Donnerstag, 26. November 2020

Porträt-Kunst der italienischen Spätrenaissance (1): die Jünglinge des Jacopo da Pontormo

Jacopo da Pontormo: Bildnis eines jungen Mannes mit roter Kappe
(um 1530); London, National Gallery
Der italienische Maler Jacopo da Pontormo (1495–1557) gehört mit Rosso Fiorentino (1495–1540), Agnolo Bronzino (1503–1572) und Giorgio Vasari (1511–1574) zu den wichtigsten Künstlern des Florentiner Manierismus. Neben Fresken und Altarbildern (siehe meinen Post „Vier Frauen heben ab“) kennen wir 15 Porträts von seiner Hand. Pontormos Bildnis eines jungen Mannes mit roter Kappe, um 1530 entstanden und lange für verloren gehalten, konnte 2019 von der National Gallery in London erworben werden. Es handelt sich um das Dreiviertelporträt eines jungen florentinischen Patriziers, dessen Gesicht dem Betrachter zwar frontal zugewandt ist, der aber dennoch versonnen an uns vorbeiblickt. Das Haupt bedeckt eine schräg aufgesetzte rote Kappe; er trägt außerdem ein geschlitztes schwarzes Lederwams über einem weitärmeligen grauen Hemd, dessen Faltenbildung in seiner Stofflichkeit sehr naturalistisch widergegeben wird.

Ein fest angezogener, ebenfalls schwarzer Schwertgürtel betont die Wespentaille des bis an den oberen Bildrand aufragenden jungen Mannes. In der rechten Hand hält er einen Brief, der allerdings keinen näheren Hinweis auf den Dargestellten oder die Funktion des Porträts bietet, zu lesen ist nur „Domi [...] ni / ul e [...] eli“. Seine Linke hat er auf die Hüfte gelegt – eine Pose, die Pontormo auch für das Porträt eines Hellebardiers im kalifornischen J. Paul Getty Museum verwendet. Die selbstbewusst-stolze Haltung des jungen Mannes wird noch verstärkt durch den niedrigen Blickpunkt des Betrachters, der uns zu ihm aufschauen lässt. Bei dem Modell dürfte es sich um den etwa achtzehnjährigen Carlo Neroni handeln; der mehr als Künstlerbiograf denn als Maler bekannte Giorigio Vasari erwähnt in seinen Vite (Erstauflage 1550), dass Pontormo ein Porträt von ihm geschaffen habe. Das schwarze Lederwams könnte daher, so der Vorschlag von Francis Russell, auf den Namen des jungen Mannes anspielen (ital. nero = schwarz). Auch der Name des Hellebardiers findet sich bei Vasari: Es handelt sich wahrscheinlich um Francesco Guardi, dessen Bildnis Pontormo ebenfalls um 1529/30 anfertigte, als die Florentiner Republik durch die Truppen Karls V. belagert wurde.

Jacopo da Pontormo: Bildnis eines Hellebardiers (um 1529/30);
Los Angeles, J. Paul Getty Museum
Charakteristisch für die beiden Bildnisse wie überhaupt für das Porträt des Manierismus (also etwa der Zeitspanne zwischen 1520 und 1600) sind die verzerrten Körperproportionen der Dargestellten: Die Gliedmaßen, inbesondere Hals und Finger, werden überlängt, während der Kopf verkleinert erscheint. Haupt und Oberkörper sind zudem oft in unterschiedliche Richtungen gedreht. Pontormo präsentiert den Hellebardier als elegant gekleidete Dreiviertelfigur, den Körper leicht nach rechts, das Gesicht dem Betrachter zugewendet. Der junge Soldat trägt eine karmesinrotze Mütze mit weißer Feder, die durch eine Brosche befestigt ist. Das Rot der Kopfbedeckung korrespondiert mit dem der leicht geschlitzten, durch Nestelbänder mit der Jacke verbundenen Kniebundhose. Sie ist mit einer auffälligen Schamkapsel versehen, vor der ein Degengriff ins Bild ragt.

