Joshua Reynolds: Die Bogenschützen (1769); London, Tate Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Nach London zurückgekehrt, ist der Einfluss
Italiens in seinen Werken unverkennbar. Fortan widmet sich Reynolds dem „Grand
Style“ und wird zum Verfechter einer Porträt- und Historienmalerei, die sich am
Ideal der großen Kunst vergangener Epochen orientiert. Mit seiner Methode des
„borrowing“ übernimmt er Motive, Figuren oder Gesten antiker oder klassischer
Kunstwerke in sein Werk. Dabei geht es aber nicht um ein simples Kopieren der verehrten
Vorbilder, sondern um aemulatio, das
Wetteifern mit ihnen – mit dem Ziel, die alten Meister zu übertreffen. An einem
berühmten Beispiel von Reynolds’ Porträtkunst, den Bogenschützen aus der Londoner Tate Gallery, lässt sich sein
Verfahren des „borrowing“ exemplarisch ablesen.
Es handelt sich um ein Doppelporträt, das in der
Akademieausstellung von 1770 zu sehen war. Das Gemälde zeigt Thomas Townshend
und Colonol John Dyke Acland, die das Bild gemeinsam in Auftrag gegeben hatten.
Ungewöhnlich für ein Porträt ist vor allem, dass die beiden nicht mit Pfeil und
Bogen vor dem Betrachter posieren, sondern tatsächlich auf der Jagd zu sein
scheinen, ohne vom Betrachter Notiz zu nehmen. Fast lebensgroß, sind die zwei
Männer auf einem schmalen Streifen hintereinander gestaffelt und haben in
beinahe völligem Profil ihre gespannte Aufmerksamkeit zur rechten Seite
gewendet.
Thomas Townshend, der dreizehn Jahre Ältere,
steht vorn und weiter links im Bild. Er hat sich trotz eines weiten
Ausfallschrittes zurückgelehnt, um beim Bogenspannen das Gleichgewicht zu
halten. Colonel Acland, der Jüngere hinter ihm, hat seinen riesigen Bogen
bereits vollständig gespannt; er stürmt mit mächtigem Schritt nach rechts und
wird seinen Pfeil wohl im nächsten Moment abschießen. Sein wehendes Haar
verstärkt den Eindruck des Vorwärtsstürmens.
Townshend ist, seinem festen Stand entsprechend,
links ein stabiler Baumstamm zugeordnet. Sein Blattwerk überwölbt die beiden Schützen, lässt aber um den Kopf des dynamischen Acland den Blick auf
Landschaft und vor allem Himmel frei. „Der Ausschnitt wird links hinter seinem
Kopf von einem schmalen geraden Baumstamm markiert, der zugleich optisch den
bewegten Körper arretiert; rechts ist das Blickfeld halbkreisförmig
geschlossen, genau der Form des gespannten Bogens folgend“ (Busch 1993, S.
407).
Antonio Pollaiuolo: Kampf zehn nackter Männer (1470/75); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Für die ungewöhnlichen Posen der beiden
Bogenschützen hat Reynolds tatsächlich auf eine klassische Bildquelle
zurückgegriffen: auf Antonio Pollaiuolos berühmte Darstellung von zehn
kämpfenden nackten Männern (um 1470/75). Dieser Kupferstich ist in seiner
„Bedeutung für die Entwicklung der anatomisch richtigen Aktdarstellung der
Renaissancekunst gar nicht zu überschätzen“ (Busch 1993, S. 408). Pollaiuolo
präsentiert auf engstem Raum eine drastische Kampfszene mit dramatisch bewegten
nackten Körpern; das Ausholen, Schlagen, Stechen, Schießen, Vorwärtsstürmen,
Sichbeugen und -winden und schließlich das erschlaffte Daliegen bei noch
schmerzverzerrtem Gesicht bilden das eigentliche Thema. Die Kämpfenden agieren
auf schmalem Feld vor dunkler Baum-, Busch- und Pflanzenkulisse; eine
Entfesselung archaischer Kräfte und hemmungsloser Wut ist zu sehen.
Reynolds zitiert nun für das Schritt- und Ponderationsmotiv
von Townshend den linken Schwertkämpfer der zentralen Vordergrundgruppe, für
Acland bedient er sich unverkennbar bei dem heranstürmendem Bogenschützen links
im hinteren Figurenstreifen. Der ältere Townshend ist sichtbar der Überlegtere,
er steht sicher, wartet auf den richtgen Moment, Colonel Acland agiert weit
impulsiver, er stürmt ohne zu zögern auf die Beute los.
Thomas Townshend und Colonol John Dyke Acland
waren eng befreundet. Zusammen unternahmen sie ihre „Grand Tour“ nach Italien,
die obligatorische Bildungsreise der europäischen Adelssöhne. Ihr Doppelporträt
sollte die Erinnerung an das gemeinsame Bildungserlebnis wachhalten. Sie könnten
den Kupferstich „als besonderen Nachweis ihrer neuerworbenen kennerschaftlichen
Kompetenz mitgebracht haben, zumal sie bei Vasari nachlesen konnten, daß
Pollaiuolo der erste Künstler gewesen sei, der detaillierte anatomische Studien
betrieben habe, um die innere Verfassung von Körperbau und Muskeln zu
begreifen“ (Busch 1993, S. 410). Das Blatt könnte aber auch Reynolds’ reicher
grafischer Sammlung entstammen. Auf jeden Fall weist die Verwendung der Posen
Pollaiuolos Auftraggeber und Künstler als versierte Kunstkenner aus – und
dokumentiert den Bildungswunsch und die Bildungserfahrung der beiden Männer.
Solche Anleihen wie in den Bogenschützen sind in der Kunst eine weit verbreitete Praxis, und viele Kunsthistoriker beschäftigen sich damit, solche stilistischen und motivischen Übernahmen aufzuzeigen. Neu ist bei Reynolds einzig, diese Form des Zitats als systematische Methode zu propagieren. Sie dient vor allem dazu, „die Bedeutung eines Werkes auf der einen Seite und den Genuß des Betrachters auf der anderen Seite zu steigern“ (Prochno 1990, S. 48). Die sinnlichen Qualitäten eines Kunstwerks sind nach Reynolds zwar nötig, um Aufmerksamkeit zu erregen, aber die Essenz eines Bildes ist „intellectual pleasure“.
Solche Anleihen wie in den Bogenschützen sind in der Kunst eine weit verbreitete Praxis, und viele Kunsthistoriker beschäftigen sich damit, solche stilistischen und motivischen Übernahmen aufzuzeigen. Neu ist bei Reynolds einzig, diese Form des Zitats als systematische Methode zu propagieren. Sie dient vor allem dazu, „die Bedeutung eines Werkes auf der einen Seite und den Genuß des Betrachters auf der anderen Seite zu steigern“ (Prochno 1990, S. 48). Die sinnlichen Qualitäten eines Kunstwerks sind nach Reynolds zwar nötig, um Aufmerksamkeit zu erregen, aber die Essenz eines Bildes ist „intellectual pleasure“.
Literaturhinweise
Busch, Werner: Das sentimentalische Bild. Die
Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne. Verlag C.H.
Beck, München 1993, S. 407-411;
Prochno, Renate: Joshua Reynolds. VCH Verlagsgesellschaft, Weinheim 1990, S. 39-48;
Wien, Iris: Joshua Reynolds. Mythos und Metapher.
Wilhelm Fink Verlag, München 2009, S. 107-115.Prochno, Renate: Joshua Reynolds. VCH Verlagsgesellschaft, Weinheim 1990, S. 39-48;
(zuletzt bearbeitet am 25. Juni 2020)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen