Caravaggio: Die Enthauptung des Johannes (1608); La Valletta/Malta, Kathedrale (für die Großansicht einfach anklicken) |
Schauplatz des Gemäldes ist ein
den Blicken der Öffentlichkeit entzogener, kahler Gefängnishof (darauf
verweisen das mit einem Holzgatter verschlossene Portal, das vergitterte Fenster und das
herabhängende Seil); freier Himmel ist nicht zu sehen. Die Hinrichtung ist
beinahe beendet. Der Henker hat sein Schwert beiseite gelegt – offensichtlich
ist es ihm nicht gelungen, den Kopf mit einem Hieb „sauber“ vom Rumpf
abzutrennen. Breitbeinig beugt er sich über den toten Johannes; sein linker athletischer Arm ist durchgestreckt, die angespannte Rückenmuskulatur sticht ins Auge. Mit der
rechten Hand zieht er hinter dem Rücken ein Messer aus der Scheide, die an seinem schwarzen Gürtel befestigt ist, um die Enthauptung
zu vollenden. Danach soll er, so weist ihn der Kerkermeister mit dem
Schlüsselbund am Gürtel ruhig und nüchtern an, den Kopf in eine Schale legen,
die eine Magd bereithält.
Caravaggio: Emmausmahl (1606); Mailand, Pinacoteca di Brera (für die Großansicht einfach anklicken) |
Mit ihrer gebückten
Haltung antwortet diese Dienerin symmetrisch dem gebeugten Oberkörper des
Henkers. Die reich verzierte goldene Schale in ihren Händen verweist darauf,
dass sie die „Kopftrophäe“ danach Salome übergeben wird: „Und sein Haupt wurde
hereingetragen auf einer Schale und dem Mädchen gegeben, und sie brachte es
ihrer Mutter“ (Matthäus 14,11; LUT). Eine alte Frau, der Dienerin auf Caravaggios
Mailänder Emmausmahl ähnlich, birgt fassungslos ihren Kopf in beiden Händen.
Diese Gebärde stillen Entsetzens unterstreicht sowohl die Willkur dieser
Exekution an sich als auch die Bestürzung darüber, dass sie halb misslungen
ist.
Zwei Gefangene, die vielleicht auf ihre eigene Hinrichtung warten |
Durch ein
vergittertes Fenster verfolgen zwei Gefangene das Geschehen aufmerksam. Ihr
Blick lenkt das umherschweifende Auge des Betrachters immer wieder zurück auf
die Hinrichtung. Gegenüber Caravaggios früheren Gemälden, auf denen vielfach nah
gesehene Halbfiguren die Leinwand füllen, sind die Personen hier deutlich kleiner
und auch zierlicher; ihre Körper bedrängen sich auch nicht gegenseitig wie auf
anderen großformatigen Gemälden von ihm (wie z. B. der Grablegung Christi in
Rom), sie stehen vielmehr ruhig und frei nebeneinander und sind dabei aus dem
Zentrum des „Breitwandformats“ nach links gerückt.
Caravaggio: Grablegung Christi (1603/04); Rom, Pinacoteca Vaticana (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Reaktionen der
Beteiligten wirken gedämpft, „nachdenklich, fast melancholisch“
(Ebert-Schifferer 2009, S. 221); es fehlen die ausfahrenden Gesten, die auf
heftige Gefühlsregungen hinweisen würden. Das Geschehen vollzieht sich konzentriert und leise. „Es scheint, daß alle Personen in ruhigem
Einverständnis handeln“ (Held 2007, S. 184). Die emotionslos wirkende
Zusammenarbeit der Figuren gibt dem Mord den Anschein von Alltäglichkeit. Sie
scheinen sich, abgesehen von der alten Frau, nicht bewusst zu sein, was sie da
tun – oder es ist für sie derart normal, dass es den Betrachter provozieren
muss. Die Teilnahmslosigkeit der Henkersknechte, die bereits Caravaggios
frühere Hinrichtungs- und Folterszenen kennzeichnet (wie z. B. seine Geißelung
Christi in Neapel), ist hier auch auf die anderen Figuren übergegangen.
Schuldgefühl und Mitleid sucht man vergebens in ihren Zügen.
Caravaggio: Geißelung Christi (1607/08); Neapel, Museo di Capodimonte (für die Großansicht einfach anklicken) |
Caravaggio zeigt uns
wie so oft einen „eingefrorenen“ Moment (siehe meinen Post „Den Finger in die Wunde legen“) – nämlich den dramatischen Augenblick zwischen begonnener und
endgültiger Enthauptung. „Die Auswahl des Bild-Momentes bei Caravaggio trägt
weit mehr zum Eindruck der Grausamkeit bei als etwa die Figur des Henkers“ (Lang
2001, S. 101). Der wird nämlich nicht etwa als äußerst roher Geselle
vorgeführt. Er ist mit diesem blutigen Handwerk wohlvertraut, ohne Zögern tut
er, was ihm aufgetragen wurde. Seine ernste Miene und die eindrucksvoll
gerunzelte Stirn dieses Schergen zeigen keinerlei sadistisches Gefallen an
seiner Arbeit. Mit der linken Hand greift er den Schopf des Täufers, als würde
er gleich ein Schlachtopfer vollziehen. Denn Johannes ist der Vorläufer und
Wegbereiter Christi, der Jesus „Gottes Lamm“ nennt (Johannes 1,29; LUT).
Darauf
dürfte auch das Schaffell anspielen, das der Täufer um seine Hüften trägt. Mit gleicher Bedeutung sind das Seil und der mächtige Eisenring am rechten Bildrand platziert: Sie weisen voraus auf die Geißelsäule und damit auf die Passion Jesu. So nimmt
das Martyrium des Täufers den Tod Christi vorweg. Aber seinem Sterben fehlt
alles Heroische; Johannes liegt ermordet in seinem Blut, und Caravaggio
verzichtet darauf, diesem Tod einen besonderen Märtyrerglanz zu verleihen. Deswegen vermittelt sein Gemälde „zunächst und vor allem den Eindruck tiefster Verlorenheit und Hoffnungslosigkeit“ (Müller 2020, S. 5). Denn dass sich in dieser Hinrichtung auch das Heil ankündigt, ist nur an wenigen Zeichen ablesbar. Sehr wahrscheinlich konnten zeitgenössische Betrachter diese aber weitaus besser dechiffrieren als wir heute. So mag vielleicht auch der Schlüsselbund des Kerkermeisters auf die Auferstehung Christi hinweisen, der – in der Johannes-Offenbarung – von sich sagt: „Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle“ (Offenbarung 1,18).
Andrea Mantegna: Christus in der Vorhölle (um 1475/80); Kupferstich |
Die Signatur: mit dem Blut des Täufers auf den Boden des Kerkerhofs geschrieben |
Caravaggio hat das im
Sommer 1608 entstandene Bild äußerst ungewöhnlich signiert: Das am Nacken des Johannes austretende Blut läuft als dünnes Rinnsal über Hals und Kehle und bildet vor seinem Hals eine kleine dunkelrote Lache – und mit diesem Blut schreibt der Künstler seinen Namen auf den Boden des Kerkerhofs. Es ist die einzige Signatur Caravaggios, die wir kennen. „Sie hat die Wirkung eines Verfremdungseffekts, der
den Realismus der Szene durchbricht“ (Lang 2001, S. 102). Wie schon auf anderen Gemälden – so beispielsweise auf der Gefangennahme Christi in Dublin – macht sich Caravaggio zum Zeugen des grausigen Geschehens, wie David M. Stone betont: „He insists on his credentials as a witness of the execution, for the blood of Saint John is still fresh enough that the artist can use it to paint his signature (...) In a wonderful chiastic conceit, Caravaggio turns paint into blood and then in turn uses that blood ‘to paint.’“ (Stone
2012, S. 582).
Das Gemälde wurde vermutlich am Gedenktag der Enthauptung Johannes des Täufers, dem 29. August 1608, feierlich enthüllt. An diesem Tag saß Caravaggio jedoch bereits im Gefängnis. In der Nacht zum 19. August war er an einem Tumult beteiligt, in desen Verlauf ein Ritter durch Schüsse schwer verletzt wurde – die Untersuchungskommisssion ließ den Maler deswegen festsetzen. Doch am 6. Oktober konnte Caravaggio mit Hilfe eines Seiles aus dem Gefängnis fliehen und verließ Malta. Sich unerlaubt aus dem Konvent (d. h. von der Insel) zu entfernen, galt nach den Statuen als Hochverrat. Auf Beschluss einer öffentlichen Ordensversammlung vom 27. November wurde Caravaggio am 1. Dezember wieder aus dem Orden ausgeschlossen – vor seinem eigenen Gemälde der Enthauptung des Johannes.
Das von Caravaggio gemalte Blut des Täufers mahnte die Ordensritter, dem Beispiel ihres Patrons zu folgen und jederzeit für ihren Glauben ihr eigenes Blut zu geben. Da es keine Blutreliquie des Johannes gibt, war es für die Bruderschaft wohl ein zentrales Anliegen, sein Blut zumindest im Bild zeigen und zur Anbetung ausstellen zu können.
Caravaggio: Gefangennahme Christi (1602); Dublin, National Gallery of Ireland; rechts oben hat sich der Maler selbst ins Bild eingefügt |
Das von Caravaggio gemalte Blut des Täufers mahnte die Ordensritter, dem Beispiel ihres Patrons zu folgen und jederzeit für ihren Glauben ihr eigenes Blut zu geben. Da es keine Blutreliquie des Johannes gibt, war es für die Bruderschaft wohl ein zentrales Anliegen, sein Blut zumindest im Bild zeigen und zur Anbetung ausstellen zu können.
Literaturhinweise
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein
Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009, S. 221-226;
Gludavatz, Karin: Caravaggios Enthauptung des Johannes – Der Täufer als Märtyrer, der Maler als Ordensritter. In: Sigrid Weigel (Hrsg.), Märtyrer-Porträts. Von Opfertod, Blutzeugen und heiligen Kriegern. Wilhelm Fink Verlag, München 2007, S. 159-161;
Gludavatz, Karin: Caravaggios Enthauptung des Johannes – Der Täufer als Märtyrer, der Maler als Ordensritter. In: Sigrid Weigel (Hrsg.), Märtyrer-Porträts. Von Opfertod, Blutzeugen und heiligen Kriegern. Wilhelm Fink Verlag, München 2007, S. 159-161;
Harten, Jürgen: Bei Caravaggio. Die Annäherung
des im Bild Erblickten an den Betrachter. In: Nike Bätzner (Hrsg.), Die
Aktualität des Barock. Diaphanes, Zürich/Berlin 2014, S. 23-41;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage), S. 179-186;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage), S. 179-186;
Lang, Walther K.: Grausame Bilder. Sadismus in der
neapolitanischen Malerei von Caravaggio bis Giordano. Dietrich Reimer Verlag,
Berlin 2001; S. 99-103;
Krüger, Klaus: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien. Wilhelm Fink Verlag, München 2001, S. 277-278;
Krüger, Klaus: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien. Wilhelm Fink Verlag, München 2001, S. 277-278;
Pericolo, Lorenzo: Caravaggio and Pictorial Narrative. Dislocting the Istoria in Early Modern Painting. Harvey Miller Publishers, Turnhout, S. 430-431;
Müller, Jürgen: „Öffnet
die Tore!“ Caravaggios Enthauptung Johannes des Täufers in neuer Deutung. In:
KUNSTGESCHICHTE. Open Peer Reviewed Journal 2020 (https://www.kunstgeschichte-ejournal.net/561/),
S. 1-18;
Sofsky, Wolfgang: Todesarten. Über Bilder der Gewalt. Matthes
& Seitz, Berlin 2001, S. 81-91;
Stone, David M.: The context of Caravaggio’s ‘Beheading of St John’ in Malta. In: The Burlington Magazine 139 (1997), S. 161-170;
Stone, David M.: Signature Killer: Caravaggio and the Poetics of Blood. In: The Art Bulletin 94 (2012), S. 572-593;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 7. April 2021)
Stone, David M.: The context of Caravaggio’s ‘Beheading of St John’ in Malta. In: The Burlington Magazine 139 (1997), S. 161-170;
Stone, David M.: Signature Killer: Caravaggio and the Poetics of Blood. In: The Art Bulletin 94 (2012), S. 572-593;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 7. April 2021)
Ich habe den Moment auf diesem Bild immer anders gesehen: Der Henker hat Johannes mit dem Messer die Kehle durchgeschnitten und hält ihn an den Haaren, auf den Boden gedrückt, fest. Johannes lebt in diesem Moment noch und sieht auf sein eigenes Blut, welches auf den Boden spritzt, und er sieht ebenso auf die Signatur des Malers. Warum sonst wäre sie an dieser Stelle? Vielleicht sieht sich Caravaggio selbst symbolisch beteiligt an diesem Mord?
AntwortenLöschenDer Henker zieht nicht das Messer, sondern steckt es nach getanem Werk zurück in die Scheide. Das Schwert liegt am Boden, noch unbenutzt.
Ich denke mir, es ist einfacher, einem nur an den Händen gefesseltem Mann, die Kehle mit dem Messer durchzuschneiden und anschließend seinen Kopf abzuschlagen, als ihn mit dem Schwert hinzurichten.
An eine "halb misslungene Hinrichtung" kann ich nicht glauben, bei diesem selbstsicheren und ruhigem Henker, es wird wohl der eigentliche Moment des Sterbens dargestellt.
Die Magd sehe ich durchaus nicht gleichgültig zur Handlung. Sie hat die Augen zu Boden gerichtet, so als könne sie die Grausamkeit nicht ansehen.
Das sind so meine eigenen Gedanken zu diesem Bild.
Herzliche Grüße
Thomas Löffelholz
Etzenborn
Herzlichen Dank für diese Rückmeldung – ich freue mich, wenn es zu einer kleinen Diskussion über Caravaggios Gemälde kommt! Sehr interessant, dass aus Ihrer Sicht der Henker zuerst das Messer und dann das Schwert benutzt. In der Tat, die Bewegung seines rechten Arms ist nicht eindeutig zu bestimmen (das gilt auch für den Gesichtsausdruck der Magd). Ich tendiere dennoch eher zu meiner Deutung, weil ich denke, dass sie näher an der damaligen Hinrichtungspraxis liegt, und die bestand darin, einen zum Tode Verurteilten mit dem Schwert zu enthaupten (wenn er denn auf diese Weise sterben sollte). Das Messer diente dann der „Nachbesserung“, falls nicht ein zweiter Hieb angesetzt wurde. Das Blut spritzt meiner Beobachtung nach auch mehr aus dem Nacken des Johannes als aus seiner Kehle.
LöschenEs ist gerade der Gleichmut des Henkers (vielleicht auch seine Abgestumpftheit), die dafür sorgt, dass er trotz der nicht sofort erfolgten Enthauptung ruhig bleibt und einfach seine Arbeit weitermacht. Nun kann man sagen: Das ist aber keine „öffentliche“ Hinrichtung, es fehlen die Schaulustigen, es gibt hier kein Spektakel für die Massen, es geht auf Caravaggios Bild nur darum, dass ein Kopf abgeschnitten wird. Stimmt. Und deswegen haben Sie vielleicht doch recht. Was bleibt, ist das Entsetzen des Betrachters über den einsamen Tod des Johannes, dem außer der alten Frau keiner der Beteiligten Mitgefühl entgegenzubringen scheint.
Tatsächlich ist es interessant darüber zu diskutieren. Die Darstellungen anderer Künstler zu diesem Thema zeigen ja auch meist Hinrichtungen mit dem Schwert. Wenn man aber die Bibeltexte liest, findet man nur das Wort Enthauptung, jedoch nichts von Hinrichtung. Und es war eigentlich auch keine Hinrichtung, sondern einfach nur ein Mord im Kerker.
LöschenEin Mord, so wie ihn Caravaggio im realen Leben mindestens einmal erlebt und möglicherweise auch selbst begangen hat.
Vielleicht daher das "f michelangelo", mit dem Blut des Opfers geschrieben.
Sicher ist es etwas vermessen zu sagen, aber im Vergleich der Psychognomien des Henkers mit den Selbstbildnissen Caravaggios, meine ich Ähnlichkeiten zu finden.
Über die Blut-Signatur Caravaggios ist in der Kunstwissenschaft viel spekuliert worden; man hat sie tatsächlich mit dem Mord in Verbindung gebracht, wegen dem er aus Rom fliehen musste. Aber mir ist das zu viel Spekulation, ich beschränke mich lieber auf das, was auf dem Bild zu sehen ist. Ich halte Caravaggios ins Blut des Johannes geschriebenen Namenszug für eine originelle, ungewöhnliche Idee, ein sogenanntes „concetto“, das die Aufmerksamkeit des Betrachers auf sich ziehen soll – und damit auf den Maler des riesigen Gemäldes.
LöschenIn dem Henker ein verstecktes Selbstporträt Caravaggios zu sehen – darauf bin ich noch nicht gekommen, das ist mir auch bislang als These nirgends begegnet. Hier würde sich ein direkter Vergleich der Köpfe lohnen, das mache ich mal!
Das ist ja ein großartiges Bild! Mich erinnert das an das berühmte Photo des Gehenkten bzw. auf seine Hängung wartenden , die Roland Barthes in Chambre claire zeigt. Der Moment dazwischen, der Übergang zwischen Tod und leben, zwischen dem Vollenden des Tötens und der öffentlichen Präsentation danach. Toll! Danke für den Hinweis und den schönen Text dazu.
AntwortenLöschenHerzliche Grüße
Peter