Montag, 13. Mai 2019

Kunst aus Kieseln – die Mosaiken von Pella

Löwenjagd-Mosaik (4. Jh. v.Chr.); Archäologisches Museum, Pella (für die Großansicht einfach anklicken)
Die ältesten erhaltenen Mosaiken stammen aus Griechenland (4. Jh. v.Chr.): Es handelt sich um Fußböden, die aus besonders glatten, runden und gleichmäßig kleinen Flusskieseln zusammengesetzt sind. Man ordnete dabei schwarze und weiße oder farbige Kiesel, die zunächst und auch weiterhin als einfacher Fußbodenbelag im Mörtelverband verwendet wurden, in den Böden besonderer Räume zu Figuren. Durch antike Inschriften wissen wir, dass die Steine der Größe nach ausgesiebt wurden. Um die Umrisslinien der Figuren hervorzuheben, verwendete man Bleistreifen, die zwischen linear aneinandergefügte Kiesel eingeklemmt werden konnten.
Die künstlerisch wertvollsten figürlichen Kieselmosaiken der Antike haben sich in den Palästen von Pella erhalten, etwa 45 Kilometer südwestlich des heutigen Thessaloniki gelegen. Das von Archelaos I. von Makedonien gegründete Pella ersetzte die frühere Hauptstadt Aigai, die im Binnenland und noch weiter vom Meer entfernt lag. Am neuen Standort errichteten die makedonischen Fürsten große Paläste; die königliche Residenz ließ man von Zeuxis ausstatten, dem berühmtesten Maler jener Zeit. Aus zwei dieser aristokratischen Häuser stammen elf Kieselmosaiken, die alle in die Zeit zwischen 330 und 310 v.Chr. zu datieren sind. Im 4. Jahrhundert war Makedonien das Herkunftsland der Fürsten, die nach dem Tod Alexander des Großen 323 v.Chr. die hellenistischen Königreiche gründeten und dabei das Zentrum des Reiches nach Osten verschoben: die Ptolemäer mit Alexandria in Ägypten, die Seleukiden mit Antichochia in Syrien und die Attaliden mit Pergamon in Kleinasien.
Der Hintergrund der Pella-Mosaiken ist gewöhnlich dunkel gehalten, und zwar durch schwarze bis dunkelgraue Kiesel, die aber mit helleren Steinen gleichmäßig durchsetzt sind. Sie erinnern damit an die zeitgleichen schwarzgrundigen Gefäße. Die Figuren sind weiß, die Binnenlinien zur Angabe der Muskeln grau, Lippen und Münder rot, Haare und Mähnen dagegen gelb und Gegenstände im Allgemeinen rot-braun dargestellt. Vier dieser Mosaiken sind besonders schön, ich will sie hier kurz vorstellen.
Dionysos-Mosaik (4. Jh. v.Chr.); Archäologisches Museum, Pella
Das erste zeigt den Gott Dionysos auf dem Rücken eines Panthers, der sich auf die Hinterbeine erhebt – ein beliebtes Motiv der griechischen Vasenmalerei. Für den Körper des Gottes wurden weiße Kiesel verwendet, die Flecken des Panthers sind schwarz, die Trennlinien der Muskeln beim Oberkörper des Dionysos und die Züge seines Gesichtes mit grauen Kieselsteinen eingelegt. Rot findet sich nur beim Maul des Panthers mit seinem kleinen Kopf, Braungrün beim Weinlaubkranz im Haar des Gottes und beim Thyrsosstab (einem seiner Attribute), den er in der Linken trägt. Das an den Stab geknotete, im Wind wehende Band ist wieder weiß mit dunklen Punkten gestaltet.
Auf dem zweiten, stilistisch nur wenig weiterentwickelten Mosaik greifen zwei junge Männer von beiden Seiten einen Löwen an. Die beiden Gestalten bewegen sich im Wesentlichen flächenparallel, während der Löwe leicht perspektivisch schräg dargestellt ist und seinen Kopf nach rechts zurückwirft. Die linke Figur trägt einen breitkrempigen Jagdhut; es ist Alexander der Große, der in der linken Hand ein Schwert, das noch in der Scheide steckt, und in der erhobenen Rechten wurfbereit eine Lanze hält. Der Löwe in der Mitte setzt seine Tatze schon auf den Fuß Alexanders, aber der junge Mann rechts hat bereits sein Schwert aus der Scheide gezogen und erhebt es über den Kopf des Raubtiers, um ihm einen Hieb zu versetzen. 
Tyrannenmörder (röm. Marmorkopie der griech. Bronzeoriginale
aus dem 5. Jh. v.Chr.); Museo Archeologico Nazionale, Neapel
Die Geste erinnert an die berühmte Skulpturengruppe der Tyrannenmörder auf der Akropolis in Athen: Auch der jugendliche Harmodias holt zu einem solchen Hieb aus, um Hippias und Hipparchos, die Söhne des Tyrannen Peisistratos, zu töten.
Das querrechteckige Mosaik bezieht sich auf einen dramatischen Vorfall, der sich bei einer Löwenjagd ereignet hatte und von dem die antiken Biografen Alexanders berichten. Alexander war damals von seinem Freund Krateros gerettet worden, der zur Erinnerung an dieses Ereignis eine Bronzegruppe für das Heiligtum des Apoll in Delphi stiftete. Die Skulptur ist allerdings nicht erhalten.
Hier sollte man die Großansicht unbedingt nutzen ...
Gegenüber dem Mosaik des Pantherreiters sieht man im Löwenjagd-Mosaik eine den Bildraum genauer bestimmende Angabe des Terrains durch hellere Kiesel unter den Füßen der Figuren, deutlichere Schattierungen bei der Körpermodellierung, weiter eine Zunahme der Farbe Rot an den Gewandzipfeln, den Schwertscheiden, dem Schaft des Wurfspeeres und bei Mähne und Schwanzquaste des Löwen. Rot sind auch dessen Nüstern, seine Augenwinkel und seine Zunge, ebenso wie auch Rot für die Lippen, Augen und Haare der Männer verwendet wurde.
Das dritte Mosaik stellt eine ähnliche Jagdszene dar, diesmal mit einem Hirsch. Es zeichnet sich durch eine besonders reiche und breite doppelte Bordüre aus: Außen hebt ein schmaleres schwarz-weißes Wellenband („laufender Hund“ genannt) das Mosaikfeld von der Umgebung ab. Die breitere, das quadratische Bildfeld rahmende Bordüre zeigt eine üppige Blütenranke. In der linken unteren und diagonal gegenüber in der rechten oberen Ecke wächst jeweils ein Akanthuskelch in zwei Etagen auf, der nach rechts und links eine Ranke entlässt. Sie wird anfangs von zwei spiralförmigen Rankenenden begleitet, die in den anderen Ecken in gegenläufigen Palmetten auslaufen. In der Gabelung der Ranken über dem Akanthuskelch sitzen Lotusblüten. An den Stellen, an denen die Wellenranke zu einem Berg nach oben oder zu einem Tal nach unten umschwingt, sprießen zwei Akanthusblätter. Diese wiederum bringen spiralige Begleitranken hervor, die in verschiedenen Blüten enden.
Gnosis hats gemacht, und klasse ist es geworden!
Das Hirschjagd-Mosaik ist vom Künstler signiert: „Gnosis hat es gemacht“ („Gnosis epoiesen“). Es ist die einzige bisher bekannte Signatur auf einem Kieselmosaik. Der Künstler war wohl sehr zufrieden mit seinem Werk, und es ist ohne Frage auch das schönste der Pella-Mosaiken. Die Kiesel sind mit 0,5 bis 1 cm Durchmesser kleiner als bei den anderen Werken.
Auch bei der Hirschjagd kommen die beiden Jäger wie beim Löwenjagd-Mosaik von links und rechts. Sie sind beide in Ausfallstellung dargestellt. Der gefleckte Damhirsch, ein Zehnender, ist von dem Hund, der ihn von links anfällt und in die Flanke beißt, offenbar bis zur Erschöpfung gehetzt worden, denn er bricht mit heraushängender Zunge zusammen, sodass der rechte Jäger ihn am Geweih packen und niederzwingen kann, während er mit dem Schwert in seiner Rechten zum Hieb ausholt. Der linke Jäger, dessen Schwert in der Scheide am Gehenk steckt, schwingt mit beiden Händen eine Doppelaxt, um das Tier niederzustrecken.
