketisch lebenden Gelehrten, dessen
geistige Kräfte ungebrochen sind.
Sein Hieronymus aus
der Galleria Borghese sitzt an einem einfachen Holztisch, der von drei großen
Folianten bedeckt ist. In dem dunklen Raum ist kein weiterer Gegenstand zu
erkennen – Caravaggio verzichtet gänzlich auf die Wohnlichkeit des Dürerschen
Kupferstichs. Hieronymus hat sich in einen einfachen Umhang gehüllt, der ikonographisch
den antiken Gelehrten wie den Aposteln zukommt. Sein Rang innerhalb der Kirche
ist nicht erkennbar, wird höchstens durch das Kardinalrot des Mantels
angedeutet. Der Greisenbart und das spärliche
Haupthaar sind zerzaust, der Oberkörper ist entblößt. Bei der symmetrischen Komposition, deren Mittelachse die
Bindung des aufgeschlagenen Folianten bildet, antwortet der Totenschädel dem
kahlen Kopf des Kirchenvaters – eine Mahnung an die eigene Sterblichkeit.
„Stilleben und Figur, Weiß und Rot sind miteinander verbunden durch einen
überlangen Arm, der wie fremdbestimmt die Feder eintaucht“ (Ebert-Schifferer
2009, S. 187).
Mit großer
Genauigkeit gibt Caravaggio die Zeichen des Alters und der Askese wider: den
mageren Oberkörper, die sehnigen Arme und geschwollenen Hände mit gespannter
und runzliger Haut, das zerfurchte, schmale Gesicht, das schüttere Haar und den
kurzsichtigen Blick. Trotz seiner asketischen Züge zeigt Caravaggio den
Kirchenvater aber nicht in ausgesprochener Bußhaltung. Er entsagt seinen
Studien nicht, sondern ist mit der gezückten Feder in seiner Rechten offensichtlich
mitten in seiner Übersetzungsarbeit. Dabei erhält er keinen sichtbaren himmlischen
Beistand, „vielmehr verläßt er sich ganz auf seine Geisteskraft“ (Held 2007, S.
137). Die asketische Haltung des Heiligen ist bei Caravaggio nicht Ausdruck
einer ausschließlich auf das Jenseits gerichteten Frömmigkeit, sondern bleibt
der durch den Humanismus geprägten Gelehrsamkeit verbunden, stellt also eine
Art innerweltliche Askese dar.
|
Caravaggio: Hl. Hieronymus (1605/06); Montserrat, Klostermuseum
(für die Großansicht einfach anklicken) |
In Montserrat
befindet sich eine weitere Fassung des Hl. Hieronymus: ein Hochformat, wohl
ebenfalls um 1605/06 entstanden, für das derselbe Greis Modell gestanden haben
dürfte wie für die Borghese-Fassung. Er ähnelt außerdem der mittleren Figur im
Hintergrund des Ungläubigen Thomas
und dem Petrus im Christus am Ölberg
(siehe auch meinen Post „Den Finger in die Wunde legen“). Auch in diesem
Hochformat sitzt der Kirchenvater in Schrägansicht vor einem nicht näher bezeichneten dunklen
Hintergrund an einem Holztisch. Er ist wiederum nur mit einem
ausgreifenden kardinalsroten Umhang bekleidet, dessen unteres Ende auf dem Tisch liegt, sowie mit einem weißen Tuch um die Lenden. In melancholisch-meditativer
Pose, den Kopf gesenkt und die Stirn zerfurcht, greift er sich gedankenverloren
mit der rechten Hand in den Bart, den Totenschädel vor ihm nicht beachtend. Auf
sein Haupt, die Arme, den faltigen Oberkörper und das leuchtende Manteltuch
fällt aus unsichtbarer Quelle ein gebündelter Lichtstrahl, der tiefe Schatten
hervorruft. Caravaggios Fähigkeit, die gealterte Haut überaus naturalistisch
darzustellen, fasziniert auch hier. Sie hat vor allem den spanischen Maler
Jusepe de Ribera (1591–1652) stark beeinflusst, von dem zahlreiche Hieronymus-Bilder in
ähnlicher Manier überliefert sind. Auffallend an den beiden Hieronymus-Gestalten von Caravaggio ist außerdem, dass Gesicht und Hände ein dunkleres Inkarnat zeigen – als ob der Maler verdeutlichen wollte, dass er ein Modell verwendet hat.
