Rembrandt: Badende Frau (1654); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Eine junge Frau ist von einem ebenso steilen wie
steinigen Ufer, an dem sie ihr Obergewand abgelegt hat, ins Wasser gestiegen.
Während sie vorsichtig – auf scheinbar unsicherem Grund – tiefer in das kühle
Nass watet, schürzt sie ihr weißes Hemd, das sie noch trägt, über
die Beine nach oben. Sie blickt nach unten auf die Wasserfläche, eine
Korkenzieherlocke fällt ihr dabei in den Nacken – und lächelt. Was sie sieht,
bleibt dem Blick des Betrachters verwehrt: Entdeckt sie im Wasser ihr gespiegeltes Geschlecht, das uns durch den tiefen schwarzen
Schatten unter ihrem gerafften Hemd verborgen bleibt? Oder erheitert sie die Reflektion ihres Resichts? Fühlt sie vielleicht mehr, als dass sie sieht? Vielleicht ist die junge Frau ganz auf die (lustvolle) Berührung mit dem Wasser konzentriert und spürt dabei dem Tritt ihrer Füße im Dunkel des Wassers nach.
Die Kombination des tiefes Dekolletés mit dem
Hemd, das über Oberschenkel und Schoß hochgehalten wird, verleiht dem
Gemälde eine subtile, aber dennoch deutlich erotische Komponente. Der
Betrachter gerät unweigerlich in die Rolle eines Voyeurs, dem ein heimlicher
Blick auf die arglose Frau und ihre teilweise entblößten Brüste, ihre Schenkel
und sogar ihre Scham gewährt wird.
Peter Paul Rubens: Het Pelsken (1638); Wien, Kunsthistorisches Museum |
In dem Modell für die Badende Frau wird zumeist die Geliebte des Künstlers gesehen,
Hendrickje Stoffels (siehe meinen Post „Rembrandts huysvrouw“). Simon Schama betrachtet
das hochformatige Bild als ein „so intimes und auf seine Art gewagtes Werk“
(Schama 200, S. 555), dass Rembrandt es sehr wahrscheinlich für sich selbst und
Hendrickje gemalt habe. Er vergleicht es mit Rubens’ berühmten Gemälde Het Pelsken von 1638, das dessen zweite
Ehefrau Hélène Fourment nackt bzw. nur mit einem übergeworfenen Pelz zeigt (siehe meinen Post „Ein Bild nur für zwei“).
Doch anders als Hélène Fourment blickt uns Hendrickje nicht an. Rembrandt präsentiert
sie uns, leicht seitlich gewendet, in völliger Selbstversunkenheit. Die Badende Frau zeigt sich uns nicht, sie
fühlt sich allein und unbeobachtet. Allerdings gibt es kein gesichertes Porträt
von Hendrickje Stoffels. Die Züge der Badenden
Frau begegnen jedoch in den 1650er Jahren mehrfach in Werken Rembrandts.
Für Jonathan Bikker wiederum ist das Kleid aus Goldbrokat
im Hintergrund ein deutliches Indiz, dass es sich bei der
dargestellten Frau um eine mythologische, allegorische oder biblische Gestalt
handelt. Er plädiert für die alttestamentliche Erzählung von Susanna und den
beiden Alten (Daniel 13,1-64; Einheitsübersetzung), sie passe „zu der intimen Gestimmtheit
der Szene“ (Bikker 2014, S. 199). Denn die Bibel berichte explizt, dass Susanna
allein war, als sie von den zwei alten Männern bei ihrem Bad beobachtet wurde –
sie hatte ihre Dienerinnen weggeschickt, um Öl und Salben zu holen. Bei den
Darstellungen Bathsebas seien jedoch häufig eine oder zwei Mägde anwesend, so
auch in Rembrandts großformatigem Gemälde im Louvre (siehe meinen Post „Der Voyeur bist du“). Die beiden Alten
stürzen sich schließlich auf Susanna und lassen ihr die Wahl, ihnen zu Willen
zu sein oder öffentlich einer Affäre mit einem jungen Mann bezichtigt zu
werden.
Lucas van Leyden: Susanna und die beiden Alten (um 1508); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rembrandt: Susanna und die beiden Alten (1636); Den Haag, Mauritshuis |
Jan Kelch vertritt dagegen die Ansicht, mit der
Badenden Frau sei die von Köng David
beobachtete Bathesba gemeint (2. Samuel 11,1-27). Das kostbare Gewand am Ufer
verweise auf eine Frau von Stand – und außerdem habe Rembrandt hier das gleiche
Kleid wiedergegeben wie in seiner Bathseba im Louvre, gleichfalls 1654 entstanden. Er räumt allerdings ein, dass der Badenden Frau der tragische Grundton,
von dem die Pariser Bathseba
durchdrungen ist, völlig fehlt. Die Szenerie macht es auch wenig wahrscheinlich, dass die Bandende vom Dach des Königshauses aus beobachtet wird (2. Samuel 11,2) – dafür ist sie viel zu nah an den Betrachter herangerückt.
