Pierre-Auguste Renoir: Lise (1867); Essen, Museum Folkwang (für die Großansicht einfach anklicken) |
Claude: Monet: Camille (1866); Bremen, Kunsthalle (für die Großansicht einfach anklicken) |
Monet erzielte 1866
erstmals großes Aufsehen mit seiner Camille
(siehe meinen Post „La Parisienne“), während Renoirs Werke in diesem wie auch im
folgenden Jahr von der Jury abgelehnt wurden. Die positive Resonanz auf Monets Camille könnte Renoir durchaus
veranlasst haben, für den nächsten Salon
gleichfalls ein lebensgroßes Frauenbild zu malen. So entstand 1867 die Lise, die ein Jahr später tatsächlich im
Salon zu sehen war. Das Bild war
nicht das erste, das Renoir dort zeigen konnte, aber das erste, das von den
Kritikern beachtet und diskutiert wurde.
Dargestellt ist Lise
Tréhot (1848–1922), die von ca. 1865 bis 1871 Renoirs bevorzugtes Modell war.
Renoirs Freund Jules Le Cœur, der Geliebte von Lises Schwester, muss die
beiden miteinander bekannt gemacht haben, und wahrscheinlich waren auch Renoir
und Lise ein Paar. Sie posierte für mindestens 17 Porträts und Figurenbilder
ihres Freundes, darunter sämtliche großformatigen Gemälde, die er in dieser Zeit im Salon ausstellen konnte. Demnach hatte
Lise damals eine ähnliche Bedeutung für Renoir wie Camille für Monet.
Während nun Monet
seine Camille schräg von hinten und in Bewegung zeigt, das Bild quasi
durchschreitend, präsentiert Renoir Lise dagegen statisch und frontal. Ihre
nach vorn drapierte Schleppe und die schwarze Schärpe, die die hohe
Taillenlinie markiert, bilden geradezu einen kompakten Sockel für ihren
Oberkörper.
In ihrem leichten
Sommerkleid und ihrer Pose wirkt Lise schlichter und natürlicher als die elegant-kapriziös inszenierte Camille. Verglichen mit Monets Camille ist Renoirs Bild von einer erstaunlichen, wundervollen
Helligkeit, denn Renoir ließ – anders als Monet – Lise draußen in der Natur
Modell stehen. Damit wird das Spiel von Licht und Schatten zum eigentlichen
Thema des Gemäldes. Entscheidendes Instrument für die Lichtregie ist der
zierliche Sonnenschirm, den Lise in der Hand hält: Er wirft einen Schatten auf
Gesicht und Schultern, während das weiße Kleid die hellen Sonnenstrahlen
reflektiert. Die Gesichtszüge, die üblicherweise bei einem Porträt im Vordergrund
standen, treten deswegen zurück, während die modische Kleidung das Bild
beherrscht.
Der matte, weiche
Musselin des Kleides, der an den Armen und im Dekolleté die Haut durchschimmern
lässt, kontrastiert mit dem glänzenden schwarzen Seidenband. Nur die Lippen,
die Ohrringe und Haarbänder setzen feine rote Akzente. Dass Renoir das Kleid
seiner Lise so betont und ihr Gesicht
zurücknimmt, rückt sein Bild abermals an Monets Camille heran. „Beide sind nicht in erster Linie als Portrait
aufzufassen, sondern als Bilder der modernen Pariserin, die sich souverän und
elegant in Szene setzt“ (Hansen 2005, S. 104). Auch der Bildtitel Lise, der nur lapidar den Vornamen des
Modells nennt, entspricht der Formulierung bei Monets Camille. Da die Nachnamen fehlen, sind mit den beiden dargestellten
Frauen nicht bestimmte Personen gemeint, sondern zwei junge Pariserinnen schlechthin,
die exemplarisch für das moderne Leben stehen.
Renoir zeigt Lise als
modebewusste junge Frau aus der Stadt, die in der Natur Abwechslung sucht. Ihr Sommerkleid
passt zur Pleinair-Situation, in der das Bild entstanden ist. Lise steht vor
einem dunklen, schattigen Wald auf einer grünen Lichtung. Im Hintergrund
erkennt man einen mächtigen Baumstamm, in dessen Rinde Initialen geritzt sind.
Das könnte eine Anspielung auf versteckte Plätze von Liebespaaren sein.
Ansonsten verzichtet Renoir völlig auf anekdotische Details. Der Wald ist nur
summarisch ausgeführt und bleibt eher eine Kulisse, vor der sich die Figur
abhebt, ähnlich wie vor dem gemalten Hintergrund im Atelier eines Fotografen.
Eine überzeugendere Einbettung der Figur in die Landschaft sollte Renoir drei
Jahre später mit dem Bild Der Spaziergang
(1870) gelingen.
Pierre-Auguste Renoir: Der Spaziergang (1870); Los Angeles, The J. Paul Getty Museum |
Auch Monets breiten,
flüssigen Pinselstrich findet man bei Renoir wieder. In der Malweise
unterschied sich Renoir sichtbar von James Tissot (1836–1902), der schon 1863
mit seinem Bild Die zwei Schwestern
das Motiv der weiß gekleideten Frauen unter schattigen Bäumen gestaltet hatte,
allerdings viel detaillierter ausgearbeitet und ohne Renoirs natürliche
Lichteffekte und leuchtende Farbe. Der Prototyp sämtlicher Frauen in Weiß war
jedoch James McNeill Whistlers Symphonie
in Weiß (1862), die 1863 in Paris augestellt wurde und dort Furore machte –
ein weiteres lebensgroßes Bild einer Künstlerfreundin als Beispiel eines
besonderes Frauentyps der 1860er Jahre.
James Tissot: Die zwei Schwestern (1863); Paris, Musée d’Orsay (für die Großansicht einfach anklicken) |
James McNeill Whistler: Symphonie in Weiß, Nr. 1 (1862); Washington, National Gallery of Art (für die Großansicht einfach anklicken) |
Zwar galten Monets Camille und Renoirs Lise schon früh als „Schwestern“, doch sie hingen zu ihrer
Entstehungszeit nie nebeneinander. 1901 begegneten sich die beiden Gemälde
erstmals in der Dritten Ausstellung der Berliner Secession, wo Lise unter dem Titel Frau mit Sonnenschirm zum Verkauf angeboten
wurde. Dort erwarb Karl Ernst Osthaus das Bild für sein Museum Folkwang in
Hagen. 1922 wechselte die Osthaus-Sammlung nach Essen – und dort ist Lise auch heute noch zu sehen. Damit ist
sie eine echte Perle des Ruhrgebiets, die man unbedingt vor Ort gesehen haben
muss. Das Bild ist so lichtdurchflutet, dass auch im trübsten Februar sofort
der Sommer einzieht, und die Meisterschaft Renoirs lässt sich erst richtig
würdigen, wenn man z. B. die herrlichen transparenten Ärmel aus nächster Nähe
betrachten kann.
Literaturhinweise
Hansen, Dorothee u.a.
(Hrsg.): Monet und Camille.
Frauenportraits im Impressionismus. Hirmer Verlag, München 2005;
Kropmanns, Peter: Renoirs
Künstlerfreundschaften – Bazille, Monet, Sisley. In: Kunstmuseum Basel (Hrsg.),
Renoir. Zwischen Bohème und Bourgeoisie: Die frühen Jahre. Hatje Cantz Verlag,
Ostfildern 2012.(zuletzt bearbeitet am 15. November 2023)
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