|
Jusepe de Ribera: Hl. Hieronymus (1648); Mexico City, Péréz Simón Collection
(für die Großansicht einfach anklicken) |
Es existiert auch noch
ein späteres Hieronymus-Gemälde von Caravaggio, das für die italienische
Kapelle der Johanniter-Konventskirche bestimmt war, der heutigen Ko-Kathedrale
in Valletta. Das Bild ist wohl um 1607/08 entstanden, als Caravaggio von Neapel
nach Malta übersiedelte; als Modell diente wahrscheinlich der Malteserritter Fra Antonio Martelli, den Caravaggio 1608 auch in seiner Malteser-Uniform porträtierte. Der Totenschädel in dieser wiederum querformatigen
Fassung ist zur Seite gerollt, ebenso wie die erloschene Kerze verweist er auf die Vergänglichkeit des irdischen Lebens. Der Kirchenvater hat sich
von seiner Bettstatt hinter dem Tisch aufgerichtet; ein Tintenfass in der
Linken, hält er in der Rechten eine dünne Feder und schreibt damit seine Gedanken
nieder, „von der göttlichen Inspiration so absorbiert, daß er es unterläßt,
sich gerade hinzusetzen“ (Ebert-Schifferer 2009, S. 159/160). Caravaggio hat sein Gemälde geometrisch aufgebaut: Die Sitzfigur des Hieronymus bildet mit dem nach rechts gewendeten Bein und dem nach links gedrehten Oberkörper sowie dem Totenkopf ein Dreieck. Gerahmt wird es am rechten Bildrand von der Vertikale des Pfostens (oder der Tür) und der horizontalen Tischplatte.
|
Caravaggio: Hl. Hieronymus (1607/08), Valletta, Ko-Kathedrale Saint John |
|
Caravaggio: Porträt des Malteserritters Fra Antonio Martelli (1608); Florenz, Palazzo Pitti |
Die Folianten der
Borghese-Fassung fehlen, die Hieronymus dort noch wie ein humanistischer
Gelehrter vergleichend studierte. Das Kruzifix liegt am Rand des Tisches in
einer labilen Position, die man fast als Markenzeichen des Künstlers bezeichnen
kann (wie z. B. im Londoner Emmausmahl).
|
Ein echter Caravaggio: Früchtekorb in instabiler Lage (1601/02); London, National Gallery |
Kruzifix und Stein verweisen hier
weit deutlicher als in den beiden ersten Fassungen auf den büßenden Heiligen. Links
hängt verschattet der Kardinalshut, der an die Führungsrolle in der römischen
Kirche erinnert, auf die der Heilige verzichtet hat. In der italienischen Kapelle
war das Gegenstück zu Caravaggios Hieronymus eine Maria Magdalena – sodass von diesem Bilderpaar ein unübersehbarer Appell
zu Buße und Umkehr ausging. Das Andachtsbild enthält gleichwohl eine Anspielung
für den Kunstkenner: Die Pose des Hieronymus ist dem antiken Sterbenden Gallier entliehen.
|
Sterbender Gallier, röm. Kopie nach hellenistischem Original; Neapel, Museo Archeologico Nazionale |
|
Simon Vouet: Der hl. Hieronymus mit dem Engel (um 1620/21); Washington, National Gallery of Art
|
Der französische Caravaggist Simon Vouet (1590–1649) hat um 1620/21 einen Hl. Hieronymus mit dem Engel gemalt, der seine Nähe zu Caravaggios Gemälde in der Galleria Borghese nicht leugnen kann: Die nächtliche Szene spielt im Studierzimmer des Kirchenvaters, den ein sich von hinten nähernder Engel beim Schreiben unterbrochen hat. Vor allem der nackte Oberkörper des alten Mannes und insbesondere der Kopf mit der gerunzelten Stirn und dem von der Sonne gegerbten Gesicht erinnern an das Vorbild.
Literaturhinweise
Cassani, Silvia/Sapio, Maria
(Hrsg.): Caravaggio. The Final Years. Electa Napoli, Neapel 2005, S. 114;
Ebert-Schifferer,
Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk. Verlag
C.H. Beck, München 2009;
Gash, John: The identity of Caravaggio’s ‘Knight
of Malta’. In: The Burlington Magazine 139 (1997), S. 156-160;
Harten, Jürgen (Hrsg.): Caravaggio. Originale und
Kopien im Spiegel der Forschung. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006, S. 227;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium
der Körper. Reimer Verlag, Berlin 2007, S. 131-139;
Lechner, Sonja: NUDA VERITAS – Caravaggio als
Aktmaler. Rezeption und Revision von Aktdarstellungen in der römischen
Reifezeit. scaneg Verlag, München 2006, S. 139-151;
Squarzina, Silvia Danesi (Hrsg.): Caravaggio in
Preußen. Die Sammlung Giustiniani und die Berliner Gemäldegalerie. Ausstellungskatalog
Rom/Berlin 2001, Mailand 2001, S. 294.
(zuletzt bearbeitet am 30. Juli 2024)