Samstag, 24. Oktober 2020

Porträt-Kunst der italienischen Frührenaissance (6): Pietro Peruginos „Bildnis des Franceso delle Opere“

Perugino: Bildnis des Francesco delle Opere (1494); Florenz, Uffizien
Perugino (um 1450–1523), eigentlich Pietro Vannucci, war Ende des 15. Jahrhunderts einer der berühmtesten Maler Italiens. Heute ist er vor allem als der Künstler bekannt, der in seiner Werkstatt Raffael (1483–1520) ausbildete und dessen Frühwerk maßgeblich beeinflusste. Vor allem Raffaels Porträtstil (siehe meinen Post „Geld heiratet Adel“) in den Jahren 1504 bis 1508 verdankt Peruginos Vorbild ebensoviel wie dem Leonardo da Vincis (siehe meinen Post „La Gioconda“). Als herausragendes Beispiel für Peruginos Bildniskunst sei hier sein Porträt des Francesco delle Opere von 1494 vorgestellt.

Eine wohl zeitgenössische Beschriftung auf der Rückseite der Tafel nennt das Entstehungsdatum, den Künstler und den Porträtierten. Francesco di Lorenzo di Piero wurde 1458 in die wohlhabende Florentiner Handwerkerfamilie delle Opere, die – wie auch ihr Name bezeugt – für die Herstellung von Seidenstoffen ad opera (durch Stickereien veredelt) bekannt war. Francesco starb 1496 in Venedig, wo das Porträt wohl auch entstanden sein dürfte, weil er ab 1488 dort nachgewiesen werden kann und sich andererseits Perugino 1494 ebenfalls in Venedig aufhielt.

Fast frontal und formatfüllend präsentiert uns der Künstler das Brustbild des 36-jährigen. Die nah an den vorderen Bildrand herangerückte Erscheinung vermittelt ebenso wie der ernste Gesichtsausdruck und der den Betrachter fixierende Blick Stolz und Würde des Dargestellten. Sein schiefer, vielleicht auf eine Gesichtslähmung zurückgehender Mund signalisiert, dass der Maler ihn ungeschönt wiedergibt. Er trägt ein weißes Hemd, ein rotes, mit den Grüntönen der Landschaft komplementär korrespondierendes Gewand und darüber eine dunkelbraune Jacke (giubetto genannt) sowie ein schwarzes Barett, unter dem das sehr frein gelockte Haar hervorquillt. Der Landschaftshintergrund zeigt seitlich über den Schultern abfallende Felsen und Hügel sowie am linken und rechten Bildrand zarte Bäume, deren Blattwerk ebenso fein wie das Haar Francescos vor dem Himmel stehen.

Die beiden Hände des Porträtierten liegen auf einer Brüstung am unteren Bildrand, die nur als schmaler Streifen sichtbar wird; seine Rechte umschließt eine Schriftrolle, an den rechts oben ein Streifen mit der Aufschrift „TIMETE DEVM“ („Fürchtet Gott“) angesetzt ist. Es handelt sich um einen in zahlreichen Predigten des Florentiner Dominkanermönches Savonarola (1452–1498) wiederkehrenden Aufruf. Ursprünglich stammt er aus der Ankündigung des Jüngsten Gerichts in der Johannes-Offenbarung, wo es heißt: „Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre; denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen!“ (Offb. 14,7; LUT). Die Schriftrolle spricht dafür, dass sich Francesco demonstrativ als gottesfürchtiger Anhänger des Bußpredigers darstellen ließ.

Hans Memling: Bildnis eines Mannes mit Brief (um 1470);
Florenz, Uffizien (für die Großansicht einfach anklicken)
Kein anderes Porträt eines italienischen Meisters des späten 15. Jahrhundert entspricht in Form und Qualität so unmittelbar nordalpinen Vorbildern. Etliche venezianische und florentinische Kaufleute, die geschäftliche in Brügge residierten, bestellten bei Hans Memling (um 1430–1494) Altargemälde und Porträts, die in beachtlicher Zahl nach Italien gelangten und von den dortigen Malern als Vorbild aufgegriffen wurden. Unter den Bildnissen von Memling (siehe meinen Post „Die Porträtkunst des Hans Memling“) ist als mögliche Inspiration für Peruginos Werk immer wieder ein in den 1470er Jahren entstandenes Bildnis in den Uffizien genannt worden, das vermutlich einen der zahlreichen in Brügge tätigen Italiener zeigt. Ebenso wie auf Memlings Porträt erscheint Francesco delle Opere vor einem weiten Landschaftsausblick mit Hügeln, Wasserflächen, Bäumen und Architektur. Und wie bei Memling steht er hinter einer Brüstung, auf die er seine Hände legt. 

Hans Memling: Bildnis des Benedetto Portinari (um 1487);
Florenz, Uffizien (für die Großansicht einfach anklicken)
Raffael: Bildnis des Agnolo Doni (1506/07); Florenz, Palazzo Pitti
Raffael: Bildnis der Maddalena Doni (um 1506/07); Florenz, Palazzo Pitti
Angesichts einer größeren Zahl von Porträtarbeiten Memlings, die im Florenz des Quattrocento nachweisbar sind, war aber sicherlich keine konkrete Anregung durch ein einzelnes Werk notwendig. Das zeigen etwa Vergleiche mit Memlings Bildnissen eines unbekannten Florentiner im New Yorker Metropolitan Museum und des Benedetto Portinari (ebenfalls in den Uffizien), die ebenfalls charakteristische Merkmale von Peruginos Porträt vorwegnehmen – beispielsweise den Effekt des krausen dunklen Haares vor hellem Himmel. Dieses Stilmittel hat wiederum Raffael in seinem Porträt des Agnolo Doni von Perugino übernommen, in dem Pendant-Bildnis der Maddalena Doni andererseits das Motiv des feingliedrigen Baums im Hintergrund.

Literaturhinweise

Chapman, Hugo u.a. (Hrsg.): Raffael. Von Urbino nach Rom. Belser Verlag, Stuttgart 2004, S. 82-83;

Schumacher, Andreas (Hrsg.): Perugino. Raffaels Meister. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2011, S. 250-253;

LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

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