Albrecht Dürer: Hieronymus in der Wüste (1497); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Im grafischen Werk Albrecht Dürers
finden sich nicht weniger als sechs Darstellungen des hl. Hieronymus –
deutliches Zeichen für die wachsende Verehrung, die dem Kirchenvater im
Verlauf des 15. Jahrhunderts
entgegengebracht wurde. Hieronymus hatte das Alte Testament aus dem
Hebräischen und das Neue Testament aus dem Griechischen ins Lateinische
übertragen; die daraus hervorgegangene Vulgata
wurde zur wichtigsten Bibelübersetzung des Mittelalters – und der Kirchenvater
zum bewunderten Vorbild vieler Humanisten. Der
hier vorgestellte großformatige Kupferstich von 1497 zeigt jedoch nicht den Gelehrten,
den Dürers berühmter Hieronymus im Gehäus
von 1514 präsentiert (siehe meinen Post „Der gelassene Gelehrte“). Was wir vor uns sehen, ist vielmehr der büßende
Eremit: Die Legenda aurea berichtet
ausführlich, das sich Hieronymus nach seinen Studien bei Gregor von Nyzanz für
vier Jahre als Einsiedler in die Wüste begab, um mit Fasten, Selbstkasteiung
und Gebet den Anfechtungen der Welt zu entsagen.
Dürer stellt den hageren Asketen vor
den schroffen Wänden einer Felsschlucht in einer kahlen Sandmulde dar. Mit
langem Bart und nacktem Oberkörper kniet der weißhaarige Alte vor einem kleinen
Kruzifix, das er in einen geborstenen Baumstumpf gesteckt hat. Mit einem Stein in seiner
Rechten schlägt er sich bei seiner Meditation über die Passion Christi gegen
die Brust. Das strähnig und verfilzt wirkende Haupt- und Barthaar, das den Mund
völlig überwachsen hat, zeugt davon, dass der Büßer sein Äußeres bewusst
vernachlässigt und körperliche Bedürfnisse gering achtet. Ihm zur Seite ruht –
im Maßstab verkleinert – der Löwe, dem er der Legende nach einen Dorn aus der
Pranke gezogen hatte und der daraufhin sein treuer Kamerad wurde. Das Tier
gehört deswegen zu den Attributen des Heiligen.
Am linken Bildrand erhebt sich eine
steile Felswand, rechts ragen in einiger Entfernung, jenseits einer kleinen
Meeresbucht, bizarr geformte Klippen aus dem Wasser. Auf ihrem bewaldeten
Rücken erscheint über der Gestalt des Büßenden das Dach einer Kapelle, zu der ein von den schroffen Felsen eingefasster Hohlweg hinführt. Rechts außen lassen sich am Horizont eine kleine Insel mit einer Burg und einige Boote erkennen – sie verweisen
darauf, wie weit Hieronymus von der Welt der Menschen entfernt ist. Die zerklüfteten Felsen wiederum verdeutlichen, an welch unwirtlich-einsamen Ort sich der
Eremit freiwillig begeben hat.
Albrecht Dürer: Der verlorene Sohn bei den Schweinen (1496/97); Kupferstich |
Albrecht Dürer: Buße des Johannes Chrysostomos (1497); Kupferstich |
Formal steht Dürers Hieronymus in
der Wüste aber auch noch mit anderen frühen grafischen Arbeiten in Verbindung.
So ähnelt der Kopf des Kirchenvaters dem Unhold aus dem Meerwunder (siehe meinen Post „Geraubte Schönheit“), die
Felsformationen denen der Buße des Johannes
Chrysostomos und der Löwe dem der Sonne
der Gerechtigkeit.
Hans Baldung Grien: Hieronymus als Büßer in einer Schlucht (1511); Holzschnitt |
Hans Baldung Grien: Hieronymus als Büßer in der Wildnis (1511); Holzschnitt |
Hans Baldung Grien: Hieronymus in der Wüste (1511); Holzschnitt |
Albrecht Dürer: Hieronymus neben dem Weidenbaum (1512), Kaltnadelradierung |
Literaturhinweise
Jacob-Friesen, Holger (Hrsg.): Hans Baldung Grien.
heilig | unheilig. Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2019, S. 112-113 und 300-301;
Reuße,
Felix: Albrecht Dürer und die europäische Druckgraphik. Die Schätze des
Sammlers Ernst Riecker. Wienand Verlag, Köln 2002, S. 46;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003, S. 190-191;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003, S. 190-191;
Schoch, Rainer: Der
heilige Hieronymus in der Wüste/Der heilige Hieronymus neben dem Weidenbaum. In: Mende,
Matthias/Schoch, Rainer (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische
Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München
2000, S. 38-39 und 158-160;
Schröder, Klaus Albrecht/Sternath, Maria Luise (Hrsg.): Albrecht Dürer. Zur Ausstellung in der Albertina Wien. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2003, S. 212-217;
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007, S. 41. Schröder, Klaus Albrecht/Sternath, Maria Luise (Hrsg.): Albrecht Dürer. Zur Ausstellung in der Albertina Wien. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2003, S. 212-217;
(zuletzt bearbeitet am 18. April 2021)
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