Dienstag, 4. Februar 2014

La Parisienne – Claude Monet porträtiert seine Geliebte Camille Doncieux


Claude Monet: Camille (1866), Bremen, Kunsthalle
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Keine andere Frau hat Claude Monet (1840–1926) so oft gemalt wie Camille Doncieux. Sie erscheint von 1865 bis 1879, ihrem Todesjahr, regelmäßig in seinen Bildern. Seit 1865 ist sie Monets Geliebte, 1868 bringt sie den gemeinsamen Sohn Jean zur Welt, 1870 heiraten Monet und Camille. 1878 wird ihr zweiter Sohn Michel geboren. Am 5. September 1879 stirbt Camille im Alter von 32 Jahren an Unterleibskrebs. Monet malt sie ein letztes Mal: Camille auf dem Totenbett.
Auf dem großformatigen Gemälde von 1866 (231 x 151 cm) zeigt Monet Camille, damals gerade neunzehn Jahre alt, in einem prächtigen, schwarz-grün gestreiften Seidenkleid und schwarzer, pelzverbrämter Samtjacke vor einem dunkelroten Vorhang. Helle Lederhandschuhe und ein kleiner, federgeschmückter Kapotthut vervollständigen die durchaus kostspielige Garderobe. Es handelt sich um ein frühes Werk des Künstlers, das weder die helle Farbigkeit noch die kurzen, flirrenden Pinselstriche seiner impressionistischen Bilder aufweist. Camille, schräg von hinten gesehen, scheint langsam von links nach rechts durch das Bild zu schreiten und dabei nur einen kurzen Moment innezuhalten. Bewegung wird durch das lebendige Spiel der Falten ihres Kleides suggeriert, das Camille am Boden hinter sich herzieht. Ihre Position im Bild unterstreicht diesen Eindruck: Links ist das Ende der Schleppe vom Bildrand überschnitten, während rechts noch genügend Platz frei bleibt. „So ist sie nicht statisch in die Mitte des Bildfeldes hinein komponiert, sondern im gewählten Ausschnitt ist eine Richtung angelegt“ (Hansen 2005, S. 94).
Im Voranschreiten wendet Camille den Kopf ein wenig, verhalten neigt sie ihn über die rechte Schulter: ein retardierendes Moment, mit dem sie weniger auf die Ansprache durch eine Person zu reagieren als nachdenklich in sich hineinzuhorchen scheint. Dafür sprechen auch die niedergeschlagenen Augen, die keinen direkten Kontakt mit dem Betrachter zulassen. Ihr Mund ist geschlossen, das Gesicht als hellster Farb- und Lichtwert ohne jede Mimik auf die Leinwand gesetzt.
Diese Pariserin ist sich ihrer Wirkung sehr wohl bewusst
Camilles Pose wirkt auf den ersten Blick spontan und natürlich, doch bei näherer Betrachtung erkennt man darin kalkulierte Künstlichkeit. Ihre Hand berüht die Schleife des Hutbands, ohne sie wirklich zu binden. Diese Geste ist nicht ohne Koketterie. Zugleich verweist sie auf den Kopf, denn dessen Wendung mit erhobenem Kinn und gesenkten Lidern verrät ein subtiles Spiel: „Sie erweckt nur den Anschein, als wüsste sie nichts vom Betrachter, doch tatsächlich ist sie sich ihrer Wirkung auf ihn sehr bewusst“ (Hansen 2005, S. 96).
Monet verzichtet in seinem Gemälde auf jede Erzählung, er gibt nicht den kleinsten Hinweis durch Attribute oder Ausstattung des Raums, wohin Camille gehen will, warum sie innehält, was sie gerade denken mag. All das werden wir nie mit endgültiger Gewissheit erfahren. So bleibt Camilles Auftritt letztlich rätselhaft.