Das Terrain, auf dem die Jagd stattfindet, ist felsiger als bei der Löwenjagd und verdeckt den rechten Fuß des linken Jägers. Gnosis ordnet die Figuren – den perspektivisch verkürzten Hund, den Hirsch und die beiden Jäger – in drei Ebenen an und erzeugt so räumliche Tiefe. Besonders wirkungsvoll umgesetzt ist die Idee, dass dem rechten Jäger im Eifer des Gefechts der Hut vom Kopf fliegt, der mit wehenden Bändern in der rechten oberen Ecke zu schweben scheint.
Die Schatten, die die einzelnen Muskeln begrenzen, gibt der Künstler nicht mehr als Linien an, sondern durch das geschickte Einfügen dunklerer Kiesel in die hellere Umgebung. „Sehr viel genauer nach dem Naturvorbild sind auch die Augen und überhaupt die Gesichtszüge der Figuren modelliert“ (Andreae 2012, S. 23). Die Haarlocken der Jäger werden nicht wie beim Löwenmosaik von schwarzen, sondern von weißen Trennlinien durchzogen, sodass die Haarfülle flockiger wirkt. Das Hirschfell zeigt eine sehr überlegte und überzeugende Farbverteilung von bräunlichen und weißen Kieseln. „Bei einem so schwierigen Werk ist anzunehmen, dass es zunächst mit allen Schattierungen auf den Untergrund gemalt wurde, um erst dann die farbigen Kiesel in den passenden Tönen auf das Gemälde zu setzen“ (Pappalardo/Ciardiello 2010, S. 100).
Die ältesten und am besten erhaltenen Kieselmosaiken finden sich im Archäologischen Museum von Pella – hier die Entführung der Helena
Das größte der vier Mosaiken stammt aus einem Saal mit gut 118 Quadratmetern. Das sehr breit querrechteckige Bild ist nur zur Hälfte erhalten und stellt den Raub der noch kindlichen Helena durch Theseus und seinen Wagenlenker Phorbas dar, wie aus den mit winzigen Steinchen zusammengesetzten Beschriftungen „Phorbas“, „Theseus“, „Helene“ und „Deianira“ hervorgeht. Eindrucksvoll ist ein Vierergespann in voller Karriere wiedergegeben, das Phorbas zu zügeln versucht. Er wendet den Kopf nach links zurück, denn er muss Theseus mit seiner menschlichen Beute aufnehmen. Theseus und sein Freund Peirithoos hatten beschlossen, für jeden von ihnen eine Zeustochter zu rauben und als Gemahlin nach Hause zu führen. Helena von Sparta (Tochter von Zeus und Leda) wird von ihren Brüdern, den Dioskuren Kastor und Pollux, wieder zurückgeholt, während Theseus und Peirithoos beim Versuch, Persephone (Tochter des Zeus und seiner Schwester Demeter) aus dem Hades zu entführen, in Fesseln gelegt werden – Herakles kann Theseus später befreien, doch Peirithoos muss zurückbleiben.
Auffallend am Helena-Mosaik ist die reichliche Verwendung gelber Steine für die Wiedergabe der Pferdemähnen und -schweife und der Haare des Phorbas. Auch die großen Wagenräder, von denen das rechte hinter den Hinterbeinen der Stangenpferde und das linke hinter dem linken Beipferd teilweise verschwinden, sind gelb; ebenso die Zügel und der Bug der Deichsel, während die Aufzäumung der Pferde und die Riemen um ihre Leiber rote Farbe zeigen. Das Hirschjagd- und das Helena-Mosaik stellen den Höhe- und den Endpunkt der Kieselmosaiken dar: „In dieser Technik war offenbar mehr nicht zu erreichen. Die Erfindung des Tesseramosaiks mit seinen neuen Möglichkeiten stand bevor“ (Andreae 2012, S. 24).

Literaturhinweise
Andreae, Bernard: Antike Bildmosaiken. Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz 2012, S. 19-25;
Pappalardo, Umberto/Ciardiello, Rosaria: Griechische und römische Mosaiken. Hirmer Verlag, München 2012.

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