Der Oberkörper des schlanken Jünglings ist in einen hellen giubbone gekleidet, ein geknöpftes, weitärmeliges Wams aus schwerer Seide. Darunter wird an den Handgelenken, am Stehkragen sowie zwischen Jacke und Hose ein weißes Seidenhemd sichtbar, dessen Schnüre am Hals offen geblieben sind. Um die Schultern trägt er eine lange goldene Gliederkette; die schmale Hüfte umfasst wie bei dem Porträt Guardis ein schmaler lederner Schwertgürtel.

Die wertvolle Kleidung kontrastiert mit der Hellebarde, deren schlichten hölzernen Schaft der junge Mann mit seiner Rechten umfasst und die vom oberen Bildrand angeschnitten wird. Überhaupt macht der Jüngling nicht wirklich den Anschein, für einen echten Kampf gerüstet zu sein. „Alles ist Pose, Schmuck und Programm“ (Beyer 2002, S. 174): Auf der Brosche ist der Kampf aus dem Herkules-Mythos dargestellt, bei dem der Heros seinen Gegner Antäus tötet. Da der Tugendheld zu den „Patronen“ der Stadt Florenz zählte, kann die leicht zu übersehende Szene als symbolhafter Hinweis auf ein wehrhaftes Florenz verstanden werden.

Die Figur ist vor einem Gebäude oder einer massiven Mauer platziert, die wohl als Wehrarchitektur gedeutet werden kann. Solche Befestigungen existierten in Florenz tatsächlich – sie wurden zur Verteidigung des Monte San Miniato und der Republik errichtet. Hellebardenträger treten in Kunst und militärischer Wirklichkeit meist in Wachfunktionen auf. Überzeugend ist deshalb der Vorschlag gemacht worden, dass Francesco, der einzige Erbe der Familie Guardi del Monte, hier in Form eines Namensbildes erscheint: die Wache am Berg, guardia al monte.  

Donatello: David (1408/09); Florenz, Museo Nazionale del Bargello
(für die Großansicht einfach anklicken)

Donatello: Hl. Georg (um 1417); Florenz, Orsanmichele
(für die Großansicht einfach anklicken)

Andrea del Verrocchio: David (um 1475);
Florenz, Museo Nazionale del Bargello
Solche Verweise machen es wahrscheinlich, dass Pontormo nicht in erster Linie die individuellen Züge des Francesco Guardi abbilden wollte. Denn seine Physiognomie erinnert stark an die des David von Donatello (1408/09), wie sich auch Haltung und Figur des wachsamen Jünglings an Donatellos Statue des Hl. Georg (um 1417) orientieren. Auch Andrea del Verrocchios Bronze-David mit der linken Hand auf der Hüfte ließe sich hier nennen. Indem er dem jungen Guardi die Bildniszüge florentinischer Skulptur verlieh, gab Pontormo seinem Porträt auch eine überpersönliche Funktion, weil es „zugleich die Wehrhaftigkeit der republikanischen Jugend von Florenz insgesamt darzustellen hatte“ (Beyer 2002, S. 175).

Agnolo Bronzino: Bildnis eines jungen Mannes (um 1540);
New York, Metropolitan Museum of Art
Pontormos Porträtkunst hatte großen Einfluss auf die Bildnisse seines Schülers Bronzino: Den in die Hüfte gestemmten linken Arm aus dem Neroni-Porträt übernimmt Bronzino in seinem um 1540 entstandenem Bildnis eines jungen Mannes, „and, once this link is realised, the way the younger painter’s sitter is posed and lit, as well as the determined silhouette of the shoulders and arms, seem to read like a brillant endeavour to rework Pontormo’s design, taking full advantage of the linear possibilities of the fashinable black slashed costume“ (Russell 2008, S. 677).

 

Literaturhinweise

Beyer, Andreas: Das Porträt in der Malerei. Hirmer Verlag, München 2002, S. 171-175;

Campbell, Lorne u.a. (Hrsg.): Die Porträtkunst der Renaissance. Van Dyck, Dürer, Tizian ... Chr. Belser AG, Stuttgart 2009, S. 224-227;

Russell, Francis: A portrait of a young man in black by Pontormo. In: The Burlington Magazine 150 (2008), S. 675-677.


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