Egon Schiele: Bildnis Arthur Roessler (1910); Wien, Historisches Museum |
Egon Schiele kommt am
12. Juni 1890 im niederösterreichischen Tulln zur Welt. Der Vater ist
Bahnhofsvorstand; sein früher Tod verschlechtert die finanzielle Lage des
heranwachsenden Sohnes und seiner drei Schwestern deutlich. Die Kinder bekommen einen
Mitvormund, und gegen dessen Willen legt Egon Schiele 1906 die Aufnahmeprüfung
an der Wiener Kunstakademie ab. Auch die Mutter ist von seiner Berufswahl wenig
begeistert. Nach drei Studienjahren verlässt Schiele mit Gleichgesinnten
vorzeitig die Kunstakademie; gemeinsam gründen sie die „Neukunstgruppe“. Schiele
explodiert regelrecht: In kürzester Zeit entsteht ein künstlerisch wie
zahlenmäßig beeindruckendes Œuvre. Etwa 340 Ölbilder
sowie rund 2500 Zeichnungen und Aquarelle in weniger als zehn Jahren zeugen von
seiner atemberaubenden Schaffenskraft.
Seit der Jahreswende 1909/10 ist Schiele zur
vordersten Reihe der europäischen Expressionisten zu zählen. In dieser Zeit
lernt der Maler auch seinen „Entdecker“ und künftigen Förderer Arthur Roessler
kennen. Im Rahmen der ersten „Neukunst“-Ausstellung im Wiener Kunstsalon Pisko
schließen die beiden Freundschaft. Roessler, nur wenige Jahre älter als Egon
Schiele, setzt sich zielstrebig für den Künstler ein. Als einer der Ersten
erkennt er im vollen Umfang dessen Potenzial. Roessler organisiert Ankäufe und
Porträtaufträge, vermittelt Sammler und Händler, führt Verhandlungen und
managt Ausstellungen. Gleichzeitig lenkt er als Journalist geschickt das
publizistische Interesse auf den noch wenig bekannten Schiele. Als Roessler
1911 die Zeitschrift Bildende Künstler.
Monatsschrift für Künstler und Kunstfreunde herausgibt, veröffentlicht er
darin den ersten größeren Artikel über Egon Schiele. Kaum ein anderer junger österreichischer Künstler wird damals ähnlich professionell betreut. Parallel dazu trägt Roessler
in seinem Heim eine der wichtigsten Schiele-Kollektionen zusammen.
Von April bis Mai 1911 findet Schieles erste
Einzelausstellung in der Wiener Galerie Miethke statt. In dieser Austellung ist
Roessler indirekt durch sein Porträt vertreten, das Schiele Mitte September
1910 gemalt und ihm dann geschenkt hatte. Es zeigt Roessler bis zur Hüfte vor einem
fast neutralen Hintergrund, wobei der Porträtierte von einer blasenartigen Form
umfangen wird. Im Gesicht und im Anzug dominieren erdige Rot-und Brauntöne. Die Beine Roesslers stehen im rechten Winkel zueinander, das linke
verkürzt zum Betrachter, das rechte anatomisch verzerrt, „um es in eine
bildparallele Anordnung zu zwingen“ (Natter 2003, S. 199). Die Hände sind
auseinandergespreizt und ebenfalls bildparallel – optischen Schranken gleich – vor den Körper gehalten. Die linke
Schulter wirkt stark abgesenkt, die rechte hochgezogen. Seinen Kopf hat
Roessler ins Profil gedreht, seiner rechten Schuler zugewandt; die Augen sind
geschlossen. Auf Requisiten, Attribute oder persönliche Accessoires wird
komplett verzichtet. „Das minimalistische Gestaltungsprinzip kündet von einer radikalen Absage an die dekorativen Gestaltungsmuster der Zeit“ (Natter 2004, S. 11).
