Albrecht Dürer: Kreuzigung Christi (1498); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Große Passion gilt als inhomogene Grafik-Folge, da sich die einzelnen Blätter stilistisch erkennbar voneinander unterscheiden. Dies lässt sich durch den langen Zeitraum erklären, in dem die Holzschnitte entstanden sind: Die frühesten sind um 1496 angefertigt und die letzten um 1510 hinzugefügt worden. Ähnlich wie in Dürers Apokalypse zeichnen sich die zwischen 1496 und 1500 entstandenen Blätter besonders durch ihre szenische Dramatik aus. Die um 1498 datierbare Kreuzigung Christi gehört zu diesen frühen Blättern der Großen Passion, die Dürer auch als Einzeldrucke vertreiben ließ.
Es herrscht eine unübersichtliche Fülle auf dem 28 x 39 cm großen Blatt, die den Blick hin und her springen lässt: Das Format wird nahezu vollständig von Figuren und kleinteiligem Landschaftshintergrund in Form einer „Weltlandschaft“ mit Wäldern, Felsen, einem Fluss und einer großen Steinbrücke ausgefüllt. Mit gestreckten Gliedmaßen hängt Christus an dem in der Mittelachse des Bildes errichteten, bis an den oberen Bildrand reichenden Kreuz und ragt hoch über die übrigen Gestalten hinaus. Sein Strahlennimbus weist ihn als Sohn Gottes aus. Der kräftige, muskulöser Körper unterscheidet sich deutlich von den schmalgliedrigen mittelalterlichen Christustypen unterscheidet. Dürer gibt den Gekreuzigten nicht streng frontal wieder, sondern leicht nach links und damit den Trauernden zugewendet. Die hier nur angedeutete Drehung des Gekreuzigten hatte Dürer bereits 1496 in der Kreuzigung des Dresdener Bildes der Sieben Schmerzen Mariens konsequent umgesetzt. Die zentrale, erhöhte Position Christi ist innerhalb der Großen Passion nur mit dem Blatt der Auferstehung vergleichbar, auf die sie damit verweist (siehe meinen Post „Lichtgestalt“).
Albrecht Dürer: Auferstehung Christi (1510); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
In der linken Bildecke ist Maria in ihrem Schmerz zusammengesunken. Ihr Gesicht wird für den Betrachter zu einem „Fixpunkt in der detailreichen Komposition“ (Mack-Andrick 2007, S. 235), umgeben von Johannes, der die Gottesmutter am Ärmel fasst, und den trauernden Frauen, die nach dem Johannes-Evangelium bei der Kreuzigung anwesend waren (Johannes 19,25). Ihnen gegenübergestellt ist auf der rechten Seite ein zeitgenössisch herausgeputzter berittener Soldat mit mächtigem Federhelm: Er wendet sich einem vom Bildrand angeschnittenen Turbanträger zu, der auf Christus weist. Unklar ist, ob der Landsknecht sich gleichgültig von dem Sterbenden abwendet – oder ob wir hier den Augenblick vor uns haben, in dem ein römischer Hauptmann Christus als Sohn Gottes erkennt (Matthäus 27,54). Auffällig ist, dass innerhalb des Blattes ein Perspektivwechsel stattfindet: Der Augenpunkt befindet sich auf der Höhe der angenagelten Füße Christi, zu dem der Betrachter aufschaut; zugleich nimmt er jedoch die Gruppe der Trauernden in Aufsicht, also von oben wahr.
Die gedrängte Komposition wird zusätzlich durch symbolische Motive bereichert. Hierzu zählen die mit bekümmerten Gesichern dargestellten Gestirne Sonne und Mond in den oberen Ecken – altertümlich anmutende Bildelemente, die der Kreuzigungsikonographie des 9. bis 11. Jahrhunderts angehören. Sie repräsentieren die kosmologische Diemension des Geschehens, auf die auch die im Neuen Testament beschriebene Sonnenfinsternis beim Tod Jesu verweist (Matthäus 27, 45). In späteren Druckgrafiken wird Dürer diesen Aspekt der Kreuzigung durch eine atmosphärische Verdunkelung des Himmels anschaulich machen.
Martin Schongauer: Christus am Kreuz mit vier Engeln (um 1475); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Martin Schongauer: Christus am Kreuz (um 1475); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Lucas Cranach d.Ä.: Kreuzigung Christi (1502); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Fröhlich, Anke: Christus am Kreuz. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band II: Holzschnitte. Prestel Verlag, München 2002, S. 202-202;
Kuder, Ulrich/Luckow, Dirk (Hrsg.): Des Menschen Gemüt ist wandelbar. Druckgrafik der Dürerzeit. Kunsthalle zu Kiel, Kiel 2004, S. 216;
Mack-Andrick, Jessica: Albrecht Dürer, Christus am Kreuz. In: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hrsg.), Grünewald und seine Zeit. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2007, S. 234-235;
Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer – Die Kunst aus der Natur zu „reyssenn“. Welt, Natur und Raum in der Druckgraphik. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Schweinfurt 1997, S. 98.
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