Rembrandt van Rijn: Mose zerbricht die Gesetzestafeln (1659); Berlin, Gemäldegalerie |
Die Kunsthistoriker haben viel darüber
diskutiert, ob Rembrandt nicht vielleicht doch Mose mit den neuen Tafeln
darstellt, von deren zweiter Ausfertigung in 2. Mose 34 berichtet wird. Doch
für Rembrandt ist es nicht unüblich, dass er ein weiteres Ereignis (ein
früheres oder ein späteres) in seine Darstellung einbezieht. Denn in Verbindung
mit den neuen Tafeln heißt es in 2. Mose 34,29 (LUT): Moses Antlitz „glänzte, weil er
mit Gott geredet hatte“. Und so tritt Mose auf Rembrandts Gemälde auch vor uns: Sein mehr
betrübt-sorgenvolles als ergrimmtes Gesicht ist von göttlichem Licht erhellt. Durch das leuchtende Gesicht, erzeugt durch dick aufgetragenes Bleiweiß, erweist sich Mose als der von Gott Erwählte. Rembrandt übernimmt außerdem die Bildtradition des „gehörnten
Mose“ (siehe meinen Post „Der Moses des Michelangelo“), wandelt sie aber
naturalistisch um, indem er die Hörner in zwei Haarbüschel auf seinem Kopf
umformt.
Rembrandt hat seinen Mose in einem steilen,
flachen Raum angesiedelt. Die Figur, lebensgroß in Dreiviertelansicht und
unmittelbar am vorderen Bildrand präsentiert, ist praktisch monochrom in einem gelblichen Braun gehalten, als sei sie aus dem Stein herausgewachsen. Mose trägt ein weißes Gewand, auf dem jedoch ein großer Schatten liegt. Die Ärmel sind etwas herabgerutscht und legen die Handgelenke frei, der rechte Ellenbogen und die Beuge des linken Arms leuchten, vom Licht getroffen, hell auf. Ein dunkler Mantel beschwert die Schultern des bärtigen Mannes und bläht sich hinter ihm auf. „Auf Moses‘ rechter Seite liegt der Umhang fest und schwarz auf der Schulter und korrespondiert mit den Tafeln. (...) Auf der linken Schulter ist der Mantel bereits umgeschlagen und zeigt die Farbe des wallenden Stoffes, der sich auf äußerst irritierende Weise farblich mit dem Hintergrund assoziiert. Die motivische Konsistenz des Mantels ist aufgelöst, um sich förmlich in einen Felsbrocken zu verwandeln“ (Suthor 2014, S. 121).
Mose wird von einem räumlich flach angelegten Bergmassiv hinterfangen; der Höhenzug ist nur in groben Pinselzügen umrissen, „der hellockerfarbene Malgrund schlägt durch und bestimmt die koloristische Wirkung des Gemäldes“ (Suthor 2014, S. 114). Für Nicola Suthor macht es durchaus Sinn, dass Rembrandt darauf verzichtet hat, die Landschaft auszuarbeiten, und sie stattdessen flächendeckend „glühen“ lässt: „Die aktive Kraft des Berges – die Bibel beschreibt ihn als Vulkan –, wo Gott sich Moses zeigte, mit ihm kommunizierte und ihn schließlich entsendete, wird anschaulich. Die goldgelbe Farbe des Hintergrunds ist signifikanterweise auch für den Auftrag der hebräischen Schrift benutzt“ (Suthor 2014, S. 121/122). Die goldene Farbe der Lettern verzahnt die Tafeln mit dem heiligen Berg, der hinter der Gestalt des Mose aufragt. „Und dessen Körper ist diesem goldenen Grund derart verbunden, dass es erscheint, als würde er sich diesem quasi entwinden, um für den Betrachter Präsenz zu gewinnen: er ist als Medium Gottes inszeniert, dessen mächtige Anwesenheit sich im Leuchten des heiligen Berges zeigt“ (Suthor, S. 128). Anders ausgedrückt: Mose tritt in seiner Umgebung optisch zurück, wird geradezu durchlässig für den glühenden Berg, während sich die Gesetzestafeln als schwarze Flächen blockhaft abheben. Rembrandt macht auf diese Weise visuell erkennbar, dass der Anführer der Israeliten dem Wort Gottes untergeordnet ist.
Die Figur des Mose reckt sich in starker Untersicht empor und ist auf Fernwirkung angelegt; offensichtlich war das Gemälde für einen Raum mit großzügigen Abmessungen gedacht. In seinem heutigen Zustand macht das Gemälde
einen stilistisch heterogenen Eindruck. Einerseits sieht man, besonders im
Hintergrund und an den Händen, sehr skizzenhafte, wenig modellierte und
überwiegend durchscheinend ausgeführte Partien. Andererseits
fallen die sehr viel plastischer und detailreicher ausgearbeiteten Teile auf, wie
z. B. die Gesetzestafeln und die Ärmel des Mose bis zu den Ellenbogen. Es ist
deswegen vermutet worden, dass der Berliner Mose „unvollendet“ blieb und
einzelne Elemente möglicherweise von einer späteren Hand ausgeführt wurden. Die Annahme wiederum, dass Gemälde sei am unteren Rand beschnitten worden, hat sich nicht bestätigt: Eine Röntgenaufnahme zeigt an allen vier Seiten Markierungen durch den Keilrahmen.
Mose wird von einem räumlich flach angelegten Bergmassiv hinterfangen; der Höhenzug ist nur in groben Pinselzügen umrissen, „der hellockerfarbene Malgrund schlägt durch und bestimmt die koloristische Wirkung des Gemäldes“ (Suthor 2014, S. 114). Für Nicola Suthor macht es durchaus Sinn, dass Rembrandt darauf verzichtet hat, die Landschaft auszuarbeiten, und sie stattdessen flächendeckend „glühen“ lässt: „Die aktive Kraft des Berges – die Bibel beschreibt ihn als Vulkan –, wo Gott sich Moses zeigte, mit ihm kommunizierte und ihn schließlich entsendete, wird anschaulich. Die goldgelbe Farbe des Hintergrunds ist signifikanterweise auch für den Auftrag der hebräischen Schrift benutzt“ (Suthor 2014, S. 121/122). Die goldene Farbe der Lettern verzahnt die Tafeln mit dem heiligen Berg, der hinter der Gestalt des Mose aufragt. „Und dessen Körper ist diesem goldenen Grund derart verbunden, dass es erscheint, als würde er sich diesem quasi entwinden, um für den Betrachter Präsenz zu gewinnen: er ist als Medium Gottes inszeniert, dessen mächtige Anwesenheit sich im Leuchten des heiligen Berges zeigt“ (Suthor, S. 128). Anders ausgedrückt: Mose tritt in seiner Umgebung optisch zurück, wird geradezu durchlässig für den glühenden Berg, während sich die Gesetzestafeln als schwarze Flächen blockhaft abheben. Rembrandt macht auf diese Weise visuell erkennbar, dass der Anführer der Israeliten dem Wort Gottes untergeordnet ist.
Die Figur des Mose reckt sich in starker Untersicht empor und ist auf Fernwirkung angelegt; offensichtlich war das Gemälde für einen Raum mit großzügigen Abmessungen gedacht.
Rembrandt van Rijn: Belsazars Gastmahl (1635); London, National Gallery |
Rembrandt van Rijn: Jakob ringt mit dem Engel (1659); Berlin, Gemäldegalerie |
Literaturhinweise
Brown, Christopher u.a.: Rembrandt. Der
Meister und seine Werkstatt, Ausstellungskatalog Berlin, Gemäldegalerie SMPK im
Alten Museum, München u.a. 1991; S. 272-274;
Gemäldegalerie Staatliche Museen zu Berlin (Hrsg.): Rembrandt –
Genie auf der Suche. DuMont Verlag, Köln 2006, S. 384;
Schama, Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag, Berlin 2000, S. 621-623;
Suthor, Nicola: Rembrandts Rauheit. Eine phänomenologische Untersuchung. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2014, S. 113-130;
Tümpel, Christian (Hrsg.): Im Lichte Rembrandts. Das Alte Testament
im Goldenen Zeitalter der niederländischen Kunst. Ausstellungskatalog Münster,
Westfälisches Landesmuseum u.a., Zwolle 1994;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 3. April 2021)
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 3. April 2021)
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