Ähnliche Posen finden sich allerdings auch in zeitgenössischen Modeillustrationen. Die Farbkombination ihres mit kontrastierenden Längsstreifen versehenen Kleides – eine elegante Promenadentoilette – war damals äußerst en vogue, und pelzverbrämte Jacken wurden in vielen Variationen getragen. Damit entsprach Monet dem Diktum Charles Baudelaires, der bereits 1863 gefordert hatte, der Maler solle das moderne – gemeint ist das großstädtische – Leben abbilden. Das Bildnis der Camille wird damit zu einem Typenporträt, „das den Zeitgeist des Zweiten Kaiserreichs in einer einzigen Figur verkörpert: Sie ist das Exemplum der eleganten Pariserin, im Vorbeigehen beobachtet mit den Augen eines Zeitgenossen“ (Hansen 2005, S. 99). Deswegen wird auch die intime Beziehung Camilles zu ihrem Porträtisten mit keinem Pinselstrich zum Thema des Gemäldes. Überhaupt ist es vor allem das Kleid, das als der eigentliche Mittelpunkt der Komposition zu gelten hat: Es erscheint „durch seine mit Händen zu greifende haptische Qualität, durch seine bildnerische Unmittelbarkeit, ja durch das wie hörbar gestaltete Rauschen und Knistern der schweren Stoffe von gleichsam lebendiger Gegenwart und spricht mithin stärker zum Betrachter als das kaum gezeigte, verschlossene Gesicht“ (Fleckner 2005, S. 42).
Edouard Manet: Die Straßensängerin (1862); Boston, Museum of
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Edouard Manet: Junger Mann im Kostüm eines Majo (1863); New York,
Metropolitan Museum of Art (für die Großansicht anklicken)
Angeregt zu seiner großformatigen Frauendarstellung wurde Monet von Edouard Manet (1832–1883), der seit 1862 solche Bilder gemalt hatte (Die Straßensängerin). Vor allem aber hatte Manet in Gemälden wie Junger Mann im Kostüm eines Majo sowie mit seinen Philosophendarstellungen oder den Tragischen Schauspielern die Präsentation von Einzelfiguren vor neutralem dunklen Grund vorgeprägt. Angesichts dieser deutlichen Bezüge ist es kein Wunder, dass viele Zeitgenossen die Camille für ein Werk Manets hielten, zumal auch die Namen der Künstler ganz ähnlich klangen.
Mit seiner Camille feierte Monet einen großen Erfolg im Pariser Salon. 1866 war erst das zweite Jahr, in dem er an der damals renommiertesten Kunstausstellung der Welt teilnahm. Es sollte jedoch auch sein einziger Erfolg dort bleiben. Nur 1868 wurde nochmals eines seiner Bilder von der Jury für den Salon zugelassen (Schiffe verlassen die Mole von Le Havre). Nachdem man seine Werke 1869 und 1870 abermals abgelehnt hatte, verzichtete Monet darauf, sich zu bewerben, und präsentierte seine Bilder seit 1874 mit seinen Freunden in den berühmten Impressionistenausstellungen.
Monets Camille hat neben dem Vie moderne noch ein weiteres Thema, das bereits auf den Impressionismus vorausweist: Es geht um den schönen, den vorübergehenden Augenblick – Camille schreitet an uns vorbei, sie wird das Bild im nächsten Moment verlassen. Monets malerischer Zugriff bleibt hier jedoch traditionell-realistisch; es ist noch nichts von seinem späteren künstlerischen Verfahren zu beobachten, bei dem die sichtbare Erscheinung in viele farbige Flecken aufgelöst wird.

Literaturhinweise
Busch, Günter: Claude Monet: Camille. Vom Realismus zum Impressionismus. In: Günter Busch, Das Gesicht. Aufsätze zur Kunst. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997, S. 138-168;
Fleckner, Uwe: In voller Lebensgröße. Claude Monet und die Kunst des ganzfigurigen Portraits. In: Dorothee Hansen u.a. (Hrsg.), Monet und Camille. Frauenportraits im Impressionismus. Hirmer Verlag, München 2005, S. 42-51;
Hansen, Dorothee u.a. (Hrsg.): Monet und Camille. Frauenportraits im Impressionismus. Hirmer Verlag, München 2005;
Weiß, Susanne: Claude Monet. Ein distanzierter Blick auf Stadt und Land. Werke 1859–1889. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1997, S. 49-53.

(zuletzt bearbeitet 9. Juni 2020)

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