Dienstag, 6. Oktober 2020

Porträt-Kunst der italienischen Frührenaissance (4): Luca Signorellis „Bildnis eines älteren Mannes“

Luca Signorelli: Bildnis eines älteren Mannes (um 1492),
Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)

Die Entwicklung des selbständigen Porträts seit der Frührenaissance habe ich vor einiger Zeit bereits am Beispiel von Sandro Botticellis Bildnis eines jungen Mannes mit Medaille skizziert (um 1475 enstanden). In loser Folge sollen in diesem Blog weitere herausragende Werke dieser Bildgattung vorgestellt werden. Der italienische Renaissance-Maler Luca Signorelli (1445–1523) hat Porträts vornehmlich als Stifterfiguren in Altarbildern und als Kollektivporträts in seinen großen Fresken (Rom, Sixtinische Kapelle; Orvieto, Dom) eingesetzt. Autonome Bildnisse sind die Ausnahme – eines davon, das Porträt eines älteren Mannes, befindet sich heute in der Berliner Gemäldegalerie.

Im Brustausschnitt wiedergegeben, ist der Dargestellte nah an den Betrachter herangerückt; Körper und Gesicht sind nach links ausgerichtet und werden in Dreiviertelansicht gezeigt, Brust- und Schulterpartie sind angeschnitten. Der ältere Mann – eine bis heute unbekannt gebliebene Person – trägt eine leuchtend rote Mütze und ein kragenloses, hoch geschlossenes Gewand in gleicher Farbe. Darüber liegt eine breite schwarze Stola. Möglicherweise war eine derart auffällige Bekleidung mit einem besonderen öffentlichen Amt verbunden.

Signorelli präsentiert die Gestalt von einem leicht erhöhten Standpunkt. Der Porträtierte sieht gedankenversunken zur Seite und nach unten; sein Blick ist auf nichts gerichtet, sondern still und versonnen nach innen gewandt. Die kraftvoll modellierten Gesichtszüge sind schwer und fest, von harten Falten durchzogen; der Ausdruck wirkt energisch und zugleich gelassen.

Von den humanistischen, antiquarischen Interessen des Dargestellten zeugt der für ein Porträt ungewöhnliche Landschaftshintergrund, in dem Signorelli links zwei laufende, antikisch gekleidete weibliche Gestalten vor einem antiken Rundtempel, rechts zwei nackte Jünglinge vor einem antiken Triumphbogen abgebildet hat. Diese erinnern mit der Rückenansicht der vorderen Figur und der Überschneidung ihres Konturs mit der am Boden kauernden Figur an die Gruppe im Hintergrund seines Florentiner Tondos der Madonna mit Kind. In dem Kuppelbau links klingt die Architektur des römischen Pantheons an, aber auch der Vesta-Tempel auf dem Forum Romanum könnte damit gemeint sein. Um welche Szenen oder Figuren aus der antiken Dichtkunst, Mythologie oder Geschichte es sich bei den beiden Paaren handelt, ist bis heute umstritten, eine sichere Identifizierung mit keiner der vorgeschlagenen Deutungen gegeben.

Luca Signorelli: Madonna mit Kind (um 1490); Florenz, Uffizien
Signorelli stammte aus der in der südlichen Toskana gelegenen Stadt Cortona und war Schüler von Piero della Francesca (um 1420–1492). Von 1477 bis 1480 arbeitete er in Loreto, 1482 in Rom (Sixtinische Kapelle). In Florenz, wo er sich von 1484 bis 1492 aufhielt, wurde er vor allem von Antonio del Pollaiuolo (1429–1498) beeinflußt. Sein spätes Hauptwerk sind die Fresken im Dom von Orvieto (1499–1504).

Literaturhinweise

Beyer, Andreas: Das Porträt in der Malerei.  Hirmer Verlag, München 2002, S. 101;

Christiansen, Keith/Weppelmann, Stefan (Hrsg.): Gesichter der Renaissance. Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst. Hirmer Verlag, München 2011, S. 147-149;

Schleier, Erich: Luca Signorelli, Bildnis eines älteren Mannes (um 1492). In: Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke. Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann, Berlin 1998, S. 340.


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