Mittwoch, 7. April 2021

Deutsche Renaissance-Porträts (1): Lucas Cranach d.Ä. und seine frühen Ehepaar-Bildnisse

Lucas Cranach d.Ä.: Bildnis eines Wiener Juristen (1503);
Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum
Lucas Cranach d.Ä. (1472–1553) hat in seiner langen künstlerischen Laufbahn eine Vielzahl von Porträts angefertigt – einhellige Bewunderung erlangten allerdings nur die Bildnisse, die in Wien entstanden sind und seinem Frühwerk zugerechnet werden. Dazu zählt zum einen das Doppelporträt der Eheleute Johannes und Anna Cuspinian (heute in Winterthur, um 1502/03). Die beiden Bilder waren ursprünglich Klapptafeln und sind die ältesten erhaltenen Porträts von der Hand Cranachs. Ihnen an die Seite stellen darf man die einige Monate später entstandenen beiden Bildnisse eines Wiener Juristen und seiner Frau, die ich hier näher vorstellen will (heute getrennt in Nürnberg und Berlin aufbewahrt). Noch deutlicher als die Cuspinian-Porträts veranschaulichen sie das Besondere der frühen Bildnisse Cranachs: die Verbindung von Personen- und Landschaftsdarstellung. Denn völlig neu in der bisherigen Porträtmalerei ist, dass Cranach seine Modelle nicht vor (wie dies Hans Memling eingeführt hatte), sondern in einer Landschaft platziert.

Lucas Cranach d.Ä.: Doppelbildnis des Ehepaars Cuspinian (1502/03);
Winterthur, Sammlung Oskar Reinhart (für die Großansicht einfach anklicken)

Bei dem Bildnis des Mannes handelt es sich um einen Angehörigen der Wiener Universität: Mit der roten Amtstracht eines Juristen bekleidet, sitzt der Gelehrte leicht nach rechts gewandt im Dreiviertelprofil und als Halbfigur vor einem weiten Landschaftshintergrund. Er ist weder dem geöffneten Buch vor ihm zugewandt, das auf einer marmorierten Brüstung liegt, noch dem Betrachter. Der Universitätsprofessor wirkt seiner Frau zugekehrt, die als Pendant nahezu spiegelsymmetrisch zu ihm positioniert ist, dennoch scheint sein Blick nicht wirklich ihr zu gelten, sondern sich „nachdenklich-ergriffen“ (Rebel 1994, S. 131) in die Ferne zu richten. Rundrückig und merkwürdig kraftlos wird er wiedergegeben, mit knochigem Kopf, ungleich gehobenen Augenbrauen und gedankenverloren verzogenem Mund.

Das Bildnis ist mit goldfarbener Inschrift 1503 datiert und gibt das Alter des Dargestellten mit „VIXI ·AN · 41“ an. Hinter der rechten Schulter des Mannes ragt ein kahler, knorriger Baum empor, der vom oberen Bildrand abgeschnitten wird. Weiter im Mittelgrund wächst in der rechten Bildhälfte eine Gruppe von vier Birken, deren Laubkronen sich zu einem gemeinsamen Blätterdach vereint haben. Diese Bäume erscheinen wie ein innerer Rahmen um den Kopf des Gelehrten. Dabei ist der dickstämmige, aber zart verästelte kahle und „gebückte“ Baum ganz auf die Kontur des Mannes abgestimmt.

Auf der Höhe der horizontalen Bildmitte führt am rechten Rand ein Weg in die Tiefe, auf dem sehr klein ein Reiter und zwei Fußgänger zu erkennen sind. Sie streben offenbar der steil aufragenden Burg zu, die durch drei Gebäudekomplexe und eine Bogenbrücke charakterisiert ist. Am hoch angesetzten, von links nach rechts leicht ansteigenden Horizont türmt sich rechts im Hintergrund ein schneebedecktes Gebirge auf. Eine hellere Himmelspartie umgibt den Kopf des Gelehrten; die über ihm schwebenden Federwölkchen wirken beinahe wie „eine Art von weltlichem Nimbus“ (Heiser 2002, S. 124). Sie könnten auf den hellen und wachen Geist des Gelehrten und seine auf wissenschaftliche Erkenntnis ausgerichtete Tätigkeit verweisen.

Die Farbigkeit des Porträts wird von der Tracht des Juristen dominiert: Er ist in ein rotes, an den Ärmeln anliegendes Untergewand gekleidet; darüber trägt er eine rotbrokatene, mit Granatapfelmuster versehene und mit Pelz gefütterte Schaube. Ein roter halbseitiger Schulterkragen – eine sogenannte Epomis, die über einer Schulter getragen wurde – mit weißem Pelz verbrämter Saum und eine rote Kappe gehören ebenso zum Ornat wie das rote Chaperon, das über die linke Schulter fällt. Eine große, das Gemälde strukturierende Linie wird von dem weißen Pelzbesatz gebildet; diese Linie leitet zur rechten Hand des Porträtierten über und lenkt den Blick zu dem aufgeschlagenen Buch.