Rembrandt: Bathseba (1654); Paris, Louvre |
Jan Leja wiederum plädiert dafür, dass Rembrandt mit seiner Badenden keine biblische, sondern eine mythologische Figur meint, nämlich die der Kallisto, deren Geschichte Ovid in seinen Metamorphosen erzählt (2,425-247): Zeus verführt bzw. vergewaltigt die Nymphe; die daraus folgende Schwangerschaft erzürnt die eifersüchtige Hera so sehr, dass sie Kallisto in eine Bärin verwandelt und später als Sternbild ans Firmament setzt. In seinem Aktäon und Kallisto-Gemälde von 1634 hatte Rembrandt seine Figuren noch in diesen narrativen Zusammenhang eingefügt; zwanzig Jahres danach aber habe Rembrandt, so Leja, die Gestalt der Kallisto aus ihrem erzählerischen Kontext herausgelöst, wie das auch bei seiner Bathseba von 1654 geschehen sei: „His focus has shifted away from the narrative and its concerns with interaction among figures to the psychological study of a single figure. (...) Absorbed in thought, they
[Kallisto und Bathseba] are unaware of the delightful scene that their nudity, the source of ther problems, created for the imagined observers, Jupiter and King David, als well as for the real voyeurs, the viewers of the painting“ (Leja 1996, S. 326). Und: Sollte Hendrickje tatsächlich das Modell für die Badende Frau gewesen sein, dann könnte auch dies ein Hinweis darauf sein, dass hier Kallisto dargestellt ist – denn 1654 erwartete Hendrickje ein Kind von Rembrandt. Der Künstler und seine Haushälterin waren nie offiziell verheiratet, Rembrandt betrachtete sie aber dennoch als seine De-facto-Ehefrau.
Doch es gibt auch Widerspruch gegen die ikonografische Festlegung der Badenden: Daniela Hammer-Tugendhat, Nicole Suthor und Svetlana Alpers erklären Rembrandts Frauenfigur als unbestimmbar, da sie einem narrativen Kontext entzogen sei: „Who is the woman poised in the midst of bathing with neither biblical elders nor Actaeon there to watch? This is, one concludes, not Susanna and not Diana. Again, Hendrickje is depicted as withdrawn from a narrative role“ (Alpers 2005, S. 59).
Rembrandt: Das Bad der Diana mit Aktäon und Kallisto (um 1634); Isselburg, Burg Anholt |
Die Pinselführung auf der Badenden Frau wirkt skizzenhaft, besonders im Hintergrund; im
Weißauftrag des Hemdes dagegen greift Rembrandt zu seiner Impastotechnik, wobei
der Malgrund an einigen Stellen dennoch nicht abgedeckt wird. Die (vom
Betrachter aus gesehene) linke Hand ist so flächig behandelt, dass Generationen
von Kunstkennern angenommen haben, das Bild sei an dieser Stelle beschädigt.
Zwar vermitteln der deutlich erkennbare Pinselduktus und das kleine Format den
Eindruck einer spontan erfassten Figurenstudie, ein ausgeführtes Gemälde lässt
sich dem Bild jedoch nicht zuweisen. Rubens’ Praxis, großformatige
Auftragswerke in Ölskizzen vorzubereiten, hat Rembrandt nicht übernommen. Die
Vermutung, die Badende Frau sei
unvollendet geblieben, lässt sich nicht bestätigen: Die Arbeit ist signiert und
datiert – offensichtlich war sie in Rembrandts Augen fertiggestellt.
Literaturhinweise
Alpers,
Svetlana: Not Bathsheba. In: Svetlana Alpers, The Vexations of Art.
Velázquez and Others. Yale University Press. New Haven and London 2005,
S. 59;
Bikker, Jonathan: Intimität. In: National Gallery
Company (Hrsg.), Der späte Rembrandt. Hirmer Verlag, München 2014, S. 193-213;
Hammer-Tugendhat, Daniela: Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur
holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien
2009, S. 11;
Kelch, Jan: Badende Frau. In: Christopher Brown u.a. (Hrsg.), Rembrandt. Der Meister
und seine Werkstatt. Gemälde. Schirmer/Mosel, München 1991, S. 246-249;
Leja, Jan: Rembrandt’s Woman bathing in a stream. In: Simiolus 24 (1996), S. 320-327;
Leja, Jan: Rembrandt’s Woman bathing in a stream. In: Simiolus 24 (1996), S. 320-327;
Schama, Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag,
Berlin 200, S. 554-555;
Suthor, Nicola: Rembrandts Rauheit. Eine phänomenologische
Untersuchung. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2014, S. 99-107.
(zuletzt bearbeitet am 3. April 2021)
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