Claude Monet: Camille (1866), Bremen, Kunsthalle (für die Großansicht einfach anklicken) |
Auf dem
großformatigen Gemälde von 1866 (231 x 151 cm) zeigt Monet Camille, damals
gerade neunzehn Jahre alt, in einem prächtigen, schwarz-grün gestreiften
Seidenkleid und schwarzer, pelzverbrämter Samtjacke vor einem dunkelroten
Vorhang. Helle Lederhandschuhe und ein kleiner, federgeschmückter Kapotthut
vervollständigen die durchaus kostspielige Garderobe. Es handelt sich um ein
frühes Werk des Künstlers, das weder die helle Farbigkeit noch die kurzen,
flirrenden Pinselstriche seiner impressionistischen Bilder aufweist. Camille,
schräg von hinten gesehen, scheint langsam von links nach rechts durch das Bild
zu schreiten und dabei nur einen kurzen Moment innezuhalten. Bewegung wird
durch das lebendige Spiel der Falten ihres Kleides suggeriert, das Camille am
Boden hinter sich herzieht. Ihre Position im Bild unterstreicht diesen
Eindruck: Links ist das Ende der Schleppe vom Bildrand überschnitten, während
rechts noch genügend Platz frei bleibt. „So ist sie nicht statisch in die Mitte
des Bildfeldes hinein komponiert, sondern im gewählten Ausschnitt ist eine
Richtung angelegt“ (Hansen 2005, S. 94).
Im Voranschreiten
wendet Camille den Kopf ein wenig, verhalten neigt sie ihn über die rechte
Schulter: ein retardierendes Moment, mit dem sie weniger auf die Ansprache
durch eine Person zu reagieren als nachdenklich in sich hineinzuhorchen
scheint. Dafür sprechen auch die niedergeschlagenen Augen, die keinen direkten
Kontakt mit dem Betrachter zulassen. Ihr Mund ist geschlossen, das Gesicht als
hellster Farb- und Lichtwert ohne jede Mimik auf die Leinwand gesetzt.
Diese Pariserin ist sich ihrer Wirkung sehr wohl bewusst |
Camilles Pose wirkt
auf den ersten Blick spontan und natürlich, doch bei näherer Betrachtung
erkennt man darin kalkulierte Künstlichkeit. Ihre Hand berüht die Schleife des
Hutbands, ohne sie wirklich zu binden. Diese Geste ist nicht ohne Koketterie.
Zugleich verweist sie auf den Kopf, denn dessen Wendung mit erhobenem Kinn und
gesenkten Lidern verrät ein subtiles Spiel: „Sie erweckt nur den Anschein, als
wüsste sie nichts vom Betrachter, doch tatsächlich ist sie sich ihrer Wirkung
auf ihn sehr bewusst“ (Hansen 2005, S. 96).
Monet verzichtet in
seinem Gemälde auf jede Erzählung, er gibt nicht den kleinsten Hinweis durch
Attribute oder Ausstattung des Raums, wohin Camille gehen will, warum sie
innehält, was sie gerade denken mag. All das werden wir nie mit endgültiger
Gewissheit erfahren. So bleibt Camilles Auftritt letztlich rätselhaft.
Ähnliche Posen finden
sich allerdings auch in zeitgenössischen Modeillustrationen. Die
Farbkombination ihres mit kontrastierenden Längsstreifen versehenen Kleides – eine
elegante Promenadentoilette – war damals äußerst en vogue, und pelzverbrämte Jacken wurden in vielen Variationen
getragen. Damit entsprach Monet dem Diktum Charles Baudelaires, der bereits
1863 gefordert hatte, der Maler solle das moderne – gemeint ist das
großstädtische – Leben abbilden. Das Bildnis
der Camille wird damit zu einem
Typenporträt, „das den Zeitgeist des
Zweiten Kaiserreichs in einer einzigen Figur verkörpert: Sie ist das Exemplum
der eleganten Pariserin, im Vorbeigehen beobachtet mit den Augen eines Zeitgenossen“
(Hansen 2005, S. 99). Deswegen wird auch die intime Beziehung Camilles zu ihrem
Porträtisten mit keinem Pinselstrich zum Thema des Gemäldes. Überhaupt ist es vor
allem das Kleid, das als der eigentliche Mittelpunkt der Komposition zu gelten
hat: Es erscheint „durch seine mit Händen zu greifende haptische Qualität,
durch seine bildnerische Unmittelbarkeit, ja durch das wie hörbar gestaltete
Rauschen und Knistern der schweren Stoffe von gleichsam lebendiger Gegenwart und
spricht mithin stärker zum Betrachter als das kaum gezeigte, verschlossene Gesicht“
(Fleckner 2005, S. 42).
Edouard Manet: Die Straßensängerin (1862); Boston, Museum of Fine Arts (für die Großansicht einfach anklicken) |
Edouard Manet: Junger Mann im Kostüm eines Majo (1863); New York, Metropolitan Museum of Art (für die Großansicht anklicken) |
Mit seiner Camille feierte Monet einen großen
Erfolg im Pariser Salon. 1866 war erst das zweite Jahr, in dem er an der damals
renommiertesten Kunstausstellung der Welt teilnahm. Es sollte jedoch auch sein
einziger Erfolg dort bleiben. Nur 1868 wurde nochmals eines seiner Bilder von
der Jury für den Salon zugelassen (Schiffe verlassen die Mole von Le Havre).
Nachdem man seine Werke 1869 und 1870 abermals abgelehnt hatte, verzichtete Monet
darauf, sich zu bewerben, und präsentierte seine Bilder seit 1874 mit seinen
Freunden in den berühmten Impressionistenausstellungen.
Monets Camille hat neben dem Vie moderne noch ein weiteres Thema, das
bereits auf den Impressionismus vorausweist: Es geht um den schönen, den
vorübergehenden Augenblick – Camille schreitet an uns vorbei, sie wird das Bild
im nächsten Moment verlassen. Monets malerischer Zugriff bleibt hier jedoch
traditionell-realistisch; es ist noch nichts von seinem späteren künstlerischen
Verfahren zu beobachten, bei dem die sichtbare Erscheinung in viele farbige
Flecken aufgelöst wird.
Literaturhinweise
Busch, Günter: Claude
Monet: Camille. Vom Realismus zum
Impressionismus. In: Günter Busch, Das Gesicht. Aufsätze zur Kunst. S. Fischer
Verlag, Frankfurt am Main 1997, S. 138-168;
Fleckner, Uwe: In
voller Lebensgröße. Claude Monet und die Kunst des ganzfigurigen Portraits. In:
Dorothee Hansen u.a. (Hrsg.), Monet und Camille.
Frauenportraits im Impressionismus. Hirmer Verlag, München 2005, S. 42-51;
Hansen, Dorothee u.a.
(Hrsg.): Monet und Camille.
Frauenportraits im Impressionismus. Hirmer Verlag, München 2005;
Weiß, Susanne: Claude Monet. Ein distanzierter Blick auf Stadt und Land. Werke 1859–1889. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1997, S. 49-53.
(zuletzt bearbeitet 9. Juni 2020)
Weiß, Susanne: Claude Monet. Ein distanzierter Blick auf Stadt und Land. Werke 1859–1889. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1997, S. 49-53.
(zuletzt bearbeitet 9. Juni 2020)
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