Es handelt sich hierbei um zweispaltig gesetzten, kostbar gebundenen Kodex mit zwei Schließen. Der Schnitt des Buches scheint vergoldet zu sein. Lesbar ist allein die Kopfzeile auf der Rekto-Seite des aufgeschlagenen Kodex, die Angabe lautet „Quartus“, was auf der Verso-Seite mit „Liber“ zu ergänzen wäre. Die Rekto-Seitenzahl ist mit „CCI“ angegeben. Das Werk besteht also wahrscheinlich aus acht Büchern besteht, da der Band ziemlich genau in der Mitte aufgeschlagen ist. Allerdings ist es kein juristisches Buch, denn das wäre glossiert. Die beiden mit insgesamt sechs Ringen geschmückten Hände ruhen auf den aufgeschlagenen Seiten, offenbar um das Buch in der Mitte aufgeschlagen zu halten. Dabei wiederholt die Fingerzier das Gold der auffälligen Knöpfe an Manschette und Robe sowie der Schließen des Folianten.

Lucas Cranach d.Ä.: Bildnis der Frau des Juristen (1503);
Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)

Cranachs Bildnis galt seit 1899 als Porträt von Johann Stephan Reuss, einem aus Konstanz stammenden Rektors der Wiener Universität; doch ist diese Identifizierung fragwürdig, denn Rektoren durften laut geltender Universitätsstatuten nicht verheiratet sein, sodass Reuss, der 1504 sein Rektorat übernahm, sich 1503 nicht mit Ehefrau hätte darstellen lassen können. Die Gattin des Gelehrten sitzt etwas tiefer als ihr Gemahl; damit wird gleichzeitig ihre geringere Körpergröße angezeigt, der Himmelsabschnitt über ihrem Kopf ist entsprechend höher. Die Unterarme hält sie vor ihrem Bauch parallel übereinander; ihr ausgebreitetes Kleid füllt am unteren Bildrand die gesamte Breite der Tafel aus. Der goldfarbene Gürtel, hoch unter dem Busen geschnürt, setzt für die Komposition einen wichtigen horizontalen Akzent. Das Brokatmuster der Halspasse kehrt wieder in dem wie geöffnet wirkenden, mit reicher Goldstickerei versehenen und scheinbar auseinanderklaffenden Brustausschnitt. Auch die Finger der Ehefrau sind mehrfach beringt. Im Gegensatz dazu wirkt die Kugelhaube, um die ein weißes, mit einer schmalen Zierleiste geschmücktes und im Nacken verknotetes Tuch geschlungen ist, eher schlicht. Sie ist Ausweis ihres Ehestandes.

Entsprechend dem Bildnis ihres Gatten wächst am linken Bildrand ein schmaler belaubter Baum empor, rechts hinter der Dargestellten ein vertrockneter. Entsprechend dem Bildnis ihres Gatten wächst am linken Bildrand ein schmaler belaubter Baum empor, rechts hinter der Dargestellten ein vertrockneter. Die unterschiedlichen Zustände der Bäume auf beiden Tafeln evozieren die Vorstellung vom Ablauf der Zeit, von Tod und Auferstehung, Werden und Vergehen. Direkt hinter der Frau füllt im Unterschied zum männlichen Pendant dichtes, dunkelgrünes Buschwerk den Mittelgrund und setzt einen deutlichen farblichen Kontrast zum Weiß der Haube und dem Rot des Kleides. Kompositionell werden die beiden Tafeln durch die gleiche Höhe der Horizontlinie verbunden, etwa oberhalb der Schultern. Allerdings ist fließende Übergang zwischen den beiden Landschaften etwas unterbrochen, da die Tafeln zu einem undokumentierten Zeitpunkt leicht beschnitten wurden. Die Hintergrundlandschaft türmt sich am rechten Rand des männlichen und am linken Rand des weiblichen Porträts zu einer Gebirgszone auf. Das leuchtende Rot der Kleidung beider Ehepartner vereint die Tafeln auch koloristisch. „Das Paar weiß sich vor ein und derselben Welt miteinander verbunden; die durchgängige Landschaft beider Bildräume hinter den Personen soll das beweisen“ (Rebel 1994, S. 132).

 

Literaturhinweise

Anzelewsky, Fedja: Studien zur Frühzeit Lukas Cranachs d.Ä. In: Städel-Jahrbuch 17 (1999), S. 125-144;

Brinkmann, Bodo (Hrsg.): Cranach der Ältere. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2007, S. 128;

Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (Hrsg.): Die Gemälde des 16. Jahrhunderts. Verlag Gerd Hatje, Stuttgart 1997, S.123-126;

Heiser, Sabine: Das Frühwerk Lucas Cranachs des Älteren. Wien um 1500 – Dresden um 1900. Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 2002, S. 123-132;

Hess, Daniel: Lucas Cranach, Bildnis eines Juristen. In: Germanisches Nationalmuseum (Hrsg.), Faszination Meisterwerk. Dürer – Rembrandt – Riemenschneider. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2004, S. 124-125;

Holste, Tanja: Die Porträtkunst Lucas Cranachs d.Ä. Diss., Kiel 2004, S. 43-51;

Hoppe-Harnoncourt, Alice: Glaube und Macht. Lucas Cranach d.Ä. – Porträtist in bewegter Zeit. In: Bodo Brinkmann (Hrsg.), Dürer – Cranach – Holbein. Die Entdeckung des Menschen: Das deutsche Porträt um 1500. Hirmer Verlag, München 2011, S. 113-118;

Koepplin, Dieter: Cranachs Ehebildnis des Johannes Cuspinian von 1502. Seine christlich-humanistische Bedeutung. Diss., Basel 1973, S. 267-272;

Rebel, Ernst: Lucas Cranachs Porträtkunst. Personendarstellungen zwischen Vitalität und Formel. In: Claus Grimm u.a. (Hrsg.), Lucas Cranach. Ein Maler-Unternehmer aus Franken. Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg 1994, S. 131-138.

 

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