Javanische Schattenspielfiguren |
Mit Recht ist bei diesem Bildnis immer wieder
auf die Anregung durch die javanischen Schattenspielfiguren hingewiesen worden,
die Arthur Roessler besaß. Schiele war fasziniert von ihnen: Durch ihre feinen und übermäßig langen Gliedmaßen sowie die allseits beweglichen Armgelenke können sie Haltungen einnehmen, die Schiele ganz ähnlich auf vielen Porträts und Aktdarstellungen verwendet. Seine Begeisterung für diese Figuren, die er durch Roessler kennenlernte, ist auch an
dessen Porträt ablesbar. Roessler berichtet: „Aus Büffelleder geschnittene und
filigranfein durchbrochene, schön bemalte javanische Schattenspielfiguren, die
ich durch Zufall erworben hatte, waren es späterhin, was ihn zu häufigen Besuchen
bei mir lockte. Stundenlang konnte er mit diesen Figuren spielen, ohne zu
ermüden und ohne dabei auch nur ein Wort zu sprechen. Das eigentlich
Erstaunliche hiebei war die Geschicklichkeit, mit der Schiele die dünnen
Bewegungsstäbchen der Figuren gleich von Anbeginn handhabte. (...) Es
faszinierten ihn die streng stilisierten, ausdrucksstarken Gebärden, die immer
ungewöhnlich, oft zauberhaft eindringlichen Umrißlinien der Schattenrisse an
der Wand, die das Spiel ergab“ (Kallir 1998, S. 534).
Schiele verdankt seinem Promotor Arthur Roessler die Bekanntschaft mit einigen seiner wichtigsten und frühesten Sammlern. Über Roessler lernt er 1910 den steirischen Großindustriellen Carl Reininghaus kennen. Zwischen ihm und Schiele entwickelt sich über alle Alters- und Klassenschranken hinweg eine rege Freundschaft. Oft ist der jugendliche Künstler Gast im Salon des großbürgerlichen Mäzens. Angesichts der vielen durch Roessler vermittelten Kontakte (ein Großteil stammt aus Ärztekreisen) ist es kein Zufall, dass die Bildnismalerei bei Schiele – ähnlich wie beim jungen Kokoschka – einen hohen Stellenwert erhält und 1910 seinen malerischen Output geradezu dominiert.
Nach Egon Schieles überraschendem Tod am 31.
Oktober 1918 betreut Roessler dessen Werk vor allem publizistisch und gibt
innerhalb kurzer Zeit drei Schiele-Bücher heraus. Lange Zeit halten seine
Publikationen als einzige Veröffentlichungen die Erinnerung an Leben und Werk
des verstorbenen Künstlers wach.
Schiele verdankt seinem Promotor Arthur Roessler die Bekanntschaft mit einigen seiner wichtigsten und frühesten Sammlern. Über Roessler lernt er 1910 den steirischen Großindustriellen Carl Reininghaus kennen. Zwischen ihm und Schiele entwickelt sich über alle Alters- und Klassenschranken hinweg eine rege Freundschaft. Oft ist der jugendliche Künstler Gast im Salon des großbürgerlichen Mäzens. Angesichts der vielen durch Roessler vermittelten Kontakte (ein Großteil stammt aus Ärztekreisen) ist es kein Zufall, dass die Bildnismalerei bei Schiele – ähnlich wie beim jungen Kokoschka – einen hohen Stellenwert erhält und 1910 seinen malerischen Output geradezu dominiert.
Egon Schiele: Bildnis Carl Reininghaus (1910); Privatbesitz |
Literaturhinweise
Kallir, Jane: Egon Schiele. The Complete Works.
Thames & Hudson Ltd., New York 1998;
Klee, Alexander: Attitüde und Geste als Abbild
des Geschlechterverhältnisses. In: Agnes Husslein-Arco/Jane Kallir, Egon
Schiele. Selbstporträts und Porträts. Prestel Verlag, München 2011, S. 31-45;
Natter, Tobias G.: Die Welt von Klimt, Schiele und
Kokoschka. Sammler und Mäzene. DuMont Verlag, Köln 2003;
Natter, Tobias G.: „Nichts und niemand hilft mir!“ Egon Schiele und sein Promoter Arthur Roessler. In: Tobias G. Natter/Ursula Storch (Hrsg.), Egon Schiele & Arthur Roessler. Der Künstler und sein Förderer. Kunst und Networking im frühen 20. Jahrhundert. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2004, S. 9-19.
(zuletzt bearbeitet am 9. Juni 2020)
Natter, Tobias G.: „Nichts und niemand hilft mir!“ Egon Schiele und sein Promoter Arthur Roessler. In: Tobias G. Natter/Ursula Storch (Hrsg.), Egon Schiele & Arthur Roessler. Der Künstler und sein Förderer. Kunst und Networking im frühen 20. Jahrhundert. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2004, S. 9-19.
(zuletzt bearbeitet am 9. Juni 2020)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen