Albrecht Dürer: Christus als Schmerzensmann (1493/94); Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle (für die Großansicht einfach anklicken) |
Albrecht Dürer: Selbstporträt (1493); Paris, Louvre |
Christus erscheint wie in einer Vision als der am Kreuz Gestorbene – die blutigen Wunden an Kopf, Rumpf und Händen sind deutlich betont –, zugleich aber auch als lebendig, als Auferstandener. Er ist in die vorderste Bildebene gerückt, ganz nah an den Betrachter heran. Der Erlöser hat sich aus seinem Sarkophag aufgerichtet (so darf man die Steinbrüstung vor ihm wohl deuten), dessen Rand den vorderen Abschluss des Gemäldes bildet. Das weiße Leichentuch um die Hüfte gewickelt und das Gesicht in die rechte Hand gelegt, blickt er uns aus großen Augen intensiv an. Der Ellenbogen stützt sich auf das angewinkelte rechte Bein; Jesu linker Arm hängt scheinbar völlig kraftlos herab, die Hand ruht, nach oben geöffnet, auf dem Sarkophagrand. Der bläuliche, durch den Goldgrund spitzbogig begrenzte und um die Figur aufgehellte Hintergrund mag als Eingang zur Grabeshöhle interpretiert werden; die räumliche Anordnung bleibt allerdings unklar. An Folter und Verspottung erinnern das Rutenbündel, die blutige Geißel und die Dornenkrone auf Christi Haupt. Ein zarter Strahlennimbus betont die Göttlichkeit Jesu.
Die punzierte Darstellung auf dem Goldgrund bezieht sich symbolisch ebenfalls auf die Passion Christi: Man erkennt hier stilisierte, sich verflechtende Distelranken und eine von anderen Vögeln attackierte Eule mit aufgerissenem Schnabel: Die Augen vor Angst geweitet, sträubt sie ihre Kopffedern; in einen Ast verkrallt, erwehrt sie sich mit ausgespreizten Flügeln ihrer von beiden Seiten angreifenden Peiniger. Das Tier steht für den schuldlos verfolgten Jesus und seine Einsamkeit angesichts des Todes (in Anlehnung an Psalm 102,7). Der als Goldschmied ausgebildete Dürer dürfte die Punzierung in den mit Blattgold ausgelegten Hintergrund selbst ausgeführt haben.Martin Schongauer: Schmerzensmann zwischen Maria und Johannes (um 1475); Kupferstich |
Hans Leinberger: Christus im Elend (um 1525); Berlin, Bode-Museum |
Albrecht Dürer: Selbstporträt mit Binde (1492; Zeichnung); Erlangen, Universitätsbibliothek |
Albrecht Dürer: Ruhe auf der Flucht (1492/93, Zeichnung); Berlin, Kupferstichkabinett |
Albrecht Dürer: Titelblatt der Kleinen Passion (1511); Holzschnitt |
Albrecht Dürer: Melencolia I (1514); Kupferstich |
Niclaus Gerhaert: Büste eines sinnenden Mannes (um 1467); Straßburg, Musée de l’Œuvre Notre-Dame |
Literaturhinweise
Bonnet, Anne-Marie/Kopp-Schmidt, Gabriele: Die Malerei der deutschen Renaissance. Schirmer/Mosel, München 2010; S. 76;
Eissenhauer, Michael (Hrsg.): Spätgotik. Aufbruch
in die Neuzeit. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2021, S. 350;
Hess, Daniel: Albrecht Dürer, Christus als Schmerzensmann. In: Klaus Albrecht Schröder/Maria Luise Sternath (Hrsg.), Albrecht Dürer. Zur Ausstellung in der Albertina Wien. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2003, S. 128;
Hess, Daniel: Der Karlsruher Schmerzenmann. In: Daniel Hess/Thomas Eser, Der frühe Dürer. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2012, S. 508;
Jacob-Friesen, Holger: Albrecht Dürer, Christus als Schmerzensmann. In: Holger Jacob-Friesen (Hrsg.), Hans Baldung Grien. heilig | unheilig. Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2019, S. 122-124;
Kutschke, Adela: Albrecht Dürer, Christus als Schmerzensmann. In: In: Jochen Sander (Hrsg.), Dürer. Kunst – Künstler – Kontext. Prestel Verlag, München 2013, S. 70;
Moraht-Fromm, Anna: Albrecht Dürer, Christus als Schmerzensmann. In: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hrsg.), Grünewald und seine Zeit. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2007, S. 371-373;
Recht, Reinhold: Nicolas de Leyde et la sculpture à Strasbourg (1460–1525). Presses universitaires de Strasbourg, Straßburg 1987;
Roth, Michael: Albrecht Dürer und Straßburg. In: Daniel Hess/Thomas Eser, Der frühe Dürer. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2012, S. 39-51.
(zuletzt bearbeitet am 3. April 2022)
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